Von Kurt Peters

Am 17. November [1954] sind es dreißig Jahre her, als der junge Tänzer Bergeest in Labans "Burlesker Tanz-Revue" im Hamburger Schauspielhaus auftrat und Oswald Pander im 8-Uhr-Abendblatt über ihn schrieb: "Und der virtuose Tut-anch-Amun, Karl Bergeest, der, ausgelassen wie ein Bierulk, doch schärfste Satire durch glänzend gekonnte Bewegung verwirklicht."

Ja, das waren noch Zeiten, als Karl noch ein Tänzer war, als er mit Laban an jener unwiederbringlichen Hamburger Epoche des Tanzes teilhatte und mit Jooss in der alten und neuen Welt dem "Neuen Tanz" eine Bresche schlug, als er, Charakterdarsteller und Olympier des Humors, seinen eigenen Programmen Mutterwitz und Originalität verlieh. Aber auch heute strahlt aus dem Menschen Bergeest noch der liebenswürdige, manchmal kindliche Humor, der in seinen Tänzen oft zur schneidenden Satire wurde.

Bizarrerie, Groteske, Parodie und Posse sind die Elemente dieses Karikaturisten und übermütigen Spaßmachers, dem alle Register vom einfachen Ulk bis zur tieferen Bedeutung zu Gebote standen. Standen? – nein, denn heute muss er sich als Choreograph der Kölner Oper breitere Ziele stecken, die nicht nur seinem speziellen Vermögen entgegenkommen können.

Der heutigen Jugend, die den Tänzer Bergeest nicht mehr kennt, ist der Choreograph geblieben. Dazwischen liegt eine Wirkungsperiode, die einmal böswillig die "Schlammzeit" der deutschen Kultur genannt wurde, die aber Wilma Mönckeberg als den fruchtbaren Boden gedeutet hat, auf dem neues, vielfältiges Leben wucherte, das auch die Tanzkunst zu schillernden Evolutionen anregte. Eine fruchtbare Zeit auch für Bergeest, der von der Jugendbewegung, vom Volkstanz und Labans Bewegungschören herkommend, in dern "Neuen Tanzbühne" von Joos und Keith jenen bedeutungsvollen Ausgangspunkt künstlerischen Wirkens fand, der für diese ganze Epoche so bezeichnend geworden ist. Diesem Zeitabschnitt hat auch Bergeest einen Stempel seines Humors aufgedrückt. Sein Leporello, sein Corregidor, Coppelius, Sancho Pansa und Puck, seine Opern- und Operettenarbeit in Münster, Köln und Essen, unter Jooss oder zusammen mit Frida Holst, seine solistische Mitwirkung bei Reinhardt und Matray, die Händelfestspiele in Göttingen, seine Solo- und Ensemblegastspiele in Berlin und zusammen mit Lisa Czobel im Ausland umreißen nur schwach die wichtigsten tänzerischen Stationen der zwanziger Jahre.

Mit den "Ballets Jooss" in Amerika, in Florenz bei Angiola Sartorio als Solist und choreographischer Mitarbeiter, bei den dortigen Maifestspielen und den Tanzfestspielen in San Remo, dann wieder als Tänzer, Darsteller und Choreograph beim Film, bei Hilpert, in Revuen, an der Staatsoperette München und bei Schaeffers im "Kabarett der Komiker" mit eigenen Kurzballetten, weisen auch die dreißiger Jahre mit einem Wirbel von Tätigkeiten und Ereignissen aus, in denen Bergeest mittendrin stand und auf höchst originellen Tänzerbeinen.

Nach kurzer Tätigkeit an der Deutschen Tanzbühne geht er 1941 zu Trudi Schoop nach Zürich, von dort mehrere Jahre als Ballettmeister nach Graz, wo ihm Solisten wie Dore Hoyer und Heigo Kolt zur Verfügung standen und schließlich noch nach Danzig, um nach mehrjähriger Gefangenschaft 1949 bis 51 wieder am Stadttheater Heidelberg sein Ballett zu reger Tätigkeit anzuspornen, an der auch Lisa Czobel und Alexander von Swaine in engster Zusammenarbeit teilnehmen.

Seit 1951 ist er wieder Ballettmeister der Bühnen der Stadt Köln, wo er neben Repertoireballetten wie "Dreispitz", "Pulcinella", "Salade" und der "Verlorene Sohn" die europäische Erstaufführung von Barbers "Medea" und zwei eigene Ballette, "Reigen der Zeit" von Istvan Arato und "Wochenschau" von Heinz Pauels, herausgebracht hat.

Der künstlerische Lebenslauf Bergeests umfasst den interessantesten Abschnitt der jüngsten deutschen Tanzgeschichte, deren humoristischer Mittelpunkt er war. Man möchte wünschen, dass ihm nach der Bewältigung der Gluckschen Originalausgabe des "Don Juan" für die Kölner Bühne aus seinem ureigensten Element noch ein Werk als Ulk auch auf unsere humorlose Zeit aufrüttelnd gelingt.

* Zuerst veröffentlicht in: Das Tanzarchiv, 2. Jg. Nr. 6 / November 1954, S. 27–29, 20 (Abb.).