Valeska Gert und Anita Berber hatten ihre schöpferische Hochphase als Tänzerinnen, Schauspielerinnen  – und in Gerts Fall auch als Kabarettistin – im Berlin der Weimarer Republik. Aus heutiger Sicht wurden beide zu dieser Zeit sehr geschätzt, gerieten aber zwischenzeitlich für mehrere Jahrzehnte in Vergessenheit. Bei unseren Recherchen mit den Nachlässen und Sammlungen von und über Valeska Gert und Anita Berber wurde unser Interesse geweckt, welche Verbindungen sich zwischen den beiden schillernden Figuren aus einer historisch distanzierten Perspektive herstellen lassen. Mit ihrer Kunst forderten sie das bürgerliche Publikum heraus und überschritten moralische und ästhetische Konventionen der Zeit. Ihre aus heutiger Sicht zum Teil als expressionistisch zu bezeichnenden Tänze entwickelten neue ästhetische Konzepte, widmeten sich Randfiguren der Gesellschaft und enttabuisierten Themen wie Prostitution, Drogensucht oder Erotik. Ein großer Unterschied zwischen Gert und Berber besteht allerdings darin, dass Valeska Gert sich des Stilmittels des Grotesken bediente und sich ihre Choreografien als Reflexion auf den Tanz lesen lassen, während Anita Berber ihre Thematiken eher verkörpernd vertanzte.

Obwohl beide also zum selben historischen Zeitpunkt und in einem ähnlichen sozio-kulturellen Kontext gearbeitet haben, gibt keine erhaltene Kommunikation zwischen den beiden Künstlerinnen. Basierend auf den sich für uns herauskristallisierenden Gemeinsamkeiten und Unterschieden wollen wir die beiden Tänzerinnen deshalb nun zum ersten Mal miteinander über ihr tänzerisches Selbstverständnis, ihre künstlerische Arbeit und ihr persönliches Leben kommunizieren lassen. Der folgende Text imaginiert deshalb ein Gespräch zwischen Anita Berber und Valeska Gert. Er ist von verschiedenen Texten unterschiedlicher Quellenlage inspiriert und wurde aus einer dialogischen, oder vielmehr multilogischen Anordnung verschiedener Stimmen, Haltungen und Äußerungen entwickelt. Der Text basiert auf belegbaren Beschreibungen von und über Anita Berber und Valeska Gert. Wir als Autorinnen nehmen uns aber die Freiheit, mit den Stimmen Berbers und Gerts zu sprechen und in ihrem Namen zu schreiben.

Valerie Wehrens und Marina Rouka
im Rahmen einer Übung im  M.A.-Studiengang Tanzwissenschaft (Modul: Historiographie) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln im SS 2018.

Valeska Gert: Anita, ich freue mich besonders, dich in diesem Text zu treffen und mit dir ins Gespräch zu kommen. Wir beide haben in Zeiten der Weimarer Republik viel Aufmerksamkeit auf uns gelenkt, da wir im Vergleich zu den anderen berühmten Tänzerinnen der Zeit, wie Mary Wigman, Niddy Impekoven, Gret Palucca eine ganz andere Art von Tänzerinnen darstellten. Nun möchte ich jetzt dich besser kennenlernen. Möchtest du dich kurz vorstellen?

Anita Berber: Mein Name ist Anita Berber. Ich wurde am 10. Juni 1899 in Leipzig geboren. Meine Mutter Lucie war Sängerin im Kabarett. Meine Eltern trennten sich nicht allzu lange nach meiner Geburt und weil meine Mutter wegen ihres Berufs viel unterwegs war wuchs ich hauptsächlich bei meiner Großmutter Luise auf.[1]  Für meine Bildung wurde schon gesorgt. Ob in der höheren Töchterschule in Dresden, einem Töchterbildungsinstitut in Weimar oder sogar in rhythmischen Kinderkursen bei Dalcroze. Aber nirgendwo blieb ich lange. Auch nicht bei Rita Sacchetto. Bei ihr habe ich ab 1915 Tanzunterricht genommen. Aber das war auch nicht lange auszuhalten.

Anita Berber, "Valse Impromptu" 1919, Foto © Atelier Ebert / Deutsches Tanzarchiv Köln

Ich habe dann freier gearbeitet und eigene Auftritte gehabt. Kurz war ich Mitglied im Nacktballett von der Celly, de Rheidt, wie sie sich genannt hat. Aber dann habe ich eigentlich viel mit meinen Partnern gearbeitet und bin durch Europa gereist, habe an kleinen und großen Bühnen getanzt und am Anfang auch viel Film gemacht als Schauspielerin.[2] Manchmal auch gemodelt, man muss halt sehen, wo man bleibt. Aber eigentlich wollte ich immer nur tanzen, tanzen, tanzen. Wegen meiner Filme war ich manchmal in Wien und dort haben ich mit Sebastian Droste dann auch viel gearbeitet und 1922 eine große Premiere gehabt. Aus Wien haben sie uns dann aber rausgeschmissen, dort durften wir wegen des Ärgers mit der Polizei nicht bleiben. Da war das mit den Drogen auch schon. Anfang 1923 sind wir zurück nach Berlin wo Sebastian ja dann abgehauen ist. Aber kurz danach hab ich ja auch Henri Chatín-Hofmann kennengelernt und mit ihm hab ich dann getanzt und neue Tänze entwickelt und aufgeführt. Wir waren auch zusammen auf Tournee, als ich dann krank geworden bin und nicht mehr konnte. Die Leute haben immer einen riesen Wirbel um mich gemacht. „Skandaltänzerin“ haben sie mich genannt, „Nackttänzerin“.[3] Ich verabscheue dieses Wort. Aber über mich wurde eh immer sehr viel geschrieben, alle mussten sie über mich berichten, was ich angeblich wieder gemacht hatte. Ich habe das Leben schon sehr … intensiv gelebt. Wollte alles in mich aufsaugen und war gleichzeitig fasziniert von all dem Unschönen, dem Abstoßenden, auch das wollte ich aufsaugen. Ich habe es immer doll getrieben. Daran liegt es wohl, dass ich dann so früh sterben werde. Schon mit 29. Im November. Den Winter hab ich eh nie gemocht. 

