von Andrea Amort, Wien
Hanna Berger war eine Vertreterin der großen Bewegung des modernen freien Tanzes, die sich vor allem in Mitteleuropa bis zum Ausbruch des nationalsozialistischen Regimes vielfältig entwickelte und die Grundlagen für eine künstlerische Transformation nach dem Zweiten Weltkrieg legte. Aus österreichischer Sicht zählt die in Wien geborene Tänzerin, Choreografin, Regisseurin, Pädagogin, Autorin sowie Leiterin des Wiener Kindertheaters und Leiterin der Wiener Kammertanzgruppe zu den Tanz-Größen Grete Wiesenthal und Rosalia Chladek. Denkt man auch die durch den Nationalsozialismus verfemten freien Tanz-Künstlerinnen aus Österreich mit, zu denen Berger nicht zuletzt auf Grund ihrer politisch widerständischen Einstellung gehörte, ist sie in einem größeren ChoreografInnen-Kreis zu sehen. Dem gehören unter Anderen Gertrud Bodenwieser, Hilde Holger, Gertrud Kraus, Cilli Wang, Andrei Jerschik aber auch der nicht mit Hanna Berger verwandte Fritz Berger (Fred Berk), mit dem sie in Kontakt war, an. Berger selbst nannte, abgesehen von Wiesenthal, Valeria Kratina, Gertrud Kraus und Ellinor Tordis als maßgebliche in Österreich wirkende Persönlichkeiten.
Berger war nicht zuletzt auf Grund ihres frühen Todes, sie starb im Alter von 51 Jahren an einem Gehirntumor in Ost-Berlin, in Vergessenheit geraten. Als jüngste der eingangs erwähnten Frauen reicht sie mit ihrem Werk bereits in eine neue Phase des Ausdruckstanzes hinein. Die großen künstlerischen Dogmen waren, nicht zuletzt durch die Zäsur des Zweiten Weltkriegs, aufgeweicht und neue Freiheit und Entwicklungsmöglichkeiten standen zur Verfügung. Künstlerische Spartentrennung interessierte Berger nicht; sie wandte jeweils jene Mittel und Methoden an, die ihr richtig erschienen.
Hanna (eigentlich Johanna Elisabeth) Berger wurde am 23. August 1910 als uneheliches Kind von Maria Hochleitner und dem „wohlhabenden Bürger“ Eduard Wolfram in Wien geboren und römisch-katholisch getauft. Ihre Kindheit und Jugend verbringt sie teils beim Großvater, teils im Wiener Arbeiter-Bezirk Meidling bei der Mutter und, ab dem 8. Lebensjahr, als Familie mit ihrem Adoptivvater, dem Eisenbahner Wilhelm Köllchen. Schon früh plagt sie ein tuberkulöses Augenleiden, das ihre Sehkraft auf einem Auge ihr Leben lang trotz Operationen behindern wird. Die Beeinträchtigung provozierte eine typische Handbewegung, an die sich Berger-Tänzerinnen erinnern: das oftmalige Auswischen des Auges. Ottilie Mitterhuber, die bei Berger in Wien in der Nachkriegszeit studierte, baute diese Bewegung als Tänzerin in einer vom zeitgenössischen Choreografen Willi Dorner Inszenierung zum Thema künstlerische Weitergabe als Schluss-Stück des mehrteiligen Programms „Hanna Berger: Retouchings“ (Festspielhaus St. Pölten, 2006) unter dem Titel „N.N.“ ein.
Mit 16 geht Berger eine Ehe mit dem Maschinenmeister Leopold Berger ein, trennt sich ein Jahr später (offizielle Scheidung 1943) und tritt seither unter dem Namen Hanna Berger, mitunter auch als Hanna Wolfram in Erscheinung. Seit dem 4. Lebensjahr verspürt sie „Tanzlust“, lehnt die klassische Technik des Balletts zunächst ab und nimmt ab ihrem 14. Lebensjahr vier Jahre privat Klavierunterricht. 1927/28 wird sie Mitglied der Kommunistischen Partei (vermutlich der KPÖ) und geht in dieser Zeit, wegen fehlender Tanz-Ausbildungsstätten in Wien, wie sie meint, nach Berlin. Das Schulgeld der privat geführten Ausbildungsstätte Hellerau-Laxenburg bei Wien kann sie sich nicht leisten.
In Berlin studiert sie von 1929 bis 1934 Gymnastik und Tanz. Ihre erste Lehrerin ist Jonny Ahemm, sie lernt bei Vera Skoronel sowie im Studio von Gertrud Wienecke und bei Mary Wigman in Dresden. Die Unterrichtsgebühren verdient sie u. a. mit Modell stehen, als Masseurin und als Korrepetitorin in Tanzklassen. Ab 1929 ist sie mit dem kommunistisch engagierten, deutschen Bildhauer Fritz Cremer befreundet. Die Liaison wird offiziell von 1931 bis 1950 dauern, als Cremer seine Wiener Professur an der Hochschule für angewandte Kunst zurücklegt, um in die junge DDR zu übersiedeln. Stein des Anstoßes war nicht nur die „Amerikanisierung“ Wiens und zunehmende Stigmatisierung der Kommunisten in der österreichischen Hauptstadt, die auch Berger nicht behagte, sondern der Eklat um eine Skulptur für die Gedenkstätte der Opfer des Faschismus am Wiener Zentralfriedhof, die einen nackten Widerstandskämpfer zeigte. Kardinal Theodor Innitzer, der Erzbischof der Erzdiözese Wien, hätte gerne ein Feigenblatt auf der Skulptur gesehen. Dem Wunsch kam Cremer nicht nach. Ein weiterer Grund für den Abschied Cremers aus Wien soll außerdem Bergers sehr freizügig ausgelebte Sexualität gewesen sein, die sich in etlichen Liebschaften und kurzen Begegnungen niederschlug. Cremer heiratete 1956 die Bildhauerin Christa Grzimek, geborene von Carnap. Berger blieb unverheiratet. "[...]"
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Hanna Berger tanzt „Trauernde (Klagende)“, op. 11 (1936-1937; EA Berlin 1937)
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Hanna Berger als Mitwirkende in Thornton Wilders „Unsere kleine Stadt“. Programmzettel, Rom, 22.4.1939
Hanna Berger tanzt „L'inconnue de la Seine“ op. 27 (1941; EA Wien 1942)
Hanna Berger tanzt das Solo „Mimose“ (op. 28, 1941), ab 1942 als Teil der „Italienischen Reise“ mit dem Titel „Capri: Mimose“ aufgeführt (Musik: nach einer Siziliana von Alfredo Casella).
Als „Nachtigall“ in den „Vögeln“ von Aristophanes.
Innerhalb des interdisziplinär angelegten Hanna Projektes (Aufführung mehrerer rekonstruierter Tänze, Rekreationen bzw. Übermalungen mit dem Titel „Hanna Berger: Retouchings“) ist 2010 das Buch „Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand“ erschienen.
Andrea Amort: Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand. Wien: Christian Brandstätter Verlag 2010 Hrsg. vom Deutschen Tanzarchiv Köln. 183 Seiten, zahlr. Abb. Im Buchhandel (29,80 Euro)