von Frank-Manuel Peter
Der Fotograf Will Burgdorf ist aus heutiger Sicht fürwahr das, was man eine „echte Entdeckung“ nennen kann. Genau genommen handelt es sich dabei aber um eine Wiederentdeckung, denn er hatte bis zu seinem Tod als Soldat an der Front 1944 vor allem in seiner Heimatstadt Hannover bereits „Rang und Namen“. Dass man erst heute wieder von ihm hört und seine Arbeit zuvor nur noch ganz wenigen Fachleuten (z.B. durch seine Fotos des Tänzers Harald Kreutzberg) bekannt war, liegt nicht an dem sonst so häufig in der Vita eines deutschen Fotografen seiner Zeit anzutreffenden Totalverlust seines Fotoarchivs im Zweiten Weltkrieg: Hier sind andere Faktoren für den erst so spät einsetzenden Nachruhm verantwortlich.
Will Burgdorf hatte sich auf die Portraitfotografie spezialisiert und war deshalb vor allem für diesen Bereich der Fotografie bekannt, hatte in direkter Nähe zu seinem Atelier Anfang der 1930er Jahre eine durch Fotos dokumentierte und vor Ort sicher sehr werbewirksame Ausstellung von Portraitfotos gezeigt, und mindestens ein Bericht über ihn als Portraitfotografen ist überregional in der Fachliteratur nachweisbar. Diese Portraitfotos waren zwar erwiesenermaßen künstlerisch wertvoll, wurden aber überwiegend von Privatpersonen beauftragt, die nicht „im Licht der Öffentlichkeit standen“. Nur ein kleinerer Teil seiner Kunden, namentlich Mitglieder des Theaters in Hannover, hatten Bedarf, ihre Fotos auch veröffentlicht zu sehen, z.B. in den Programmheften oder auf Autogramm-Postkarten.
In Büchern, Tageszeitungen und Unterhaltungszeitschriften sind wahrscheinlich nur selten Fotos von Will Burgdorf erschienen – und dies wären die Medien, in denen er eine vielleicht heute noch sichtbare Bekanntheit erlangt hätte.
Mit Will Burgdorfs Einberufung zur Wehrmacht und seinem Tod endete auch die Aktivität seines Fotoateliers. Obwohl offenbar die Negative und eine große Anzahl von Abzügen bei seiner Gattin und beider Sohn den Krieg überlebt haben, gab es dafür quasi keine rückwirkende Verwendung mehr: Man benötigte ggf. ein neues, aktuelles Porträt von sich, aber keines mehr von früher; es war ein „abgeschlossener“ Bestand. Trotzdem hat die Familie diesen jahrzehntelang aufbewahrt und nicht etwa die Fotos von den vielen Privatpersonen ausgesondert und vernichtet, um Platz zu sparen, wie dies andere Fotografen durchaus taten und immer noch tun.
Spätestens nach dem Tod von Will Burgdorfs Witwe Maria 1980 übernahm der gemeinsame Sohn Mario Burgdorf das Fotoarchiv seines Vaters. Einige Jahre vor seinem Tod 2004 soll er mit dem Stadtarchiv in Hannover wegen einer Übernahme in Verbindung gewesen sein, aber schließlich das Fotoarchiv seines Vaters einem Münchner Antiquar überlassen haben. Offenbar lieferte dieser das Archiv in ein kleines Münchner Auktionshaus ein, wo der Bestand in mehreren Teilen an unterschiedliche Interessenten weiterverkauft wurde. Es ergibt sich eine komplizierte Verkettung weiterer Verkäufe und Wiederverkäufe. Einer der Käufer bot gezielt einen umfangreichen Bestand von etwa 780 Tanzfotos und Tänzerportraits und einigen anderen Themen dem Deutschen Tanzarchiv Köln an, wo diese Aufnahmen ihren endgültigen Platz fanden. 2007 wurde von einer Münchner Händlerin ein umfangreiches Teilnachlass-Konvolut von ca. 2.000 Fotos im Berliner Auktionshaus Jeschke, Hauff & Auvermann wegen der quasi völligen Unbekanntheit des Fotografen bei einem Ausrufpreis von nur 300,00 € angeboten. Der Versuch, das Konvolut für eine öffentliche Sammlung zu erwerben, scheiterte an einem einzigen Gegenbieter, einem Berliner Händler, der die Schätzung leicht auf ein Mehrfaches in die Höhe treiben konnte, da er im Gegensatz zur öffentlichen Sammlung und ihrem bescheidenen Budget durch einzelne Weiterverkäufe seine Ausgaben leicht wieder refinanzieren konnte.