Aber genug von mir…! Ich finde es auch spannend, dass wir uns mal austauschen können. Über dein Leben weiß ich wirklich nicht viel. Würdest du mir ein bisschen darüber erzählen?

V.G: Ich wurde am 11. Januar 1892 als Gertrud Valeska Samosch in Berlin geboren. Meine Eltern waren gutbürgerliche Juden und mein Vater, Theodor Samosch, war ein Kaufmann und besaß eine Fabrik für Blumen und Federn.[4] Unsere finanzielle Lage war deswegen gut. Als ich sieben Jahre alt war, habe ich auf Wunsch meiner Mutter meine erste Ballettstunde erhalten. Mein Vorbild damals war Anna Pawlowa. Ich war ungefähr 21 oder 22 Jahre alt, als ich einen Schauspielunterricht von Maria Mossi erhalten habe, die mich 1916 an Rita Sacchetto für einen Tanzabend ihrer Tanzschule weitervermittelt hat. Da habe ich meinen ersten Solotanz gezeigt. Später in den 1920er Jahren habe ich als Schauspielerin in Theaterstücken sowie in Filmen als Tänzerin und Kabarettistin gearbeitet und viele berühmte Künstler kennengelernt und mit ihnen zusammengearbeitet.

Valeska Gert in "Japanische Groteske" 1917. © Deutsches Tanzarchiv Köln

Für die Spielzeit 1916/17 habe ich ein Engagement an Otto Falckenbergs Münchner Kammerspielen erhalten und im Jahr darauf konnte ich bereits große Erfolge als Solotänzerin in Berlin und München verzeichnen. 1918/19 habe ich mit Max Reinhardt am Deutschen Theater gearbeitet und 1919/20 habe ich in diversen Rollen an der Tribüne in Berlin gespielt. Ich habe auch in Filmen mitgewirkt. 1924 bin ich zum ersten Mal in dem Film Ein Sommernachtstraum aufgetreten und später habe ich Haupt- und Nebenrollen in Filmen von G. W. Pabst, Jean Renoir und Henrik Galeen unter anderen gespielt. In einigen Kabaretts habe ich auch Auftritte gehabt einschließlich 1919 Max Reinhardts Schall und Rauch und 1922 bei Bertolt Brechts einmaliger Vorstellung Die Rote Zibebe.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten habe ich meine Auftrittsmöglichkeiten verloren und ich bin zuerst nach London und 1939 in die USA emigriert. Da habe ich als Tellerwäscherin und Aktmodell gearbeitet und 1941 habe ich in New York meine Bettlerbar eröffnet. Nach dem Krieg und bevor ich nach Berlin zurückgekehrt bin, habe ich kurz in Paris und in Zürich gelebt und das Café Valeska und ihr Küchenpersonal betrieben. Später habe ich in Berlin das Kabarett Hexenküche eröffnet, aber es wurde 1956 geschlossen und danach bin ich auf die Insel Sylt umgezogen. Dort habe ich das Kabarett Ziegenstall betrieben. Ich habe für lange Zeit versucht, mir wieder einen großen Namen zu machen, aber ich war schon in Vergessenheit geraten. Ich wurde am 18. März 1978 tot aufgefunden.

Am Anfang meiner Karriere erschien alles noch viel einfacher… Kannst du dich noch an deine Anfänge erinnern, Anita?

A.B.: 1917 im März habe ich einen ersten eigenen Tanzabend gezeigt, kurz nachdem ich bei der Sacchetto weg bin. Bei ihr konnte man schon viel lernen und viele tolle Mädels kennen lernen. Dort haben wir uns ja auch zum ersten Mal getroffen, Valeska. Ich weiß noch, dass du um Einiges älter warst als ich und dich schon ordentlich ernst genommen hast, weil du schon Schauspielerin warst. Als Tänzerin warst du recht speziell, wie ich finde. Die Sacchetto wollte nicht, dass ich so viel Aufmerksamkeit kriege[5], deshalb bin ich von ihr weg und habe meinen eigenen Tanzabend gezeigt, da war ich 18. Ich habe viele kurze Tänze getanzt und genossen, was mein Körper machen kann. Mit viel Kostüm und Musik und Masken. Das hat mir Freude bereitet. Aber vor allem der Körper.[6] 

Und dein erster Auftritt?

