von Geertje Andresen
Birgit Åkesson war eine der bedeutendsten europäischen Vertreterinnen des modernen Tanzes. Sie wurde als Anna Ida Birgit Åkesson am 24. März 1908 in Malmö geboren und lernte über ihren Vater, einen Baumeister, der in seiner Freizeit gern musizierte, den selbstverständlichen Umgang mit Musik kennen. Darüber hinaus wurde ihr Interesse für modernen Bühnentanz zufällig durch eine Laban-Schülerin geweckt, und sie beschloss, in Deutschland bei Mary Wigman eine entsprechende Ausbildung zu absolvieren. In Schweden wurde seinerzeit nichts Vergleichbares angeboten, aber Mary Wigman war dort keine Unbekannte.
1928, im Alter von zwanzig Jahren, ging Birgit Åkesson nach Halle, um dort ihre in der Schule erworbenen Deutschkenntnisse zu erweitern. Im folgenden Jahr waren ihre Sprachkenntnisse so weit ausgereift, dass sie in Dresden an der Schule von Mary Wigman eine professionelle Tanzausbildung beginnen konnte. Birgit Åkesson gehörte zu den begabtesten Wigman-Schülerinnen und wurde ausgewählt, als Mitglied der Tanzgruppe von Mary Wigman an der ersten Tournee durch die USA teilzunehmen. Allein ihr starker, eigenwilliger Charakter entsprach nicht den Wünschen Wigmans an ihre Tänzerinnen. Wigman duldete, wie bereits früher bei Gret Palucca, keine eigenständigen Talente in ihrer Gruppe, die eine solistische Konkurrenz bedeuten könnten. Da sich Birgit Åkesson nicht fügen wollte, erhielt die junge Schwedin zwar von Mary Wigman mit ihrer Diplomurkunde am 15. Juli 1932 die „wärmsten Wünsche und Hoffnungen für ihre Zukunft“, gepaart mit der Anerkennung „tänzerisch sehr stark begabt“ zu sein, durfte jedoch an der Amerika-Tournee nicht teilnehmen.
Birgit Åkesson ging statt dessen nach Berlin und sammelte hier ihre ersten Bühnenerfahrungen bei ihrer norwegischen Kollegin Helga Normann und deren elfköpfiger Tanzgruppe in der Aufführung „Karma“, sowie bei Max Reinhardt am Deutschen Theater, wo sie in seiner Inszenierung „Das große Welttheater“ mitwirkte. Glücklich wurde sie in diesem Umfeld jedoch nicht, zumal der Einfluss der Nationalsozialisten bereits in alle Lebensbereiche vorgedrungen war und sowohl die Entwicklung freier künstlerischer Prozesse als auch den respektvollen Umgang der Menschen miteinander unmöglich machte.
Paris
1933 zog Birgit Åkesson unter großen finanziellen Schwierigkeiten nach Paris, um dort nach einer geeigneten tänzerischen Weiterbildung und beruflichen Perspektive für sich selbst zu suchen. In Paris fand sie zwar keine Fortbildungsmöglichkeiten, die ihren Interessen entsprochen hätten, aber sie entdeckte dort ein weltoffenes, freies, anregendes künstlerisches Klima, das sie für sich und die Entwicklung ihrer eigenen tänzerischen Vorstellungen nutzte. Sie trainierte sehr viel, lernte zahlreiche Künstler und deren Arbeiten kennen und entdeckte so ihre tänzerischen Potentiale, die sie erstmals in einem Solotanzabend am 25. März 1934 im Pariser Théâtre du Vieux-Colombier präsentierte. Ihr Programm bestand aus einem Zyklus von sieben musiklosen Tänzen und drei Tänzen mit Musik von Frederick Chopin, Eric Satie und Friedmann-Gärtner. Die Presse befand ihre Darbietungen, die sie in den folgenden Monaten in Stockholm, Malmö und wieder Paris wiederholte, als sehr interessant und bemerkenswert. Obwohl Birgit Åkesson bereits ihren eigenen Stil ausprägte, verglich man sie noch mit ihrer Lehrerin Mary Wigman und zog daraus durchaus positive Bewertungen.
