• Kurzbiographie

    Alan Carter, in London geboren, begann seine Ballettausbildung im Alter von neun Jahren. Er studierte bald bei Serafina Astafieva und vor allem Nikolai Legat. Bereits 1936 wurde er als Tänzer ins Vic-Wells Ballet (später umbenannt in Sadler's Wells und Sadler's Wells Theatre Ballet, heute The Royal Ballet) aufgenommen. Er gehörte der Company ab 1937 als Solist bis 1947 an, unterbrochen vom Kriegsdienst in der Royal Air Force von 1941 bis 1946. Hier choreographierte er auch sein erstes Ballett The Catch. Von 1948 bis 1950 war er Leiter des vom Arts Councel of Great Britain ins Leben gerufenen, reisenden St. James‘s Ballet. Anschließend von 1951 bis 1952 war er als Ballettmeister und Choreograph für das Empire Theatre/Cinema in London tätig. Daneben (von 1947 bis 1953) arbeitete er als Ballettmeister bei den Filmproduktionen The red Shoes, Tales of Hoffmann, Invitation to the Dance und choreographierte The Man who loved Redheads. Alan Carter arbeitete auch für das Fernsehen, die Royal Command Performance und choreographierte Tänze für die London Palladium Show mit Norman Wisdom.

    Von 1954 bis 1959 war Alan Carter Ballett-Direktor und Chefchoreograph der Bayerischen Staatsoper in München. Hier zählten unter anderem Heino Hallhuber, Will Spindler, Natascha Trofimowa und Nika Sanftleben zu seinen Solisten. - In dieser Zeit begann er, Tanzbewegungen zu zeichnen und zu malen. Als Gast choreographierte er in Amsterdam und Tel Aviv.

    Von 1961 bis 1963 war er als Guest Professor of Classical Dance am Royal Ballet London tätig, für das er auch choreographierte. Außerdem choreographierte er gastweise für das Norwegische Ballett in Oslo.

    Von 1964 bis 1968 war Alan Carter Ballett-Direktor und Choreograph am Wuppertaler Opernhaus. Es folgten bis 1975 Engagements in Bordeaux, Istanbul, Helsinki, Reykjavik und Teheran. Von 1975 bis 1977 wirkte er als Künstlerischer Leiter der Elmhurst Residential Ballet School. Ab 1977 lebte Alan Carter in Bournemouth, wo er mit seiner Frau Julia eine eigene Ballettschule führte. Für den Bournemouth Ballet Club produzierte er dort unter anderem  Coppelia, Sleeping Beauty und The Planets and Seasons und choreographierte die Musicals My Fair Lady und Annie Get Your Gun für die Bournemouth & Boscombe Light Opera Company.

    Alan Carter choreographierte in München die deutsche Erstaufführung von Benjamin Brittens Der Pagodenprinz (1958) und Hans Werner Henzes Undine (1959), auch eines der ersten deutschen Nachkriegs-Strawinsky-Ballettprogramme (Capriccio, Herr Orpheus und Feuilleton, 1957).

  • Choreographien (bis 1967)

  • Einzelausstellungen

    1961  Deutsches Theatermuseum, München

    1967  Von der Heydt Museum, Wuppertal (eröffnet von Kurt Peters)

    1972  Sadler's Wells Theatre, London (eröffnet von Dame Beryl Grey)

    1973  Opernhaus, Oslo

    1975  Staatstheater, Reykjavik

    1981  Sadlers's Wells Theatre, London

    1988  Poole Arts Centre, Bournemouth

    1994  Fountain Fina Art Gallery, Llandeilo (Wales)

    2003  Casa de Cultura, Calpe (Spanien)

    2004  Studio 5, Javea (Spanien)

  • Eröffnungsrede von Kurt Peters zur Wuppertaler Ausstellung

    Kurt Peters zur Eröffnung der Ausstellung: "Alan Carter, choreographische Skizzen und Studien zum Ballett, Einblick in die choreographische Konzeption und ihre bildnerische Verarbeitung" - im von der Heydt-Museum in Wuppertal-Elberfeld am 5. September 1967.

