von Geertje Andresen

WeltberĂŒhmt wird sie wegen ihres komödiantischen Tanztalents, ihrer Leichtigkeit und ihrer außergewöhnlichen Sprungkraft. Die „HochtĂ€nzerin“ Yvonne Georgi ist eine der wenigen modernen TĂ€nzerinnen, die mit ihrer Kunst ein großes internationales Publikum sowohl in den fĂŒr den Ausdruckstanz „goldenen“ 1920er Jahren, als auch als Choreographin in den 1950er und 1960er Jahren begeistern kann. Dabei entdeckt sie als Jugendliche das Tanzen fĂŒr sich nur so nebenbei, als zufĂ€lligen Spaß. Am 23. Oktober 1903 kommt sie in Leipzig als Tochter einer französischen Mutter aus Algerien und ihres zwanzig Jahre Ă€lteren Ehemanns, des deutschen Arztes Dr. Georgi, zur Welt. Sie soll nach ihrem Schulabschluss 1920 eigentlich in ihrer Heimatstadt an der Deutschen BĂŒcherei Bibliothekarin werden und beginnt auf Wunsch ihrer Eltern mit dieser Ausbildung. Dass sie aber auch eine große Tanzbegabung ist, zeigt sich, als sie mit ihrer Freundin KĂ€the Niekisch – Tochter des Dirigenten Arthur Niekisch – gemeinsam eine PantomimeauffĂŒhrung in deren Elternhaus inszeniert. Hier offenbart sich ihr darstellerisches Talent so ĂŒberdeutlich, dass sich eine solide Tanzausbildung fĂŒr sie geradezu aufdrĂ€ngt. Neben ihrer Ausbildung zur Bibliothekarin besucht sie fortan also auch Kurse in rhythmischer Gymnastik an der Leipziger Schule von Agathe Schlesinger und nimmt nur wenige Wochen spĂ€ter an einer Art Talentwettbewerb fĂŒr den kĂŒnstlerischen Nachwuchs bei den „Bunten Nachmittagen fĂŒr die Jugend“ teil. Das Publikum ist von ihr begeistert.

Yvonne Georgi tanzt ‚Tijuca‘ zu Musik von Darius Milhaud, ca. 1929 Yvonne Georgi tanzt „Tijuca“ zu Musik von Darius Milhaud, ca. 1929
Foto © Ortéga / Deutsches Tanzarchiv Köln
Yvonne Georgi tanzt ‚Tijuca‘ zu Musik von Darius Milhaud, ca. 1929

Als das junge MĂ€dchen im November des gleichen Jahres das erste Mal einen Tanzabend von Mary Wigman erlebt, weiß sie, dass ihr Leben dem Tanz gehört. Sie beschließt, ihre Ausbildung an der Deutschen BĂŒcherei abzubrechen und stattdessen nach Hellerau an die Schule von Emile Dalcroze zu gehen. Die rhythmische Gymnastik von Dalcroze ist ihr jedoch nicht tĂ€nzerisch genug, so dass sie gleich zu Beginn des Jahres 1921 nach Dresden an die Schule von Mary Wigman wechselt. Die zweifelt nicht eine Sekunde an Georgis Talent, ernennt sie nach wenigen Monaten zu ihrer MeisterschĂŒlerin und nimmt sie als festes Mitglied in ihre Tanzgruppe auf. In dieser Position darf Yvonne Georgi ab September 1921 an den Gastspielreisen der Gruppe durch viele grĂ¶ĂŸere und große StĂ€dte in Deutschland teilnehmen.

