Halb Jeanne d'Arc, halb Balletteuse Femme fatale, Rautendelein Ist die Mischung der Diseuse. Nach dem Takt der Marseillaise Singt sie alles kurz und klein.
Wer einmal versucht hat, Programmzettel oder Fotos von Konzertsängern einem öffentlichen Archiv zu schenken, der weiß, dass es gar nicht so leicht ist, das richtige Archiv dafür zu finden. Opernsänger werden vielleicht in einem Archiv für die Darstellenden Künste aufgenommen. Aber Konzertsänger? Schon schwieriger. (Und Chorsänger: fast ausgeschlossen.) Wo hat nun der Nachlass einer Diseuse seinen Platz? Wenn sie nicht „politisches Kabarett“ gemacht hat, sondern wie Ada Hecht vor allem die Chansons der 1920er Jahre beispielsweise von Brecht/Weill vorgetragen hat? Dann eigentlich auch nicht in einem Kabarett-Archiv, denn eine Diseuse, die in einem Kabarett oder Nachtclub vorträgt, aber auch in der Berliner Philharmonie oder im Zirkus Chansons singt, ist eben eine Diseuse oder Sängerin und nicht eine Kabarettistin.
Ein ausgeprägter Zusammenhang zu einem Ensemble oder einer „Spielstätte“ kann bei der Wahl eines Archivs den Ausschlag geben. Bei Ada Hecht war es die jahrelange Mitwirkung in den Kabarettlokalen von Valeska Gert, vom Berliner Opernkeller (Bei Valeska) und der Hexenküche bis zum Ziegenstall in Kampen auf Sylt. Zahlreiche Briefe und Postkarten von Valeska Gert an Ada Hecht und andere Dokumente belegen die Zusammenarbeit. "Eine singt Songs aus der Dreigroschenoper, daß man denkt, sie müßte jeden Tag in einem Weltstadtvarieté auftreten", heißt es 1949 in einem Zeitungsbericht über das Lokal Bei Valeska in Berlin – und gemeint ist Ada Neumayer, die zu dieser Zeit noch nicht mit Herrn Hecht verheiratet war. Und zwei der Stücke aus dem Inventar des Ziegenstalls, die Valeska Gert Ada Hecht vermachte, gehören schon sehr lange zum Bestand des
Tanzarchivs und waren auch bereits im Tanzmuseum ausgestellt: Die u.a. mit grüner und roter Farbe von Valeska Gert bemalte Corbusier-Liege und ein rot bemalter Melkschemel als Sitzhocker des Ziegenstalls. Es besteht die Hoffnung, dass später einmal weitere Stücke aus dem Ziegenstall von anderen Besitzern ihren Weg zum Tanzarchiv finden…
Frank-Manuel Peter
Adelheid Sophie Neumayer, seit der Kindheit Ada genannt, wurde am 4. März 1912 in Kimpolung im Herzogtum Bukowina geboren. Ihre Mutter Fina stammte aus dem schlesischen Groß Herrlitz, wo sie den aus der Bukowina gebürtigen Franz Neumayer kennengelernt und geheiratet hatte. Als zwei Jahre später ihr Ehemann zum Wehrdienst eingezogen wurde und das Kriegsgeschehen näher rückte, zog Fina mit ihrer Tochter auf den elterlichen Hof nach Groß Herrlitz zurück. Bereits im Alter von sechs Jahren erhielt Ada in einer dort von Klosterschwestern geführten Mädchenschule von Schwester Euphrosina den ersten Klavierunterricht. Der Tod ihres Vaters in serbischer Kriegsgefangenschaft machte sie zur Halbwaise und zu einem bei den Großeltern aufwachsenden Kind, denn ihre verwitwete Mutter fand für mehrere Jahre auf einem großen Gut im weit entfernten Leváre eine Anstellung als Wirtschafterin.