V. G.: Ich war 24 Jahre alt und habe meinen ersten Solotanz Tanz in Orange gezeigt, der das Publikum sehr provoziert hat. So wurde schon mein erster Auftritt zu einem Skandal. Dieser Abend war nur der Anfang meiner Karriere. Ich habe meine Gesichtsausdrücke, meine Gesten und Bewegungen überspitzt und abwechselnd anmutig oder wild getanzt.[7]

Schon dieser erste Auftritt hat meine künstlerische Identität vorangebracht und ich habe eine persönliche Stilrichtung geschaffen. Ich habe Tanz, Pantomime und Schauspiel verbunden und wurde später als Grotesk-, Avantgarde- oder auch Ausdruckstänzerin charakterisiert.[8] Ich liebte es, dass die Menschen ausgerastet sind, weil ich genau das wollte[9], das Publikum bzw. das Bürgertum zu provozieren.[10]           

Valeska Gert in "Tanz in Orange". Foto © Lise Lobe / Deutsches Tanzarchiv Köln

A.B.: Das kann ich sehr gut nachempfinden! Am Anfang hab‘ ich ja noch viel Film gemacht, so drei Jahre ungefähr. Besonders mit Richard Oswald. Der hat viel gemacht, was damals als radikal empfunden wurde, als Herausforderung der empfindlichen Gemüter.[11] Das hat mir gefallen, das Publikum zu provozieren.

V.G.: Aber du hast doch auch besonders mit deinen Tänzen provoziert und nicht nur mit deinen Filmen.

A.B.: Ja schon, so ab 1922 wars nix mehr mit dem Film. Ich hatte ja dann auch schon Sebastian Droste[12] kennengelernt und mich mehr auf den Tanz konzentriert. Für meine Tänze hat sich aber kaum jemand länger interessiert. Immer war es viel interessanter über mich zu berichten, wie ich mich wieder danebenbenommen hab. Anita, die prügelt sich; Anita, die provoziert Skandale…Zu Die Tänze des Grauens, des Lasters und der Ekstase haben Sebastian und ich ja ein Buch veröffentlich mit Gedichten, das waren schon tolle Tänze. Morphium zum Beispiel, oder Cocain. Diese Tänze waren meines Erachtens schon sehr inhaltlich.

Sebastian Droste und Anita Berber in "Morphium", Foto © Atelier Ebert / Deutsches Tanzarchiv Köln

V.G.: Findest du? Ich kann nicht verstehen, warum du so eine buchstäbliche Nacktheit gewählt hast für deine Tänze. Mir war es in meinen Tänzen immer viel wichtiger, sexuelle Anspielungen zu machen, die Sexualität eines Tanzes aufzudecken und konventionelle weibliche Zuschreibungen zuzuspitzen und zu durchbrechen.

A.B.: Was für ein alter Hut! Wer meine Tänze als Nackttänze beschreibt, der scheint nicht in der Lage, über die Oberfläche des Fleischlichen hinauszusehen. Mein Körper wird zum Anlass des Skandals, wo es doch die bürgerliche Unmoral dieser Gesellschaft sein sollte, die das Publikum erzürnt. Doch auch im Theater scheinen sie ihre Augen davor verschließen zu können.

V.G: Ich verstehe, was du meinst. Ich habe mich auch danebenbenommen und war immer eine unkonventionelle und hemmungslose Frau und Künstlerin. Ich habe mich exzentrisch gekleidet, mein Gesicht weiß gepudert, Gewänder in grellen Farben angezogen, meine schwarzen Haare kurz schneiden lassen und die Lippen knallrot angemalt.

Anita Berber. Foto © d'Ora / Deutsches Tanzarchiv Köln

Ich habe als Jugendliche über die Berliner Boulevards flaniert, was damals den Ruf einer Frau schädigen konnte[13]. Meine Tänze und meine verkörperten Sujets, die „Verachteten, Dirnen, Kupplerinnen, Ausgeglitschte[n] und Herabgekommene[n]“[14] hatten nicht die gängigen Vorstellungen von Weiblichkeit und Schönheit der Zeit erfüllt. Daraufhin war es mir bewusst, dass die Themen, die Darbietungen meiner Tänze und ihrer Inszenierungen zu „brutal“[15] und „unmoralisch“[16] für die Bürger waren. Die gute Gesellschaft konnte es nicht ertragen, emanzipierte Frauen und offensichtliche Sexualität auf der Bühne zu sehen.

A.B: Ja genau, aber so etwas macht dich zur Außenseiterin. Mit meinen Themen, mit meinen Kostümen, ja, manchmal war ich auch fast nackt, konnte ich keine Tänzerin sein, wie es andere große Tänzerinnen zu dieser Zeit gab.  Ich gehörte nicht zu ihnen. Konnte nicht zu ihnen gehören. Dass die Leute nicht verstehen, dass meine Nacktheit Teil des Erlebens ist. Ihr Schock amüsiert mich, befeuert mich, widert mich an. Dabei ändert sich ja auch, was die Menschen überhaupt als „nackt“ empfinden. In ein paar Jahrzehnten wird man über mich schreiben, dass ich aus Sicht des 21. Jahrhunderts noch nicht mal vollständig nackt gewesen bin.[17] Sag‘ das mal den Leuten im Jahr 2019! Aber ich habe auch andere Tänze gemacht. In 1-ère Arabesque zum Beispiel hat mich zum Beispiel die Musik von Debussy interessiert, die ich ganz akkurat vertanzen wollte. Jedem Takt in der Musik entspricht eine Bewegung.[18] Ich habe immer gerne zu klassischer Musik getanzt.