Im Februar 1923, noch keine zwanzig Jahre alt, startet sie ihre Karriere als SolotĂ€nzerin. Sie gibt ihren ersten Tanzabend im StĂ€dtischen Kaufhaus in Leipzig und begeistert Publikum und Presse mit ihrer Eigenwilligkeit und ihrer „ungewöhnlichen Triebhaftigkeit“ als „wahrhafte TĂ€nzerin“. Schon im Herbst 1923 unternimmt sie mit Gret Palucca – einer der anderen MeisterschĂŒlerinnen von Mary Wigman – einen Soloabend in Berlin. Die beiden sind auf Anhieb so erfolgreich, dass sie eine Weile gemeinsam in den StĂ€dten solistisch gastieren, in denen sie schon zuvor als Mitglieder der Tanzgruppe von Mary Wigman aufgetreten sind. Über Wochen und Monate steht Yvonne Georgi Abend fĂŒr Abend nicht nur als GruppentĂ€nzerin, sondern immer öfter als SolotĂ€nzerin auf der BĂŒhne. Gemeinsam mit den damaligen Musikstudenten Alfred Schlee und Fritz Cohen tourt sie durch das unter der galoppierenden Inflation leidende Deutschland. Alfred Schlee und Fritz Cohen begleiten die Choreographien von Yvonne Georgi entweder auf dem Klavier oder mit dem Schlagwerk. Beide begeistern sich genau wie die TĂ€nzerin fĂŒr die musikalische Moderne und prĂ€sentieren als Korrepetitoren die bislang ungewohnten StĂŒcke von Ernst Krenek, Bela Bartok oder Francis Poulenc einem begeisterten Publikum. Fritz Cohen komponiert wenig spĂ€ter selbst u. a. die Musik zu Kurt Jooss’ Choreographie „Der grĂŒne Tisch“, und Alfred Schlee wird einige Jahre spĂ€ter Direktor des auf zeitgenössische Kompositionen spezialisierten Musikverlages Universal-Edition in Wien.

Yvonne Georgi als ‚Salome‘, ca. 1929 Yvonne Georgi als „Salome“, ca. 1929
Foto © Ortéga / Deutsches Tanzarchiv Köln
Yvonne Georgi als ‚Salome‘, ca. 1929

Die Solokarriere von Yvonne Georgi lĂ€sst sich auf die Dauer nicht mit den Proben und AuffĂŒhrungen der Tanzgruppe von Mary Wigman vereinbaren. Sie beendet deshalb 1923 dort ihre Mitgliedschaft. Als sie 1924 aus purem VergnĂŒgen auch im Leipziger Kabarett „Retorte“ mitwirkt und beim Pressefest im Leipziger Zoo „eine Orgie dĂ€monischer Verwirrung“ tanzt, wird Kurt Jooss auf sie aufmerksam. Er bittet sie zunĂ€chst, fĂŒr das „Persische Ballett“ von Egon Wellesz die weibliche Hauptrolle zu ĂŒbernehmen; die mĂ€nnliche Hauptrolle tanzt Harald Kreutzberg, der zu diesem Zeitpunkt als Star-SolotĂ€nzer an der Berliner Staatsoper fest engagiert ist. Das Ballett wird im Sommer 1924 beim Kammermusikfest in Donaueschingen uraufgefĂŒhrt und ist außerordentlich erfolgreich. Hier lernt Yvonne Georgi auch den Komponisten Paul Hindemith kennen, mit dem sie nicht nur eine lebenslange Freundschaft verbindet, sondern dessen Musik sie jahrzehntelang insbesondere fĂŒr ihre grĂ¶ĂŸeren Choreographien nutzt.

Yvonne Georgi und Harald Kreutzberg in einem Tanz der Strawinsky-Suite, 1928. Yvonne Georgi und Harald Kreutzberg in einem Tanz der „Strawinsky-Suite“, 1928.
Foto © Hans Robertson / Deutsches Tanzarchiv Köln
Yvonne Georgi und Harald Kreutzberg in einem Tanz der Strawinsky-Suite, 1928.