Einen Brief der öffentlichen Sammlung an den/die Einlieferer/in zur Klärung biografischer Informationen über den Fotografen leitete das Auktionshaus nicht an diese, sondern an den Käufer des Konvoluts weiter. Dieser lieferte nun ab Frühjahr 2008 ausgewählte Vintage-Fotos bei den auf Fotografie als Kunst spezialisierten Auktionshäusern in Berlin ein, namentlich bei Grisebach und Bassenge, machte so den Fotografen als Künstler bekannt und refinanzierte sich damit wie geplant den Ankauf des Konvoluts. Gleichzeitig verkaufte er etliche weniger spektakuläre Aufnahmen, welche die Kunstauktionshäuser wegen ihrer Mindestpreise nicht angenommen hatten, über die Internetplattform Ebay. Ein privater Sammler erwarb bei ihm den umfangreichen Restbestand des Konvoluts.
In Kürze entstand durch die Ergebnisse der Kunstauktionshäuser und die Nachfrage bei Ebay auf dieser Plattform jedoch durch diverse andere Händler ein regelrechtes Überangebot an Fotos von Will Burgdorf. Auch Glasplatten-Negative und -Dias von Aktfotos und immer wieder Portraitfotos von unbekannten Damen und Herren wurden hier (in der Regel: zu teuer) angeboten und manchmal auch verkauft. Bei den Kunstauktionshäusern führte der Versuch, aufgrund einzelner höherer Ergebnisse den durchschnittlichen Schätzpreis anzuheben, zu Rückgängen. Auch bei Ebay liegt der Umstand, dass mancher Händler schon seit Jahren immer wieder dieselben Porträtfotos namentlich unbekannter Personen nicht verkaufen kann, eindeutig an viel zu hohen, vom Kunstauktionsmarktniveau herausragender Aufnahmen irrig auf weniger bedeutende Fotos und auf den Marktplatz Ebay übertragenen Preisvorstellungen. Bemerkenswert war in den letzten Jahren nur das von einem bis dahin noch gar nicht involvierten Händler gemachte Angebot eines großen Teils des Negativarchivs des Fotografen mit etwa 6.000 Negativen (für einen dem Marktwert von Negativen entsprechenden, also gerechtfertigt geringen Preis).
Der Händler entschied sich in der Konkurrenz zwischen der öffentlichen Sammlung und dem privaten Sammler für diesen. Dies macht inhaltlich durchaus Sinn, weil die Negative der Tanz- und Tänzerfotos offenbar nicht in diesem Konvolut enthalten waren. Sofern sie noch existieren, harren sie also weiterhin der Auffindung und einer Lösung, um zum Nachlassteil mit Tanzfotos im Deutschen Tanzarchiv Köln zu gelangen.
Der besondere Bezug Will Burgdorfs zum Thema Tanz kam sicherlich durch seine Frau Maria zustande, die er in seiner Ausbildungszeit in Dresden kennenlernte und 1927 heiratete. Trotzdem die Biographien des Paares immer noch sehr lückenhaft sind, so ist doch überliefert, dass sie in Dresden eine Tanz- und Gymnastikausbildung absolviert hat. Vielleicht bei Mary Wigman: Burgdorf erhielt seine Ausbildung Anfang der 1920er Jahre im Atelier des Dresdener Fotografen Bruno Wiehr, der auch in der Wigmanschule fotografiert hat, z.B. 1923 bei einem Kostümfest. Als beide 1927 in Burgdorfs Heimatstadt Hannover übersiedelten, ergab sich bald ein engerer Kontakt zum Theater.
Möglicherweise kannte Maria Burgdorf aus der Dresdner Wigmanschule Yvonne Georgi, die zur Spielzeit 1926/27 in Hannover Tanzregisseurin am Theater wurde und zunächst in der Jägerstraße 12A eine Tanzschule eröffnete. Diese Schule, am 15. September 1927 nach der Übersiedlung ihres Tanzpartners Harald Kreutzberg mit diesem in der Bandelstraße 6/II wiedereröffnet, bot auch den Kontakt zur ersten Berufserfahrung im Theater. Das Bühnenjahrbuch weist in dieser Zeit vier bis sechs Eleven und Elevinnen und 30 Tanzschülerinnen als Mitwirkende aus.
Auf den Tanz- und Tänzerfotos von Will Burgdorf finden sich neben Harald Kreutzberg auch etliche derjenigen Schüler, die es als Mitglieder in die Tanzgruppe des Opernhauses schafften: namentlich der später als Schauspieler sehr bekannte Dieter Borsche, ferner Heinz Schwarze, Eduard Böttger, Ilke Schellenberg, Alice Hammerich und Gisela Jeimke.
Ebenfalls ließen sich Tänzer von Burgdorf fotografieren, die offenbar nicht am Theater engagiert waren und Aufnahmen für Bewerbungen und Gastspiele benötigten: Margot Dagmar, Käthe Heydenreich, Renate Heydenreich und Walter Howind und viele andere. – Darüber hinaus hat Will Burgdorf etliche Portraitaufnahmen von Hannoveraner Schauspielern, Künstlern, Schriftstellern und ihrer Freundes- und Bekanntenkreise angefertigt, unter anderem auch von Theodor Lessing* und Joachim Ringelnatz.
Biografie und Abbildungen
Abbildungen
*Theodor Lessing