Anita Berber. Foto © d'Ora / Deutsches Tanzarchiv Köln

V.G: Es scheint mir, dass du nur eine anmutige Tänzerin warst, die zur „schönen“ Musik getanzt hat. Ich wollte, dass sich die Musik meinen Tänzen anpasst und nicht umgekehrt, deswegen tanzte ich häufig ohne Musik[19] oder von „einfache[r], melodiöse[r]” Musik begleitet[20]. Allerdings hatte ich die Idee einer Musik, die aus „Wirklichkeitsgeräuschen“ besteht, das ist, was ich mir gewünscht habe.[21]

Solche Auffassungen von mir über Musik aber auch der Einsatz gewisser Darstellungsmittel, wie das Spiel mit dem Tempo, das Prinzip der Montage, der Kontrastierung und der Szenenwechsel in meinen Tänzen positionieren mich im Kontext der Avantgarde.[22] Außerdem wird später meine Ästhetik als Groteske charakterisiert, vor allem wegen meiner übertreibenden, verzerrten und abrupten Bewegungen und meiner parodistischen und hässlichen Darstellungen.[23] Ich war auch die erste Tänzerin, die das Gesicht und den Ton als Ausdrucksmöglichkeiten für den Tanz genutzt hat.[24]

Ich wollte mit meinen Darbietungen die konventionellen Genregrenzen sprengen.[25] Meine kurzen Nummern dauerten auch meist nur wenige Minuten. Das Spektrum meiner Verkörperungen reichte von Personen und leblosen Objekten über Gemütszustände wie die Nervosität der Großstadt, bis hin zu populärkulturellen Aktivitäten der 1920er: Kino, Tanz, Boxen, Zirkus, Sport.[26] Ich habe zwar allein auf der Bühne getanzt, aber ich habe das Publikum immer als meinen Partner angesehen und versucht mit ihm zu interagieren. Diese Wechselwirkung hat meine Tänze jeden Abend beeinflusst und verändert.[27] Erzähl‘ mir noch ein wenig, wie das bei dir war. Darüber weiß ich kaum etwas. Was hast du auf der Bühne gezeigt?

A.B: Grundsätzlich habe ich viele Tanzabende gegeben, bei denen man mehrere kurze Tänze hintereinander tanzt, also mit Kostümwechsel und unterschiedlicher Musik. Da habe ich viele Tänze immer wieder gezeigt und auch verändert. Wir haben immer viel auf Varietébühnen getanzt und dann später auch in Nachtlokalen oder Ähnlichem. Überall, wo man uns tanzen ließ. Aber meinen Tanz haben die immer nur als Nackttanz verstanden, als Skandal. Deshalb hat man mich seit meiner Zusammenarbeit mit Sebastian kaum mehr als Tänzerin, als Künstlerin anerkannt.[28] Deshalb hatten meine Tänze es auch so schwer. Du warst als Künstlerin ja viel anerkannter als ich. Unter welchen künstlerischen Einflüssen hat sich deine Arbeit denn entwickelt?

V.G: Die Entblößung des Körpers kombiniert mit Themen, wie Erotik, Sexualität, Laster oder Drogen waren viel zu viel für die heuchlerische Moral der Bourgeoisie. Kurt Tucholsky hat meinen Tanz Canaille auch als Nackttanz bezeichnet,[29] obwohl ich nicht nackt auf der Bühne war. Ich kann von daher teilweise nachvollziehen, warum du nur als eine Nackttänzerin wahrgenommen wurdest. Ich habe ja während meines Lebens mit vielen avantgardistischen Theater- und Filmregisseuren - unter anderem Max Reinhardt, Bertolt Brecht, später mit Federico Fellini - zusammengearbeitet.

Auf Wunsch des Fotografen: Valeska Gert in einer Drehpause zum "Dreigroschenoper"-Film 1931. Foto © Hans Casparius / Stiftung Deutsche Kinemathek, mit freundlicher Genehmigung.

Viele Dadaisten und Surrealisten habe ich auch kennengelernt und war mit vielen bahnbrechenden Künstlern der 1920er Jahre befreundet, unter anderem Sergei Eisenstein, Vsevolod Meyerhold, Wladimir Majakowski. Viele Darstellungsmittel und Techniken aus den Filmen habe ich in meine Tänze überführt. Mit Blick auf meine sozialkritischen Randfiguren wie die Canaille, Kupplerin, Amme, das Laster wird der Einfluss der Brecht‘schen Theorien auf meine Kunst sichtbar und mein Tanz lässt sich deshalb als Epischer Tanz charakterisieren.[30] Ich habe mich von der sozialen Realität, der Kultur und den Menschen der Weimarer Republik inspirieren lassen und Erscheinungen aus dem Alltag künstlerisch herausarbeitet und auf der Bühne gezeigt.[31]
In deinen Tänzen tauchen ja ähnliche Figuren auf wie in meinen. Aber wie hast du mit diesen gearbeitet?