avantgardistisch und weltoffen
Birgit Åkesson verstand ihren zeitgenössischen Tanz als Ausdruck ihrer Zeit, der sich von den Wurzeln des modernen künstlerischen Tanzes in den Zwanziger Jahren in Deutschland weiter zu entwickeln hatte und auch in den nachfolgenden Jahrzehnten Stellung zum aktuellen Lebensgefühl nehmen sollte. Sie bevorzugte den musiklosen Tanz, weil sie auf diese Weise nicht an Rhythmus und Melodie der Musik gebunden war, sondern sich auf der Bühne frei in sich selbst versenken konnte. Ihr wurde wegen des Fehlens von Musik und ihrer akribischen Auseinandersetzung mit dem Körper und seinen unendlichen Bewegungsmöglichkeiten gerade von deutscher Seite „Intellektualismus“ vorgeworfen. Dieses Urteil stellt die Arbeit Birgit Åkessons in eine Reihe mit den herausragenden deutschen avantgardistischen Tänzerinnen Valeska Gert, Vera Skoronel und Dore Hoyer und zeigt, dass sie sich mit ihrer Kunst immer weiter von ihrer Lehrerin Mary Wigman entfernte.
Stockholm…
1936 schloss Birgit Åkesson das Desiderat des modernen Tanzes in Schweden und gründete ihre eigene Tanzschule in Stockholm. Sie rettete damit die Aufbruchstimmung des freien künstlerischen Tanzes in Deutschland nach Schweden und ließ sich von den ästhetischen Rückschritten in Deutschland nicht in der Fortentwicklung ihres modernen Stils beirren. Insbesondere ihre sehr langsamen und ruhigen Bewegungen zeigten nicht nur ihre hervorragende Körperbeherrschung, sondern sie zogen auch das Publikum in den Bann. Neu war auch Åkessons Vorliebe für Bewegungsformen am Boden. Sie entwickelte mit diesen beiden Komponenten eine ganz und gar neuartige Form des Tanzes, die durch ihre Intensität überzeugte. Mit der Gründung ihrer Tanzschule begann sich Birgit Åkesson zunächst vornehmlich der pädagogischen Arbeit zu widmen und gab wesentlich weniger Tanzabende und Gastspiele im In- und Ausland als bis 1936. 1945 wurde ihre Tochter Mona geboren.
… und die Welt
Ab 1946 nahm Birgit Åkesson ihre umfangreiche Gastspieltätigkeit mit neuen Choreographien wieder auf. Zu den wichtigsten Stücken gehörte „Movement“, das sie 1949 in Paris erstmals aufführte und das wegen seiner Einzigartigkeit 1954 vom Schwedischen Fernsehen aufgezeichnet wurde.
Birgit Åkesson war Ende der 1940er Jahre – mehr noch als Birgit Cullberg – zur avantgardistischsten schwedischen Tänzerin avanciert und erfuhr zunehmend staatliche Anerkennung und Unterstützung. Sie tanzte nicht nur in Schweden, sondern auch in Kopenhagen, Prag, Paris, London, Oslo und in den 1950er Jahren auch in den USA. In diesen Jahren begann sie ebenfalls Vorträge über ihre Tanzforschungen zu halten und den Ursprüngen des Tanzes außerhalb Europas nachzuspüren. Gastweise unterrichtete sie nun auch an der Stockholmer Universität und in Rom.
Ende der 1940er Jahre begann sie mit dem Dichter Erik Lindegren und dem Musiker Karl-Birger Blomdahl zusammen zu arbeiten. Die beiden Männer galten ebenfalls als führende Künstler der Schwedischen Avantgarde. Gemeinsam mit Birgit Åkesson entwickelten sie das Tanzsolo: „Öga: sömn i dröm“ (Auge: Schlaf im Traum), das 1953 bei einer Galavorstellung in der Königlichen Oper in Stockholm uraufgeführt wurde.
1951 schuf Birgit Åkesson ihre erste Gruppenchoreographie für das Tanzensemble der Königlichen Oper in Stockholm. Ab 1957 setzte sie dieses choreographische Schaffen vor allem an der Stockholmer Oper zu Kompositionen von Karl-Birger Blomdahl und Libretti von Erik Lindegren fort. Zu dritt schufen die fortschrittlichen Künstler Opern wie „Minotauros“, „Sisyfos“ oder „Aniara“ und realisierten deren Aufführungen. Birgit Åkesson erhielt ab 1959 parallel zu diesen Gruppenarbeiten diverse Aufträge von weiteren schwedischen Bühnen für moderne Choreographien zu zahlreichen Werken von Shakespeare, Lorca oder Britten. Ab 1959 wurde Åkesson kontinuierlich durch staatliche Künstlerstipendien gefördert. 1962 wurde ihr die Carina Ari-Ehrenmedaille verliehen.