    Meine sehr verehrten Damen und Herren,

    das von der Heydt-Museum hat Sie zu einer thematisch durchaus ungewöhnlichen Ausstellung eingeladen und auch ich danke Ihnen, dass Sie dieser Einladung gefolgt sind, obwohl der frühe Termin dieser Veranstaltung noch in manche späte Urlaubstage hineinreicht. Wenn auch ich meinen Urlaub für diesen Tag unterbrochen habe, so bemerke ich das nicht, um Ihre Anerkennung zu erheischen, sondern Ihnen damit zu sagen, wie sehr mir gerade diese Ausstellung am Herzen liegt. Denn einen Einblick in die "choreographische Konzeption und ihre bildnerische Verarbeitung" eines Meisters des Balletts zu erhalten, ist für den Fachmann ebenso gewinnbringend wie für den Laien interessant, zumal einem ein solcher Einblick nur ganz selten geboten wird; sagt man im Allgemeinen dem Tänzer doch nach, er habe seinen Verstand nur in den Beinen. Als in früheren Zeiten einem Intendanten der Pariser Großen Oper gemeldet wurde, daß der premier danseur sich kurz vor seinem Auftritt eine Kugel in den Kopf geschossen habe, war die erste Reaktion des Intendanten, auszurufen: "Mein Gott! endlich ein Tänzer, der etwas im Kopfe hat."

    Meine Damen und Herren, das ist historisch, ebenso wie das berüchtigte Verhältnis des wandernden Schaustellers zur aufgehängten Wäsche. Der Tänzer ist intelligent, und was auch am Grad seiner Bildung fehlen mag, er ersetzt sie hinreichend durch etwas, was den meisten Menschen abgeht, ihnen undefinierbar erscheint, ich möchte es als Körperintelligenz begreifen. Die in das Metaphysische hineinreichende Darstellung des Tänzers, seine in den Zwischenbereichen der menschlichen Existenz schwebende Ausdrucksweise bedingt geradezu eine Denk- und Lebensform, die ihr Wissen und ihre Erfahrung aus dem Alltäglichen in die Sphäre des Surrealen versetzt. Dabei ist der Tänzer beständig den größten physischen und psychischen Anstrengungen und Belastungen ausgesetzt, Beruf und Privatleben sind kaum zu trennen, seine Ruhezeiten reichen zu nichts anderem als für die neue Kräfteaufspeicherung und das Überdenken seiner darstellerischen Mittel. Dieses Problem der körperlichen Erschöpfung gilt für den Ballettpädagogen ebenso wie für den Ballettschöpfer, der Choreautor, Choreograph und Inszenator in einem ist und nicht selten auch noch die Aufgaben eines Ballettmeisters, das ist der Trainingsmeister und Ensembleerzieher, zu erfüllen hat. Auf ihm lastet, mögen ihm auch einige Hilfskräfte zur Verfügung stehen, zudem ein hohes Maß der Verantwortung, die von der Förderung und Gesamtkondition jedes einzelnen Tänzers bis zum künstlerischen Endprodukt seines eigenen Bühnenwerkes reicht, das die bildnerischen, kostümliehen und musikalischen Komponenten einbegreift. Diese Komplexität findet kaum einen Vergleich zu irgendeiner anderen erzieherischen bis künstlerischen Aufgabe, und so ist es nicht verwunderlich, wenn der Beruf des Choreographen heute zu einer bedrohlichen Mangelerscheinung geworden ist. Das Kunstwerk "Ballett" ist ein Mikrokosmos in der Welt der Künste, das Hauptinstrument ist der menschliche Körper, mit dem der Choreograph aus gleichem sensitiven Vermögen zu gestalten hat, um seine Intentionen verwirklichen zu können.