A.B.: Man merkt, dass du aus dem Schauspiel kommst, weil du von Figuren redest. Ich spiele nicht in meinen Tänzen, ich spiele nicht mit meinen Tänzen. Ich würde deshalb nicht sagen, dass es in diesen Stücken Figuren gibt. Die Realität eines wahrhaften Erlebens bringt diese Tänze hervor. Ich nehme mein Leben und verwandle es in Tanz. Nein, vielmehr gehe ich tanzend mit meinem Leben um. Daher speist sich mein Tanz direkt aus mir. [32] Wie Sebastian in unserem Buch schreibt: „Anita Berber spielt nicht berechnend mit den Möglichkeiten geiler Zeiten/ Anita Berber ist das Laster / So wie sie das Grauen ist / Das Grauen und die Ekstase / Nicht wohlstudiertes Überlegen erpreßt uns die Tänze wie „Selbstmord“ und „Mord Weib und Gehenkter“ / Sondern dumpfquälendes brustzerreißendes wühlendes Erleben“[33].  Nur aus der Emotion heraus kann ich tanzen und nur die wahre Emotion eignet sich dazu, getanzt zu sein. Nicht das Elend anderer Menschen beobachte ich aus der Distanz, sondern ich fühle es mit. Fühle mein eigenes Elend, stürze mich hinein, bin davon erfüllt und fülle es aus.[34] Deshalb kann auch der Tanz keine Distanz zu diesem gequälten, quälenden Mitfühlen haben – sonst ist er tot, sonst ist er reine Technik.[35] Mein Tanz ist meine Wahrheit. Meine Wahrheit verkörpert in Bewegung. Über andere große Tänzerinnen, auch über dich Valeska wird gesagt, sie hätten eine Kunstfigur geschaffen, eine Persona. Wie kann man diese Dinge mit Überlegtheit angehen? Mit Ironie? Mit Witz? Wie kann der Tanz etwas anderes sein als das Herauspressen unseres Seins?

V.G.: Ich sehe das etwas anders! Ich thematisiere in meinen Tänzen Wahrnehmungsstrukturen und Widersprüche der 1920er Jahre und halte eine gesellschaftskritische Haltung, die ihren Niederschlag in der Verwendung grotesker, mimetischer, parodistischer Gestaltungsmittel findet. Dafür braucht es etwas Distanz, man kann nicht vollständig in seinem Tanz aufgehen, wenn man gleichzeitig die gesamte Gesellschaft angreifen will. Zudem plädiere ich für vereinfachte und auf die Wesentliche reduzierte Bewegungen und Raumsituation, weil nur auf diese Weise meiner Meinung nach der „intensivste[] Ausdruck, nämlich das Tanzen“[36] entstehen kann.

Valeska Gert als "Kupplerin", gefilmt von Suse Byk 1925. © Deutsches Tanzarchiv Köln

Das war mir immer schon sehr wichtig, weshalb es mich auch so wütend gemacht hat, wie der Tanz zu unserer Zeit ausgesehen hat. Vielleicht hast du von meiner Auseinandersetzung mit der Wigman gehört?[37]

A.B.: Ja, davon habe ich schon gehört. Nur verstanden habe ich nichts. Was nutzt es, wenn du einen Angriff auf Wigman wagst, um deinen Tanz zu verteidigen? Wen interessiert diese Eitelkeit? Was nutzt es, über den Tanz zu schreiben und sich in ewiger Theorie zu ergehen? Wird doch dadurch die Kunst auch nicht lebendiger. Aber am Schlimmsten sind die Zuschauer, sie quälen mich. Ich kann sie nicht ertragen. Valeska, ich frage dich: Wie kannst du mit diesem dummen Publikum umgehen, ohne den Verstand zu verlieren? Wer würde bei diesen dummen, vorlauten Gesichtern nicht verrückt werden?[38] Wissen sie, was mir die Aufführung bedeutet? Wissen sie es?[39]

V.G.: Wie ich vorhin schon sagte, war mir immer wichtig, eine gewisse Form von Distanz zu meinen Tänzen zu haben, auch einen analytischen Blick zu behalten. Du hast ja schon immer sehr viel von deinem Privaten eingebracht.

A.B.: Ich denke nicht, dass ich Bühne und Privates je voneinander trennen konnte. Meine Kunst war viel zu persönlich. Und ich halte auch von der Trennung zwischen Kunst und Leben nichts.[40]
Drei Mal war ich verheiratet, aber nie hätte ich nur mit einem Mann leben können. Oder nur mit Männern. Meine erste Ehe mit Eberhard[41] war ein Spaß, aber wurde allzu bald dann lästig. Vergnügt habe ich mich eh immer. Sehnsucht hatte ich. Ich fühlte eine „Geschlechtslosigkeit / Die doch alle Geschlechter in sich hat“.[42]   
Später habe ich mit meinen Partnern dann auch die Bühne geteilt. Mit Sebastian und Henri habe ich getanzt, geliebt, gestritten und eben geheiratet. Das Leben war immer schwierig und immer war das Geld knapp. Gerade in den letzten Jahren, als es dann mit mir zu Ende ging und mich kaum jemand mehr kennen wollte, ich arm und fast vergessen war. Besonders wichtig war mir deshalb das Hier und Jetzt. Und um ganz ehrlich zu sein, hat es mich während meines Lebens auch nicht die Bohne interessiert, was nach meinem Tod passiert.

V.G.:  Hm, ja. Ich dagegen war sehr daran interessiert, die Erinnerung an mich lebendig zu halten.[43] Neben meinen Tänzen habe ich mich darum gekümmert, mein Leben und meine Rezeption noch stärker mitzugestalten, indem ich vier Autobiographien und viele Aufsätze geschrieben habe, die in den Zeitungen publiziert wurden.[44] Meine ersten Erinnerungen habe ich 1930 unter dem Titel Mein Weg veröffentlicht, 1950 folgte Die Bettlerbar von New York, 1968 Ich bin eine Hexe - Kaleidoskop meines Lebens, und 1973 erschien das Buch Katze von Kampen. Mir war es schon sehr wichtig mitbestimmen zu können, was über mich gedacht und geschrieben wird. Mein Schreiben gehört ebenso zu meinem künstlerischen Schaffen und in der Zukunft wird es viel diskutiert und aufgearbeitet werden und Interesse an meiner Person anregen.

