von Geertje Andresen

Zu den wichtigsten Tanzpädagoginnen des modernen künstlerischen Tanzes in Deutschland gehört zweifellos die Schweizerin Berthe Trümpy.

Jugendjahre

Am 29. Juni 1895 wird sie als erste von vier Töchtern des sehr vermögenden Industriellen Jakob Trümpy in Zürich geboren und auf den Namen Bertha Emilie getauft. Sie wächst zunächst sehr behütet in ihrem Elternhaus in Mitlödi auf. 1906 stirbt unerwartet ihr Vater. Die Mutter zieht daraufhin mit ihren Töchtern nach Zürich, wo die Mädchen zunächst öffentliche Schulen besuchen. Von 1910 bis 1913 besucht Berthe Trümpy ein englisches Internat in Lausanne, und 1914 beginnt sie ein Kunstgeschichts-, Musik- und Sprachstudium, das sie ein Jahr später wegen einer lebensgefährlichen Bauchfellentzündung  abbrechen muss. Ihr behandelnder Arzt, Professor Ferdinand Sauerbruch, rechnet mit ihrem baldigen Tod. Er empfiehlt, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Die junge Frau wird nach St. Moritz in eine Klinik gebracht, wo sie ein Jahr lang um ihr Leben kämpft. Sie gewinnt diesen Kampf und wird vollständig gesund.

Nun erfüllt sie sich selbst ihren größten Traum: Sie beginnt 1917, im Alter von 22 Jahren, eine Tanzausbildung in Zürich an der Tanzschule von Rudolf von Laban bei seiner Assistentin, der deutschen Tänzerin und Tanzpädagogin Mary Wiegmann. Berthe Trümpy hat eine ausgesprochen rasche und analytische Auffassungsgabe; sie lernt schnell und wird schon bald die Mitarbeiterin und sogar die engste Vertraute ihrer Lehrerin. Sie folgt ihr auf den Monte Verità und übernimmt 1919 auf der Deutschlandtournee der Wiegmann, die sich nun Mary Wigman nennt, die „geräuschmusikalische“ Begleitung ihrer Choreographien.

Mary Wigman und Berthy Trümpy

Mary Wigman möchte sich nach dem Ersten Weltkrieg dauerhaft in der Schweiz als Tanzpädagogin etablieren. Sie erhält jedoch von der Schweizer Fremdenpolizei keine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis und muss nach Deutschland zurückkehren. 1920 geht Berthe Trümpy daher gemeinsam mit ihr nach Dresden, wo die Schweizerin von ihrem Vermögen das Gebäude für eine neue Tanzschule finanziert. Sie wird Co-Direktorin an der Schule für modernen künstlerischen Tanz von Mary Wigman. Berthe Trümpy beginnt an dieser Schule nun auch zu unterrichten: Einer ihrer ersten Schüler ist der später berühmte Harald Kreutzberg.

An dieser Dresdner Tanzschule gründet Mary Wigman ihre erste Tanzgruppe, in der neben ihren Schülerinnen Gret Palucca und Yvonne Georgi auch Berthe Trümpy tanzt. Gemeinsam mit Gret Palucca gestaltet Trümpy 1923 einen Tanzabend, an dem sie sich erstmals als Solistin präsentiert. Sie gibt im selben Jahr noch zwei weitere Soloabende, bei denen sie u.a. ihre Choreographien „Arabien“, „Menuett“, „Rubine“ und „Revolutionslied“ vorführt. Es zeigt sich allerdings, dass ihre tanzbezügliche Begabung vor allem in der Tanzpädagogik liegt.

Berthe Trümpy löst sich 1924 von Mary Wigman und ihrer Dresdner Tanzschule, geht nach Berlin und eröffnet dort ihre eigene Schule. Sie orientiert sich mit den Unterrichtselementen Improvisation und Gruppenarbeit zunächst allerdings an der Arbeitsweise von Mary Wigman, bis sie 1926 in Vera Skoronel eine neue Kollegin und Co-Direktorin ihrer Tanzschule findet. Mit Skoronels Eintritt in die Leitung der Trümpy-Schule wird deren sehr spezielle „maschinel­le“ Tanztechnik wesentlicher Bestandteil der professionellen Tanzausbildung an der Trümpy-Schule.