    Die Wege, choreographische Träume oder Einfälle zu realisieren, sind verschieden. Der eine Choreograph kommt mit einer fertigen Konzeption in den Ballettsaal, der andere bringt nur seine Idee im Kopfe mit und ringt mit dem Ensemble um die endgültige Form. Das ist keine Qualitätsfrage, nur, gesehen am internationalen Ballettrepertoire, muss für den interpretierenden Tänzer letzten Endes auch eine individuell gewachsene Rolle in möglichster Bewegungs-Präzision festgehalten und übertragbar sein. Dabei ist das Gedächtnis des einzelnen eine vage Sache, und so erhebt sich zwangsläufig die Frage nach einer Notierungsform. Diese kann, wie die Kinetographie Laban, eine wissenschaftlich exakt kalkulierte Zeichenschrift sein, sie kann sich jedoch auch mit figürlichen und symbolischen Anhaltspunkten begnügen, die wiederum kontinuierlich aufgeschrieben eine ganze Bewegungspartitur ergeben. Bei vielen Choreographen habe ich eine jeweils ganz individuelle Notierungsform für Raumwege, Konstellationen, Schrittabläufe und ihre Veränderungen beobachtet, wozu in einzelnen Motiven Bühnenbildgrundrisse und zuweilen Kostümentwürfe gehören.

    Was nun unsere heutige Ausstellung so besonders attraktiv macht, ist, daß alle diese Momente, die uns einen Einblick in die selten gesehenen – und selten geahnten – schöpferischen Teilaspekte eines Choreautors und Choreographen geben, das Niveau der Bildenden Künste erreichen und für die Theaterwissenschaft – oder Tanzwissenschaft, die es erst in Ansätzen gibt – so aufschlussreich sind wie für die – der Kenntnis um die Tanzkunst nützliche –- museale Erschaubarkeit, für die wir dem Leiter des von der Heydt-Museums, Herrn Dr. Aust, Dank wissen. Ich meine die hier ausgestellten Werke, Skizzen und Studien des gleichfalls anwesenden Choreautors und gegenwärtigen Choreographen der Wuppertaler Bühnen, Alan Carter, dessen reiches und vielfältiges Ballettschaffen sich über viele Jahre seiner internationalen Tätigkeit in der eingangs geschilderten Komplexität und Verantwortung auszeichnet. Wiederaufgreifend das Problem der Erschöpfung ist auch aus dieser Sicht die künstlerische Überhöhung des graphischen Niederschlags der choreographischen Werke Alan Carters ein Phänomen, ungeachtet des kritischen Einwandes, welcher künstlerische Grad diesen Arbeiten beizumessen ist.

    Alan Carters umfangreiche Ausbildung in Tanz, Schauspiel, Musik und Komposition umfasst auch die Bildenden Künste. Aber es ist müßig, seine malerischen Arbeiten in eine Schule einordnen oder sie epochal einreihen zu wollen. Vergleiche zu ideenverwandten Künstlern wie Miro oder Schlemmer ergeben nur Anhaltspunkte. Man könnte ebenso gut sagen, es fänden sich bei Carter stilistische Anklänge an die französischen arts decoratifs, etwa eines Barbier, wäre dieser mit surrealistischem Einschlag vom gegenwärtigen räumlichen Denken einer Bewegungsidee ausgegangen, oder Carter habe sich an Braques "farbigem Gipsschnitt" (von 1948) oder an Magnellis "unbequemer Vision" (von 1947) im Vorbeigehen orientiert. Aber Carters Ausgangspunkt ist nicht das Malerische oder Grafische, sondern die choreographische Idee, das Bewegungsdenken und -empfinden, der Bewegungsimpuls, mit dem er grafisch die Bewegung im Raum auffindet. Heraus kommen dabei malerische Akzente in künstlerischen und de- korativen Werten, die zum Teil eigenwillige und eigenwertige Skizzen, zum Teil künstlerische Bildkompositionen sind, aus präzisen tanztechnischen Vorstellungen in Farb-Bewegung gebannt. Oder es sind aus der choreographischen Idee geborene, Gestalt gewordene "figures" , die nicht wie bei Feuillets alten Menuetten in peinlichem Raumwegstrich gezeichnet und mit korrektem "pas" eingeteilt, sondern mit farblichem Schwung in den Raum gezogene Schleifenbänder sind, auf denen Attituden-Varianten balancieren, nicht minder grazil als zu Feuillets Zeiten mit Feuillets Zeichenschrift. Nur ist die sachliche tanztechnische Figuration bei Carter gleichzeitig ins Künstlerische transponiert und trans-posiert mit der Sphäre des tänzerischen Umraums , sei es nun die Position oder Schrittform, ihre Kombinationen und Variationen in den Raumwegen oder alles verbunden mit dem Bühnenbild und der Ballettszene.