A.B.: Was interessiert mich die Zukunft, wenn die Gegenwart es kaum wert ist, sie zu ertragen. Ich wollte keine Bücher schreiben, keine Briefe sammeln. Deshalb ist von mir auch kein wirkliches Vermächtnis oder so etwas erhalten. Was interessiert mich die Zukunft? Eine nicht erfüllbare Drohung, unheilverkündend, schwebend, lauernd, wartend. Ich sterbe mit 29 Jahren. Das war die Erfüllung einer unerwarteten Ahnung.

V.G.: Das hast du schön gesagt! Vielleicht nutzen wir das als unser Schlusswort? Ich danke dir sehr, dass du deine Geschichte und deine Gedanken mit mir geteilt hast!

A.B.: Ich danke dir auch für dieses Gespräch, Valeska!


Literaturhinweise

  • Berber, Anita und Sebastian Droste. Die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase. Gloriette-Verlag, Wien, 1923 (Exemplar 999).
  • Berliner Börsen Kurier, Anita Berber Kritik. Theater und Musik. Ein Tanzabend. Nr. 111, 17. März 1917.
  • Fischer, Lothar. Anita Berber. Göttin der Nacht. Collage eines kurzen Lebens.
  • Edition Ebersbach, Berlin, 2. Auflage 2006.
  • Feld, Hans. „Anita Berber. Die Repräsentantin einer Generation“. In: Film Kurier, 13. November 1928.
  • Foellmer, Susanne. Valeska Gert. Fragmente einer Avantgardistin in Tanz und Schauspiel der 1920er Jahre. Transcript, Bielefeld 2006.
  • Gert, Valeska. „Mary Wigman und Valeska Gert“. In: Der Querschnitt, Jg. 6, Heft 5, 1926, S. 361–363.
  • Dies. Mein Weg, Leipzig 1931.
  • Dies. Die Katze von Kampen. Schulz, Percha 1973.
  • Dies. Ich bin eine Hexe. Kaleidoskop meines Lebens. Schneekluth, München 1968.
  • Hasselberg, Anne. Anita Berber. Magisterarbeit, Philosophische Fakultät II, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, April 1991.
  • Hildenbrandt, Fred. „Tumult in der Weißen Maus“. In: Fred Hildenbrandt …ich soll dich grüßen von Berlin. 192232. Berliner Erinnerungen ganz unpolitisch. Ehrenwirth, München, 6. Auflage 1984, S. 198–202.
  • Ders. Die Tänzerin Valeska Gert. Walter Hädecke, Stuttgart 1928.
  • Hylenski, Kristen M. „‚Kaleidoskop meines Lebens‘. Valeska Gert's Performances of the Self“. In: Colloquia Germanica, Vol. 42, No. 4, 2009, S. 289-306. Weblink [Aufgerufen am 12. November 2018].
  • Jenčík, Joe. Anita Berber Studie. Jan Reimoser, Prag 1930. Neuausgabe in deutscher Übersetzung: K. Kieser, München 2014.
  • Kolb, Alexandra. „‚There was never anythin' like this!!!‘ Valeska Gert‘s Performances in the Context of Weimar Culture.” In: The European legacy. Vol. 12, Nr.3, 2007, S. 293–309. Weblink [Aufgerufen am 12. November 2018].
  • Kraus, Karl. Die Fackel. 24. Jg., Nr. 601–607, November 1922, S.29–30.
  • Peter, Frank-Manuel. Valeska Gert. Tänzerin, Schauspielerin, Kabarettistin. Hentrich, Berlin, 2. Auflage 1987.
  • Schacht, Roland. „Anita Berber gestorben. Ein früh zerstörtes Leben“. In: Hannoverscher Kurier, 14. November 1928.
  • Schrewe, Hartmut. „Die Farbe Anita Berber“. In: Joe Jenčík, Anita Berber Studie. Jan Reimoser, Prag 1930. Neuausgabe in deutscher Übersetzung: K. Kieser, München 2014, S. 77–82.
  • Tucholsky, Kurt (Pseud.: Peter Panter). „Valeska Gert“. In: Die Weltbühne, Jg. 17-1921, H.7, S. 204f.
  • Withelm, Johanna. „Tanz der erlebten Inbrunst. Eine radikale Künstlerin in einer aus den Fugen geratenen Zeit“. In: Joe Jenčík. Anita Berber Studie. Jan Reimoser, Prag 1930. Neuausgabe in deutscher Übersetzung: K. Kieser, München 2014, S. 64–69.

[1] Vgl. Lothar Fischer, Anita Berber. Göttin der Nacht. Collage eines kurzen Lebens.
Edition Ebersbach, Berlin, 2. Auflage, 2006, S. 15.

[2] Vgl. Fischer, 2006, S. 189f.

[3] Vgl. Fred Hildenbrandt …ich soll dich grüßen von Berlin. 192232. Berliner Erinnerungen ganz unpolitisch. Ehrenwirth, München, 6. Auflage, 1984, S. 198.

[4] Alle Angaben in diesem Absatz orientieren sich an Frank-Manuel Peter, Valeska Gert. Tänzerin, Schauspielerin, Kabarettistin, Hentrich, Berlin, 2. Auflage, 1987.

[5] Vgl. Fischer, 2006, S. 28.

[6] Vgl. Berliner Börsen Kurier, Anita Berber Kritik. Theater und Musik. Ein Tanzabend. Nr. 111, 17. März 1917.