Auf Initiative Birgit Åkessons entstand 1963/64 in Stockholm das Choreographische Institut, dessen erste Rektorin Birgit Cullberg wurde, dessen künstlerische Leitung bis 1967 aber Birgit Åkesson selbst innehatte. Ebenfalls 1963 erhielt die Tänzerin und Choreographin den Vasa-Orden und wurde Mitglied der künstlerischen Direktion der Königlichen Oper in Stockholm. Birgit Åkesson war nun nicht mehr nur mit Tanzen, Choreographieren und Unterrichten befasst, sondern sie hatte auch künstlerische Entscheidungen in der Königlichen Oper und im Choreographischen Institut zu fällen. Darüber hinaus dehnte sie ihre Forschungs- und Vortragstätigkeit immer weiter aus.
Afrika
Gefördert mit Stipendien des Schwedischen Staates begann sie den „Ritus als Ursprung des Dramas“ zu erforschen und reiste von 1967 bis 1980 mehr als zwanzig Mal in verschiedene Staaten Afrikas, um sich mit den unterschiedlichsten kultischen Bräuchen vertraut zu machen. Auf ihre Reisen folgten zahlreiche Vorträge über ihre Forschungsergebnisse, und sie begann an ihrem Buch über Tanz in Afrika „Källvattnets mask“ (Die Maske des Quellwassers) zu arbeiten. 1980 erhielt sie den Läkerols svenska kulturpris, und 1983 erschien ihr Buch über den schwarzafrikanischen Tanz, das sie in den folgenden Jahren in zahlreichen Lesungen, Vorträgen und Radiosendungen bekannt machte.
Asien
Ab 1986 lehrte Birgit Åkesson auch in China und Japan. Sie unterrichtete in diesem Jahr als Gastdozentin für Choreographie in Peking und Sapporo und ein Jahr später auch im japanischen Nara. 1989/90 dehnte Birgit Åkesson ihre Forschungsreisen durch China und Japan aus und begann nun, ein Buch über frühe zeremonielle Tanzformen in Asien zu schreiben.
Stockholm
Nach mehr als zwanzig Jahren Pause schuf Birgit Åkesson 1989 zwei neue Choreographien, „Dagrar“ (Hues of Light) und „Höstlöv“ (Autumn Leaves), für das Schwedische Fernsehen.
Im Juli 1992 nahm Birgit Åkesson noch einmal am Festival Nórdico in Lissabon mit ihrer Choreographie „Sisyfos“ teil. Danach widmete sie sich vorwiegend ihrer publizistischen Tätigkeit. Sie verfasste den Aufsatz „Den skapande Akten“ (Der schöpferische Akt), der in der Zeitschrift „Artes“ veröffentlicht wurde.
1994 erschien ihr Buch „Kälvattnets mask“ in Frankreich unter dem Titel „Le masque des eaux vives, Danses et choréographies traditionelles d’Afrique noire“. Jetzt begann sie auch mit den Vorbereitungen für die deutsche und englische Ausgabe dieses Buches. Darüber hinaus plante sie, ihre Vorträge und Aufsätze in einem weiteren Buch zu publizieren, das 1998 erschien.
Zu ihrem 90. Geburtstag zeigte das Deutsche Tanzarchiv Köln die Sonderausstellung „Postmoderner Tanz aus Schweden: Birgit Åkesson zum 90. Geburtstag“ und erstellte dazu eine umfangreiche dreisprachige Begleitpublikation, herausgegeben von Frank-Manuel Peter. Weiterhin widmete ihr die Zeitschrift „Tanzdrama“ im Aprilheft einen Schwerpunktbeitrag, und das Moderna Dansteatern in Stockholm arrangierte ihr zu Ehren einen Tanzabend.
Birgit Åkesson starb an ihrem 93. Geburtstag in Stockholm.
Ihren künstlerischen Nachlass vermachte Birgit Åkesson dem Deutschen Tanzarchiv Köln.
Foto © N.N. / Deutsches Tanzarchiv Köln
Foto © Charlotte Rudolph / VG BildKunst, Bonn
in der Kunstakademie in einer Kooperation mit modernen schwedischen bildenden Künstlern, ca. 1948
auf der Balustrade eines Dachgartens im Rockefeller Center, im Hintergrund das RCA-Hochhaus.
Aus einer Serie des kongenialen künstlerischen Fotografen Hans Hammarskiöld.
Foto © Hans Hammarskiöld / Deutsches Tanzarchiv Köln
Frank-Manuel Peter (Hg.): Birgit Åkesson. Postmoderner Tanz aus Schweden / Postmodern Dance from Sweden / Postmoderna Dans från Sverige. Köln 1998 Im Buchhandel vergriffen, Ladenpreis war 24,80 Euro; 12,00 Euro.