Nach dem Erfolg in Donaueschingen verpflichtet Kurt Jooss Yvonne Georgi fĂŒr die Spielzeit 1924/25 als SolotĂ€nzerin ans Theater der Stadt MĂŒnster. Jooss hat dort gemeinsam mit dem Intendanten Hanns Niedecken-Gebhardt, dem Musikdirektor Rudolf Schulz-Dornburg, dem Musiker Fritz Cohen, dem Laban-SchĂŒler Sigurd Leeder und dem BĂŒhnen- und KostĂŒmbildner Hein Heckroth „Die Neue TanzbĂŒhne“ ins Leben gerufen und schafft es innerhalb einer einzigen Spielzeit, seine MĂŒnsteraner Tanzgruppe mit ihren modernen StĂŒcken in ganz Deutschland bekannt zu machen. FĂŒr Yvonne Georgi ist dieses Engagement der TĂŒröffner fĂŒr ihren nĂ€chsten Karriereschritt: Sie wird in der Spielzeit 1925/26 mit noch nicht einmal 22 Jahren am Reußischen Theater in Gera Leiterin der Tanzgruppe. Außerhalb Geras macht sie mit ihrem modernen, witzigen Tanztheater Furore. Sie zeigt u. a. solistische Szenen wie „Arabische Suite“ zu Musik des zeitgenössischen Komponisten Felix Petyrek oder die als GruppenstĂŒck eingerichteten Brasilianischen TĂ€nze „Saudades do Brazil“, die Darius Milhaud 1920 fĂŒr Klavier komponiert hatte. Ihre lebendigen Choreographien werden nach Leipzig und Berlin eingeladen: Dort sind Publikum und Presse von ihrer Komik und Leichtigkeit tief beeindruckt. Nur das Publikum in Gera ist verwirrt ĂŒber die ungewohnte Heiterkeit im modernen deutschen Tanz. Es bleibt den Vorstellungen fern. „Wegen mangelnden Interesses des Publikums“ erhĂ€lt ihre gesamte Geraer Tanztruppe zum Ende der Spielzeit 1926 ihre KĂŒndigung.

Yvonne Georgi ficht das nicht an. Sie wird sofort als Tanzmeisterin an die StĂ€dtischen BĂŒhnen Hannover engagiert und nimmt ihre Partner aus Gera gleich dorthin mit. Sie weiß, was sie an ihnen hat und revolutioniert ab sofort zehn Jahre lang den BĂŒhnentanz in Hannover. Es gelingt ihr damals schon, mit den TĂ€nzern eine Synthese aus klassischem Ballett und modernem Tanz zu schaffen. Sie richtet im Oktober 1926 in Hannover eine eigene Tanzschule ein, in der sie neben Laien vor allem professionellen TĂ€nzern eine umfassende Ausbildung bietet, die sowohl der klassischen als auch den modernen Tanztechniken gerecht wird. Damit sorgt sie auch dafĂŒr, dass fĂŒr ihre eigene Kompanie gut qualifizierter Nachwuchs bereit steht.

Balletten Yvonne Georgi in ihrer Choreographie ‚Prometheus‘, Holland ca. 1938 Balletten Yvonne Georgi in ihrer Choreographie „Prometheus“, Holland ca. 1938
Foto © N.N. / Deutsches Tanzarchiv Köln
Balletten Yvonne Georgi in ihrer Choreographie ‚Prometheus‘, Holland ca. 1938

Im Dezember 1926 prĂ€sentiert sie ihren ersten Kammertanzabend in Hannover mit der AuffĂŒhrung der beiden Strawinsky-Ballette „Pulcinella“ und „Petruschka“. Auch dieser Abend wird ein außerordentlicher Erfolg. FĂŒr die mĂ€nnliche Hauptrolle in „Petruschka“ hat Yvonne Georgi ihren Partner aus Donaueschingen, Harald Kreutzberg, als Gast an ihr Haus geholt. Die beiden KĂŒnstler entwickeln im Laufe der nĂ€chsten Monate in ihrer choreographischen Zusammenarbeit an „Don Morte“, „Das seltsame Haus“ und „Baby in the Bar“ ein so enges Miteinander, dass sie bald davon ĂŒberzeugt sind, ohne den anderen nicht existieren zu können. Sie werden eines der weltweit erfolgreichsten Tanzpaare, das auch in den USA Furore macht. Das Publikum ist fasziniert von ihrer hervorragenden Tanztechnik, ihrem Witz, ihrer Ironie und ihrer OriginalitĂ€t, ihren KostĂŒmen und ihren BĂŒhnenbildern. Jede Vorstellung der beiden ist ausverkauft. Sie sorgen immer wieder fĂŒr Irritation durch ihr Spiel mit den Geschlechterrollen. Kreutzberg gilt als sehr mĂ€nnlicher und starker TĂ€nzer, der aber durchaus feminine, zierliche Gesten und Bewegungen, ja geradezu zarte Innigkeit ĂŒberzeugend darstellen kann. Georgi wirkt dagegen oft herb und burschikos. Und so ist in den gemeinsamen Auftritten oft nicht eindeutig zu erkennen, wer nun den mĂ€nnlichen bzw. den weiblichen Part tanzt.