Tanzschule von Berthe Trümpy

Die Synthese der von Wigman geprägten Trümpy und der „abstrakten“ Tänzerin Skoronel führt zu einem beson­deren Unterrichtsstil der Schule. Auch wenn Berthe Trümpy nicht den Anspruch erhebt, „’ihre’ Schule mit ‚ihren’ alleinseligmachenden Prinzipien zu propagieren“[1], will sie ihre Schülerinnen doch zu künstlerischen Persön­lichkeiten erziehen, denen verschiedenste künstlerische Aus­drucksformen vertraut sind. In ihrem Aufsatz „Erziehung zum Tänzer“ legt sie schon 1926 ihre Überzeugung dar, dass in einer professionellen Tanzausbildung sowohl die Grundtechniken Rudolf von Labans, wie auch die Fußtechnik und der Schrittausdruck aus der Schule Mary Wigmans, genau wie auch die Sprungtechnik und der Spannungsausdruck, den Gret Palucca lehrt als auch die „maschinellen“ Armrhythmen, die tänzerische Mimikskala und die vielstrahlige, gleichzeitige Funktion einer Bewegung aus der Schule Skoronels[2] gelehrt werden müssen. Sie selbst betrachtet sich als Vermittlerin all dieser Strömungen und bietet ein entsprechend breites Spektrum an Unterrichtsfächern in ihrer Schule an. Mit diesem umfangreichen Angebot an substantieller Tanztechnik gehört ihre Schule Ende der 1920er Jahre zu den besten Tanzschulen in Deutschland. 1929 gibt sie Auskunft auf die Frage, was „aus den vielen, vielen Tänzern“ wird, „die aus den Schulen kommen“: „Ich habe den Versuch einer Statistik der über 2000 Tänzer, die ich im Laufe meiner fast zwölfjährigen Unterrichtstätigkeit kennenlernte, unternommen. Etwa 60 v. H. sind glücklich verheiratet, Mütter reizender Babys. Je 15 v. H. sind als Tänzer und Ballettmeister an Theatern oder unterrichten, teils angestellt, teils selbständig. Der Rest ist verschollen oder der Illusion zum Opfer gefallen, dass ein Tänzer ein ‚freies’ Leben führen müsse! Was nämlich absolut unmöglich ist.“[3]

Chorischer Laientanz

Ein besonderes Interesse hat Trümpy am chorischen Laientanz. Sie schätzt die Leidenschaft, mit der sich viele Laien dem Tanz in der Gruppe hingeben und versteht die Arbeit mit einem Bewegungs­chor als „Ausdruck eines gemeinsamen Lebensgefühls“. Ihr Engagement für diese Form von Tanz bringt sie dazu, 1927 und 1928 gemeinsam mit Vera Skoronel jeweils einen Gruppenauftritt an der Berliner Volksbühne zu entwerfen. Gemeinsam mit dem Bewegungschor der Berliner Volksbühne führt die Tanzgruppe Trümpy-Skoronel im Juni 1927 auf dem ersten Tänzerkongress in Magdeburg das Stück „Der gespaltene Mensch“ von Bruno Schönlank in der Choreographie von Vera Skoronel auf. Dieses Stück wird am 21. Februar 1928 in gleicher Besetzung in der Berliner Volksbühne unter der künstlerischen Leitung von Karl Vogt wiederholt und mit dem Stück „Erweckung der Massen“ von Vera Skoronel unter der künstlerischen Leitung Trümpys und Skoronels ergänzt.

Auf dem zweiten Tänzerkongress 1928 in Essen lässt sich Berthe Trümpy in den Vorstand des „Deutschen Chorsänger- und Tänzerbundes e.V.“ wählen. Ziel dieser Berufsorganisation ist die künstlerische und wirt­schaftliche Interessenvertretung ihrer Mitglieder in der Öffentlichkeit und vor Behörden. Weiterhin plädiert der Tänzerbund für die Regelung einer einheitlichen Tänzerausbildung und bereitet die Einrichtung einer Tanz-Hochschule vor.

Jahre der Veränderung

1932 stirbt Vera Skoronel im Alter von nur 26 Jahren plötzlich an einer Blutvergiftung. Für Berthe Trümpy ist dieser frühe Tod ihrer engsten Kollegin ein erneuter persönlicher und beruflicher Schock. Zunächst versucht sie, die Arbeit von Vera Skoronel fortzusetzen. Das gelingt ihr aber nicht, weil sowohl deren Tanztechnik als auch deren künstlerische Gestaltung – und naturgemäß auch die Ausstrahlung von Vera Skoronel – einzigartig, individuell und speziell an sie gebunden sind.

1934 entschließt sich Berthe Trümpy deshalb, ihre Schule mit der Berliner Dependance der Schule von Dorothee Günther (München) zusammen zu legen. Zu ihrer neuen Assistentin bestimmt sie Afrika Doering. In dieser neuen Aufstellung verändert Berthe Trümpy ihr Unterrichtskonzept und erweitert den bisherigen Fächerkanon um Instrumentalunterricht mit dem Orff’schen Instrumentarium, Zeichnen, Tanzgeschichte, Physiologie, Anatomie und Psychologie. Diese Ausbildung für die etwa 30–40 Schüler und Schülerinnen, die von fünf verschiedenen Lehrern gegeben wird, gilt seinerzeit als ungewöhnlich umfassend und qualitativ herausragend.

Gemeinsam mit der Schule von Mary Wigman und der Schule von Gret Palucca gründet Berthe Trümpy mit ihrer neuen Schule die „Wigman-Schulgruppe“ im Deutschen Körperbildungsverband e.V. Damit ist sie Mitglied im von Alfred Rosenberg 1929 gegründeten nationalsozialistischen Kampfbund für Deutsche Kultur geworden. Auch wenn sie sich damit eigentlich verpflichtet, keine jüdischen Schülerinnen auszubilden, hält sie sich nicht an diese Verpflichtung. Ihre jüdische Schülerin Margot Landsberger unterrichtet sie z.B. bis zu deren Emigration. Sie nimmt auch nach Kriegsende den Kontakt zu ihr wieder auf.  