Als Adas Mutter 1921 in zweiter Ehe den Lehrer Josef Schwarz heiratete, bekam Ada in ihrem Stiefvater auch einen Förderer ihrer musikalischen Begabungen. Da er nicht nur regelmäßig Hausmusikabende veranstaltete, sondern als Leiter des Musikvereins in der Nachbargemeinde auch Theaterstücke und Operetten einstudierte, erwarb Ada hier bereits erste Bühnenerfahrungen.
Auf Vermittlung des Grafen Bellegarde im nahegelegenen Schloss konnte die sechzehnjährige Ada ihr erstes Engagement beim Grafen Wilczek auf Schloss Moosham in Österreich als Gesellschafterin seiner kleinen Tochter Gina (der späteren Fürstin Liechtenstein) antreten. 1930 wechselte sie als Kinderbetreuerin zur Großkaufmannsfamilie Cloppenburg nach Berlin und blieb in dieser Stellung vier Jahre. Anschließend betreute sie bei dem verwitweten Millionär R. A. Herrschel dessen leicht behinderten Sohn und hatte an ihren freien Abenden Zeit, ins Theater zu gehen. Sie sang selber leidenschaftlich gern und konnte sich nun auch ersten Gesangsunterricht finanzieren. Ab 1937 arbeitete sie bei verschiedenen amerikanischen Diplomaten als Haushälterin und nach dem Kriegseintritt der USA, als die amerikanische Botschaft in Berlin geschlossen wurde, für eine kleine Firma als Köchin. Sie sang der Opernsängerin Paula Buchner vor und fand durch deren Vermittlung eine Stelle als Haushälterin bei der Opernsängerin Barbara Kemp von Schillings, bei der sie ihre Gesangsausbildung fortsetzen konnte. Da sich der Status als Haushälterin bei Barbara Kemp jedoch als schwierig für ihr künstlerisches Fortkommen erwies, kündigte sie nach einiger Zeit ihre Stelle und den Unterricht und suchte sich eine neue Anstellung und einen neuen Gesangspädagogen. Dieser ließ sie eines Tages einem Theateragenten vorsingen.
Ada Neumayer wurde mit einer weiteren Sängerin und einer Tänzerin für eine Wehrmachtstournee verpflichtet. Im Frühjahr 1942 starteten sie nach Russland, dann führte sie die Tournee über Finnland nach Norwegen, Paris, ans französische Mittelmeer und die Atlantikküste. Erst Mitte 1944, als der „totale Krieg“ ausgerufen wurde und es keine künstlerischen Veranstaltungen mehr gab, endete die Tournee, und Ada Neumayer wurde zur Arbeit in einer Berliner Schraubenfabrik dienstverpflichtet. In den ersten Jahren nach dem Krieg konnte Ada durch haushälterische Tätigkeiten und Klavierspielen überleben. Erst 1948 fand sie kleine Auftrittsmöglichkeiten als Sängerin. Als sie nach dem Krieg einer Gesangslehrerin neben Arien scherzhaft auch ein Lied von Zarah Leander vortrug, erkannte diese Adas eigentliche Stimmlage (tiefer Alt) und bildete sie diesbezüglich aus.
Nachdem sie dann die Sängerin und Kabarettistin Olga Rinnebach gehört hatte, nahm Ada Neumayer bei deren Klavierbegleiter, dem Komponisten Conny Dähn, Unterricht im Vortragen von Chansons. 1949 wurde sie in einem Café und bald darauf auch durch Zeitungsberichte auf Valeska Gert aufmerksam. Als diese im Herbst des Jahres den Opernkeller übernahm, als Kabarettlokal Bei Valeska neu eröffnete und Personal suchte, stellte sie sich vor und wurde von ihr als Sängerin und Köchin engagiert. Vor allem für ihre Songs aus der Dreigroschenoper und ihre Gulaschsuppe erhielt sie viel Anerkennung.