[7] „Voll Übermut knallte ich wie eine Bombe aus der Kulisse. Und dieselben Bewegungen, die ich auf der Probe sanft und anmutig getanzt hatte, übertrieb ich jetzt wild. Mit Riesenschritten stürmte ich quer über das Podium, die Arme schlenkerten wie ein großes Pendel, die Hände spreizten sich, das Gesicht verzerrte sich zu frechen Grimassen. Dann tanzte ich süß. Jawohl, ich kann auch süß sein, viel süßer als die anderen. Im nächsten Augenblick hatte das Publikum wieder eine Ohrfeige weg. Der Tanz war ein Funke im Pulverfass. Das Publikum explodierte, schrie, pfiff, jubelte. Ich zog, frech grinsend, ab. Die moderne Tanzsatire war geboren, ohne dass ich es wollte oder wusste. Und dadurch, dass ich unvermittelt süß nach frech, sanft auf hart setzte, gestaltete ich zum ersten Mal etwas für diese Zeit sehr Charakteristisches, die Unausgeglichenheit“, Valeska Gert. Ich bin eine Hexe. Kaleidoskop meines Lebens. Schneekluth, München 1968, S. 31f., zitiert nach Susanne Foellmer, Valeska Gert. Fragmente einer Avantgardistin in Tanz und Schauspiel der 1920er Jahre. Transcript, Bielefeld, 2006, S.52

[8] Vgl. Peter, 1987; vgl. Foellmer, 2006; vgl. Alexandra Kolb, „'There was never anythin' like this!!!' Valeska Gert‘s Performances in the Context of Weimar Culture.” In: The European legacy. Vol. 12, Nr.3, 2007, S. 293–309. Es wird darauf verwiesen, dass das künstlerische Wirken von Gert vielfältig und nicht unter einen Begriff unterzuordnen ist.

[9] „...der Krach war Lebenselement für mich, ich wollte die Menschen in Bewegung bringen, je mehr sie brüllten, desto kühner wurde ich“, Gert, Hexe, S. 32 zitiert nach Foellmer, 2006, S. 53.

[10] „...war ich so übermütig und so sehr erfüllt von dem Trieb, das Publikum aufzurütteln“, Valeska Gert, Mein Weg, Leipzig, 1931, S. 25, zitiert nach Peter, 1987, S. 30.

[11] Vgl. Fischer, 2006, S. 57.

[12] Sebastian Droste hieß mit bürgerlichem Namen Willi Knobloch.

[13] Vgl. Foellmer, 2006, S. 89.

[14] Valeska Gert, 1931, S. 39 zitiert nach Peter, 1987, S. 44.

[15] Vgl.  Valeska Gert: „Mary Wigman und Valeska Gert“, in: Der Querschnitt, Jg. 6, Heft 5, 1926, S. 361–363.

[16] Ebd.

[17] „Wirklich nackt im heutigen Sinne war Anita Berber dabei wahrscheinlich nur in ihrem Solo Salome. Nackt war eine Tänzerin für den Betrachter jener Jahre bereits mit unbedeckten Armen und Beinen, für den anderen mit entblößten Brüsten. In diesem Sinne war Anita Berber eine nackte Tänzerin. Das Provokante, das Skandalöse ihrer Tänze, das Radikale dieser Künstlerin waren jedoch ihre Themenwahl und ihre schonungslose Selbstoffenbarung ihrer selbst. Wenn Anita Berber eine Nackttänzerin war, dann eine seelische.“  Hartmut Schrewe „Die Farbe Anita Berber“. In: Joe Jenčík, Anita Berber Studie. Jan Reimoser, Prag 1930. Neuausgabe in deutscher Übersetzung: K. Kieser, München, 2014, S. 77.

[18] „Das Bewegungsgewebe in 1-ère Arabesque wob sie getreu dem klanglichen und rhythmischen Vorbild des Meisters: Die halben Noten setze sie in Halbschritte, die Achtelnoten in Achtelschritte um. Die Arme und Beine tanzten kontrapunktisch zu den Beinen; sie übernahmen beispielsweise das erste Thema, während die Beine im zweiten Thema zum Tragen kamen. […] Sie tanzte Debussy mit unerreicht einfachen Schritten und Wendungen, plastisch und bildnerisch, wie es ihrer entblößten Seele entsprach. Der äußere Eindruck, den dieser sterile Tanz hinterließ, war das choreographische Spiel des Großvaters, das von seiner talentierten und liebenden Enkelin genau umgesetzt wurde. Debussy und die Berber!“ Jenčík, 2014, S. 25f.

[19] Vgl. Foellmer, 2006, S. 219.

[20] „Ich nehme nur einfache, melodiöse Musik. Ich habe noch nie eine Musik gehabt, die man nicht auf jeder Eisbahn spielen kann. Meistens streiche ich mehrere Teile heraus und setzte dafür passende aus anderen Musikstücken hinein“. Valeska Gert, Mein Weg, 1931, S. 44 zitiert nach Foellmer, 2006, S. 219.

[21] Vgl. Gert, 1931, S. 44f., zitiert nach Peter, 1987, S. 49.

[22] Vgl. Foellmer, 2006, Kapitel 1.

[23] Ebd., Kapitel 3.

[24] Vgl. Peter, 1987, S. 42.

[25] „Ich wollte über alle Grenzen hinaus, mein Gesicht verwandelte sich zu Masken, mein Rhythmus knallte, bis ich wie ein Motor stampfte“, Gert zitiert nach Peter, 1987, S. 30.