Programmzettel des ersten solistischen Tanzabends von Yvonne Georgi, Dresden, KĂŒnstlerhaus, 17. MĂ€rz 1924. Musikalische Begleitung: Alfred Schlee und Fritz Cohen. Programmzettel des ersten solistischen Tanzabends von Yvonne Georgi, Dresden, KĂŒnstlerhaus, 17. MĂ€rz 1924. Musikalische Begleitung: Alfred Schlee und Fritz Cohen.
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Programmzettel des ersten solistischen Tanzabends von Yvonne Georgi, Dresden, KĂŒnstlerhaus, 17. MĂ€rz 1924. Musikalische Begleitung: Alfred Schlee und Fritz Cohen.

Wegen einschneidender Sparmaßnahmen an den StĂ€dtischen BĂŒhnen in Deutschland, die oftmals zur Entlassung des gesamtes Corps de Ballets fĂŒhren, mĂŒssen auch Yvonne Georgi und Harald Kreutzberg in der Spielzeit 1931/1932 ihre Zusammenarbeit allmĂ€hlich aufgeben. Sie veranstalten noch eine gemeinsame Abschiedstournee, ehe Georgi fĂŒr ein Jahr nach Amsterdam geht, dort im Januar 1932 den Dirigenten, Musikkritiker und Chefredakteur des Feuilletons der Zeitung „De Telegraaf“ Louis Marie George Arntzenius heiratet und hollĂ€ndische StaatsbĂŒrgerin wird. Diese StaatsbĂŒrgerschaft behĂ€lt sie fĂŒr den Rest ihres Lebens.

Yvonne Georgi hat in den Jahren ihrer intensiven Zusammenarbeit mit Harald Kreutzberg ihre LehrtĂ€tigkeit an ihrer Tanzschule in Hannover beibehalten und auch weiterhin fĂŒr das Ballett am Staatstheater in Hannover choreographiert. Nur als Solistin ist sie in Hannover nicht so hĂ€ufig zu sehen gewesen, wie sich das Publikum dies gewĂŒnscht hĂ€tte. In Amsterdam beginnt sie jetzt, ein neues eigenes Tanzensemble aufzubauen und richtet wieder eine eigene Tanzschule ein. Ihren engen Kontakt zur Tanzszene nach Hannover behĂ€lt sie indes bei und bittet auch einige TĂ€nzer aus ihrer Hannoverschen Kompanie als GĂ€ste bei ihren Tanzabenden in Holland mitzuwirken. Ihr Ehemann ĂŒbernimmt die musikalische Leitung der neuen Tanzgruppe und begleitet auch deren Tourneen.

Erst als Yvonne Georgi nur noch sporadisch und dazu nicht auf der BĂŒhne, sondern im Theaterpublikum in Hannover zu sehen ist, begreifen die Hannoveraner, welchen Schatz sie mit ihr verloren haben. Sie bemĂŒhen sich intensiv darum, Yvonne Georgi als Ballettmeisterin an ihr Theater zurĂŒck zu holen und sind erfolgreich. Ab Herbst 1933 ĂŒbernimmt sie

Eine der Kritiken zum ersten solistischen Tanzabend von Yvonne Georgi Eine der Kritiken zum ersten solistischen Tanzabend von Yvonne Georgi. Dresdener Anzeiger, 18. MĂ€rz 1924. „Bemerkenswert ist dabei ihr oftmals DĂ€mme sprengen wollendes Temperament, das sich nicht heroisch, sonder eher kapriziös Ă€ußert.“
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Eine der Kritiken zum ersten solistischen Tanzabend von Yvonne Georgi