Auch als Valeska Gert 1950 den Opernkeller nicht länger mieten konnte und in der Paulsborner Straße nahe Kurfürstendamm ihre Hexenküche eröffnete, gehörte Ada trotz zusätzlicher freier Engagements fest zum Personal. Als 1952 der junge Klaus Kinski hier auftreten wollte, schlug ihm Valeska Gert die Rezitation von Gedichten von Villon und Rimbaud vor, und Ada lieh ihm einen Gedichtband. Er lieh sich außerdem Geld von ihr und quittierte im Gedichtband: „Ich schulde Ihnen 10 Mark. Klaus Kinski“. Auch in der 1951 zusätzlich für die Sommersaison eröffneten Dependance in Kampen auf Sylt, dem Ziegenstall, gehörte Ada sieben Jahre lang fest zum Personal, bis sie im Dezember 1957 ihren Freund, Verehrer und Förderer Georg Hecht heiratete, der ihr schon jahrelang vorgehalten hatte, dass sie sich von Valeska Gert ausnutzen ließ. Jetzt befolgte sie seinen Rat und hörte bei Valeska Gert auf.
Ada Hecht trat weiterhin viel auf, u.a. im Silberkeller in Westerland, bei einem ehemaligen Kollegen aus dem Ziegenstall, der in Mannheim die Joe-Luga-Bar eröffnet hatte, oder im Lido in Berlin. Und sie war Mitbegründerin und Mitglied des Berliner Kabaretts Klimperkasten, mit dessen Ensemble sie auch unzählige Gastspiele gab. Auch in dem für seine Transvestiten-Shows bekannten Nachtlokal Lützower Lampe trat sie häufig auf.
Von 1973 bis 1977 führte Ada außerdem – Georg Hecht war 1972 verstorben – unter Valeska Gerts Leitung im Sommer wieder den Ziegenstall in Kampen. In Berlin unterrichtete sie auch und vermietete mehrere Zimmer ihrer großen Wohnung. Zu ihren langjährigen Schülerinnen und Schülern zählt Pascale Camele, die auch über drei Jahre bei ihr wohnte. Ada Hecht wurde vor allem durch den Klimperkasten und dessen Gastspielreisen sehr bekannt, trat aber auch im Berliner Gasthaus oder auch in Theateraufführungen wie Pirandellos Sechs Personen suchen einen Autor in der Freien Volksbühne Berlin auf. Die Reisen mit dem Klimperkasten führten sie auch ins Ausland: nach Moskau, Kiew, St. Petersburg, Rom, Brüssel, Graz, Budapest, Kairo, Assuan, Istanbul, Marmara. Und in Marokko wurden dem Leiter des Klimperkastens, Jerry Roschak, vierzig Kamele im Tausch für Ada Hecht angeboten…
1984 und 1985 zog sie, bereits über 70 Jahre alt, mit dem Zirkus Aladin’s Palace durch die Schweiz. Im Berliner Uraniahaus gab sie, angekündigt als „Die letzte große Diseuse Berlins“, zwei erfolgreiche Chanson-Abende mit Werken von Kästner, Tucholsky, Brecht/Weill und Brecht/Eisler. Sie trat in Sendungen wie Schaukelstuhl und Bios Bahnhof im Fernsehen auf und hatte am 16. Februar 1990 einen Soloabend in der Berliner Philharmonie.
Es folgte u.a. ein Soloabend der 78-Jährigen im Brecht-Theater des Berliner Ensembles. Ein Schlaganfall im November des Jahres beendete ihr künstlerisches und pädagogisches Wirken abrupt.
Ada Hecht verstarb am 28. März 2001 in Berlin im Alter von 89 Jahren.
Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln
Foto: © Deutsches Tanzarchiv Köln
© Erbengemeinschaft Valeska Gert, Deutsches Tanzarchiv Köln
Foto: © Herbert Tobias, Berlinische Galerie
Irmgard Friedrich: Zwischen Ziegenstall und Ku'damm. Das Leben der Diseuse Ada Hecht. Berlin 2006 mit CD