Kriegs- und Nachkriegsjahre

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges lehrt Berthe Trümpy ebenfalls an der Berliner Hochschule für Leibesübungen. Sie beteiligt sich 1937 in Berlin an der 700-Jahrfeier, indem sie auf ihre frühen Erfahrungen als Choreographin von Bewegungschören zurückgreift und mit Tanzstudierenden und Laien „Zunfttänze“ einstudiert und im Olympiastadion aufführt. 1938 beteiligt sie sich sowohl am Deutschen Turn- und Sportfest in Breslau als auch bei den Berliner Sommerfestspielen an der Choreographie „Frohes, freies, glückliches Volk“ unter der Leitung von Hanns Niedecken-Gebhardt. Ehe sie 1939 Deutschland verlässt, übernimmt sie gemeinsam mit Helge Peters-Pawlinin und Dorothee Günther anlässlich des Tages der Deutschen Kunst in München die choreographische Leitung für das Stadionspiel „Triumph des Lebens“. Bei dieser Veranstaltung werden ihre „Zunfttänze“ noch einmal aufgeführt.

Danach zieht sie nach Italien und lernt an der Universität in Perugia Italienisch. Etwa 1940 reist sie nach Rom und begegnet dort Papst Pius XXII. Sie beschließt, zum Katholizismus zu konvertieren und wird im Petersdom getauft. Als Paten fungiert das Fürstenpaar Pignatelli.

1941 kehrt Berthe Trümpy in die Schweiz zurück. Zunächst lässt sie sich im Glarnerland, dem Herkunftskanton ihrer Eltern und Großeltern, nieder. Dort arbeitet sie als Turnlehrerin an öffentlichen Schulen und engagiert sich in der Jugendarbeit. 1947/48 erhält sie sogar einen Lehrauftrag am Universitätsklinikum in Zürich, um dort die Schule für Physiotherapie mit aufzubauen.

Ende der 1940er Jahre beginnt sie, sich um ihre familiäre Zugehörigkeit zu kümmern. Sie möchte ihren bereits erwachsenen entfernten Verwandten Roberto Streiff adoptieren, was ihr die Beamten des Kantons Glarnerland jedoch verweigern. Jahrelang kämpft sie um die Erfüllung ihres Wunsches. Im Tessin gelingt dies schließlich, so dass sie mit ihrem Adoptivsohn dorthin übersiedelt. In Brione baut sie sich mit Roberto Streiff eine neue Existenz auf, versucht sich im Weinanbau und gründet schließlich ein Feinschmeckerrestaurant, das auch von ihren einstigen deutschen Tanzkollegen gelegentlich gern aufgesucht wird.

1979 erleidet sie einen schweren Unfall: Bei einem Sturz vom Balkon wird ihr Becken so stark zerschmettert, dass sie nach dem Krankenhausaufenthalt in Locarno ihr selbständiges, unabhängiges Leben in Brione nicht wieder aufnehmen kann. Sie lebt bis zu ihrem Tod am 29. September 1983 unglücklich in einer Klinik in Orselina.

Literatur

Geertje Andresen: Die Tänzerin, Bildhauerin und Ausdruckstänzerin Oda Schottmüller (1905–1943), Berlin 2005, S. 79 ff.

Marianne Forster: Berthe Trümpy – Eine frühe Wigman-Schülerin. In: Tanz und Gymnastik. 2003 Heft 3, o. S.

Liesl Freund (Hrsg.): Monographien der Ausbildungsschulen für Tanz und künstlerische Körperbildung. Band I: Berlin. Berlin 1929.

Edgar Kahn: Allerhand Nützliches. Streifzüge durch moderne Tanzschulen. In: An der Wende. Zeitschrift für weibliche Bildung + Kultur. Jg. 3, Heft 5, Mai 1930, S. 157.

Berthe Trümpy: Erziehung zum Tänzer. Zeitgemäße Tanzfragen. In: Paul Stefan: Tanz in dieser Zeit. Wien/New York 1926, S. 45f.

[1] Edgar Kahn: Allerhand Nützliches. Streifzüge durch moderne Tanzschulen. In: An der Wende. Zeitschrift für weibliche Bildung + Kultur. Jg. 3, Heft 5, Mai 1930, S. 157.

[2] Berthe Trümpy: Erziehung zum Tänzer. Zeitgemäße Tanzfragen. In: Paul Stefan: Tanz in dieser Zeit. Wien/New York 1926, S. 45f.

[3] Berthe Trümpy: Einige Antworten auf Fragen, die mir so über Tanz und Schule gestellt werden. In: Liesl Freund (Hrsg.): Monographien der Ausbildungsschulen für Tanz und künstlerische Körperbildung. Band I: Berlin. Berlin 1929, S. 23-28, hier S. 26.