[26] „Ich habe in meinen Tänzen alle Zeiterscheinungen und Auswüchse, die sich durch den Körper darstellen lassen, ausgedrückt. Ich habe Dirnen, Kupplerinnen, Zirkus, Varieté, alle Sportarten komprimiert und in Einminutentempo auf die Bühne gestellt. Ich habe das Ballett, den spanischen Varietetanz überspitzt, Geburt, Liebe, Tod und Demut in drei, vier wesentlichen Bewegungen gepresst, alles klar, schnell, eindeutig“. Gert, 1926, S. 361-363.

[27] Vgl. Fred Hildenbrandt, Die Tänzerin Valeska Gert, Walter Hädecke, Stuttgart, 1928, S.107, zitiert nach Foellmer, 2006, S. 181–182.

[28] Vgl. ihre Rezeption in ihren Nachrufen: „Vor zehn Jahren bedeutete sie unserer Generation noch die Inkarnation des Perversen. Man sprach von ihr mit leichtem Frösteln, mit entschiedener Ablehnung dieser Art der Mentalität. Acht Jahre später sah man sie in einer Bar, nicht mehr so gestrafft, sicher, wie früher. Das Laster mehr aufgetragen als glaubhaft. Nicht mehr aktuell, nicht mehr im Mittelpunkt. Dann vergaß man sie.“ Hans Feld. „Anita Berber. Die Repräsentantin einer Generation“. In: Film Kurier, 13. November 1928, ohne Seitenangaben. Vgl. auch Roland Schacht. „Anita Berber gestorben. Ein früh zerstörtes Leben“. In: Hannoverscher Kurier, 14. November 1928.

[29] „...wer sich je bei den berüchtigten Berliner Nackttänzen nach dem Laster gesehnt hat: hier ist es“. Kurt Tucholsky, „Valeska Gert“. In: Die Weltbühne, Jg. 17-1921, H.7, S. 204f., zitiert nach Peter, 1987, S. 45.

[30] Vgl. Foellmer, 2006, Kapitel 2.

[31] Vgl. Foellmer, 2006; vgl. Kolb, 2007. Beide zeigen den Einfluss des kulturellen Umfelds der Weimarer Republik auf die Arbeit Gerts auf.

[32] Jenčík, 2014, S. 45                                                 

[33] Sebastian Droste: „Der Tanz als Form und Erleben“. In: Anita Berber und Sebastian Droste. Tänze des Lasters, des Grauen und der Ekstase, Gloriette-Verlag, Wien, 1923, Exemplar 999, S. 15.

[34] „Setzte sie [A.B.] nicht ihr gesamtes Leben exhibitionistisch in Szene, theatralisierte es auf diese Art und Weise: leidenschaftlich, vorbehaltlos, kompromisslos, wie gehetzt, rückhaltlos, total? Anita Berber steuerte unter einem emotionalen Zwang permanent auf den Exzess zu. Es findet keine Verfremdung oder Abstraktion ihrer künstlerischen und privaten Aktivitäten statt.“ Anne Hasselberg. Anita Berber. Magisterarbeit, Philosophische Fakultät II, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, April 1991, S. 36.

[35] „Doch Technik verstumpfte den Geist - - -/Viele Tänzer sind Technik mit wenig Geist – ohne Erleben – stumpf / Und darum mittellos – ungeistig – tot“. Sebastian Droste: „Der Tanz als Form und Erleben“. In: Berber und Droste, 1923, S. 14.

[36] Vgl. Gert, 1926, S. 361–363.

[37] Vgl. Foellmer, 2006, Kapitel 4. Foellmer bietet in diesem Kapitel einen ausführlichen Vergleich zwischen den beiden Tänzerinnen.

[38] „Alle Leute sagen, ich wäre verrückt geworden und säße tobend, eingesperrt in Steinhof! Ist das nicht schrecklich? […] Darum, lieber Herr Redakteur, berichten sie den vorlauten Leuten, dass alles gar nicht wahr ist“. Brief von Anita Berber, veröffentlicht in: Karl Kraus. Die Fackel, 24. Jg. Nr. 601–607, November 1922, S. 29f.

[39] „‘Die Vorführung‘, wiederholte sie träumerisch. ‚Die Vorführung ist mir ernst. Ich habe das mit den Mädels lange einstudiert. Wir tanzen den Tod, die Krankheit, die Schwangerschaft, die Syphilis, den Wahnsinn, das Sterben, das Siechtum, den Selbstmord, und kein Mensch nimmt uns ernst. Sie glotzen nur auf unsere Schleier, ob sie nicht darunter etwas sehen können, die Schweine.‘“ Hildenbrandt, 1984, S. 201.

[40] Jenčík, 2014, S. 44f.

[41] Mit vollem Namen Eberhard von Nathanius.

[42] Anita Berber. „Orchideen“. In: Berber und Sebastian Droste, 1923, S. 53

[43] „Warum ich schreibe? Nie hat mich irgend etwas so bewegt und erregt wie der Gedanke an die Vergänglichkeit. Ich will bleiben. Darum tanzte ich, darum gröhlte, sang ich, darum spielte ich, darum schreibe ich. Vielleicht, dachte ich, liest jemand meine Bücher, wenn ich tot bin, und vielleicht liebt er mich“. Das ist der Schlusssatz ihres Briefes an Werner Höfer, Valeska Gert, Die Katze von Kampen. Schulz, Percha, 1973, S. 16

[44] Vgl. Kristen M. Hylenski, „Kaleidoskop meines Lebens. Valeska Gert's Performances of the Self”. In: Colloquia Germanica, Vol. 42, No. 4 (2009), S. 289–306