    Seine meist kräftige, kontrastreiche, zuweilen grelle Farbgebung ist manchmal an die Serie gebunden oder wohl auch bei Einzel-Figurinen scheinbar dem momentanen Lichteinbruch der Musik ausgesetzt. Seine Formgebung ist zuweilen surreal – abrupt, skurril, verspielt, verdrahtet, amphibisch – und doch als Zelle eingekreist von der Harmonie des tanzakademischen Stils, dem Grundtenor oder auch Generalbass aller seiner Darstellungen. Ausgenommen natürlich die dem naturalistischen Zwang unterworfenen Skizzen – wie zum Beispiel für die "Symphonischen Tänze" Hindemiths, ein Versuch, der Zwölftontechnik der Musik motivisch und thematisch die Gruppen-Mouvements der Tänzer zu unterlegen –, die der direkten Übertragung ins Choreographische dienen. Hier ist die kinetographische Logik unvermeidlich, bei Carter in Folgen der Figurenzeichnung als Variante der seit Jahrhunderten üblichen Strichmännchen-Manier, besonders reizvoll da, wo er ihr die fotografische Darstellung nach späteren Bühnenaufführungen gegenüberstellt.

    Abgesehen von den malerischen Effekten sind die Darstellungen der tänzerischen Schulschritte ein Vergnügen für den Fachmann, doch wird sich auch der tänzerische Laie der rein visuellen Faszination nicht entziehen können. Skelettartig und mit aufgerissenen Körperflächen zeigt sich die wichtigste Phase einer Schrittübung in der Bewegung, als sei diese von einer offenen Kamera festgehalten worden, aber man ahnt noch in diesem Vorgang die Ausgangs- und Endposition einer Drehung – pirouette –, eines Sprunges – grand jete, brise, revoltade, entrechat – das sind die Schritt- und Bild-Titel. Durch das Spirale und Zentrifugale drückt sich die pirouette, eine Körperdrehung auf einem Standbein, aus, eine pirouette cambree durch die geringe Körperneigung aus der senkrechten Haltung bei abgebogenem Oberkörper, eine revoltade durch das Überspringen des waagerecht in der Luft schwebenden Körpers mit dem Standbein von einer Seite zur anderen. Doch es würde zu weit führen, wollte ich auf diese, auf Anhieb nicht zu behaltenden technischen Einzelheiten noch näher eingehen. Die Linienführung und die grafisch-künstlerische Umdeutung des Bewegungsvorganges ist hier das Bemerkenswerte. So hat, als Einzelstück oder als Serie gesehen, jede Skizze, jede Komposition, jedes Motiv und jedes Thema einer choreographischen Konzeption auch eine andere bildnerische Technik.

    Mich über den Lebensweg Alan Carters, seine internationalen Wirkungsstätten, die Titel seiner hier ausgestellten Arbeiten zu äußern, darf ich mich hinsichtlich des Ausstellungskatalogs enthalten. So war es in der mir zugestandenen Redezeit mehr mein Bestreben, ohne mir literarisch frisierte Deutungen anzumaßen, Ihnen von der tänzerischen Materie her die bildnerischen Gestaltungen Alan Carters noch näher zu rücken. Zu meiner Entschuldigung in der Annahme, dass Kenntnisse über den Schöpfungsprozess eines Choreautors und Choreographen nicht Allgemeingut sein können. Dass dieser Schöpfungsprozess hier, bei Alan Carter, zugleich in die Bildenden Künste hineinreicht, ist das Besondere dieser Ausstellung, dem ich Sie nun mit Vergnügen überlasse. – Ich danke Ihnen!

    (Das Tanzarchiv, H. 10, Oktober 1967, S. 163-167).