fĂŒr weitere drei Spielzeiten, diesmal nur mit HalbjahresvertrĂ€gen ausgestattet, erneut die Ballettmeisterposition an den StĂ€dtischen BĂŒhnen Hannover. Obwohl sie weiterhin auch in Holland mit hollĂ€ndischen TĂ€nzern Tanzabende gibt und in Deutschland wieder zahlreiche Tourneen absolviert – allein oder mit ihren TĂ€nzern aus Hannover – gelingt es ihr noch einmal, Hannover den Ruf einer der wichtigsten TanzstĂ€dte in Deutschland zu geben. Ohne die UnterstĂŒtzung ihres ersten Solisten und Stellvertreters Herbert Freund wĂ€re das nicht zu schaffen gewesen, denn Georgi inszeniert zusĂ€tzlich in Amsterdam mit ihrer hollĂ€ndischen Kompanie moderne Ballette fĂŒr die „Wagnervereinigung“, die alle Epochen der klassischen Musik fördert. Und sie reist außerdem 1935 fĂŒr zwei sehr erfolgreiche Soloabende nach New York. Weiterhin beginnt sie, sich in Paris intensiv mit dem klassisch-akademischen Tanz zu befassen.

WĂ€hrend des Dritten Reichs kann Yvonne Georgi in Hannover nicht mehr Ballette zu Jazz oder den von ihr bevorzugten zeitgenössischen Komponisten choreographieren, weil deren Musik hĂ€ufig als „entartet“ verboten ist. Damit muss sich auch ihr choreographisches Themenspektrum in Deutschland verĂ€ndern, und sie begibt sich hier jetzt auf rein klassisches Terrain. Sie choreographiert zu Musik von Bach, Mozart, Schumann oder Beethoven. FĂŒr diese am klassischen Tanz orientierten Inszenierungen holt sie sich mit Victor Gsovsky und Werner Stammer erfahrene UnterstĂŒtzung von der Berliner Staatsoper nach Hannover.

1936 zieht sich Yvonne Georgi weitgehend aus Deutschland zurĂŒck. Sie versucht in Holland mit UnterstĂŒtzung der „Wagnervereinigung“ eine feste niederlĂ€ndische Ballettkompanie zu grĂŒnden. Die hatte es bisher in diesem Land nicht gegeben. Bis zur deutschen Besetzung der Niederlande 1940 gelingt es Georgi, die Existenz ihrer Kompanie durch klassische Balletteinlagen in Operninszenierungen zu sichern, darĂŒber hinaus moderne Tanzeinlagen im Sprechtheater zu zeigen und so auch am Ende jeder Spielzeit moderne Tanzabende zu finanzieren, in denen ausschließlich ihr eigenes Ensemble mit ihren Choreographien zu sehen ist. Ab 1937 tritt diese Ballettkompanie in den Sommermonaten regelmĂ€ĂŸig bei den Kulturveranstaltungen des Kurbades Scheveningen auf.

Dienstvertrag von Yvonne Georgi als Leiterin der Tanzgruppe des Reußischen Theaters, Gera und Greiz, fĂŒr die Spielzeit 1925-1926. Dienstvertrag von Yvonne Georgi als Leiterin der Tanzgruppe des Reußischen Theaters, Gera und Greiz, fĂŒr die Spielzeit 1925-1926.
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Dienstvertrag von Yvonne Georgi als Leiterin der Tanzgruppe des Reußischen Theaters, Gera und Greiz, fĂŒr die Spielzeit 1925-1926.

Yvonne Georgi greift fĂŒr die AuffĂŒhrungen zum Teil auf Choreographien zurĂŒck, die sie in den letzten drei Jahren in Hannover geschaffen hat. Sie entwickelt aber auch neue StĂŒcke zu Musik von hollĂ€ndischen Komponisten, wie Julius Röntgen, Alex Voormolen, Henk Badings u. a. Im Herbst 1937 kann sie das Musical von Franz Hals „The Laughing Cavalier“ sogar in London auffĂŒhren, und ein Jahr spĂ€ter reist sie mit ihrer gesamten Kompanie in die USA, um Anfang 1939 in New York und Washington D. C. ihre Choreographien zu zeigen. Sie weiß aus eigener Erfahrung, dass das amerikanische Publikum dem modernen deutschen Tanz mit großem Interesse begegnet. Diesmal ist sie mit ihrer noch jungen Kompanie jedoch nicht erfolgreich. Nach nur zwei Vorstellungen muss sie die geplante Tournee abbrechen. Die bisherigen Einnahmen ermöglichen der Truppe ganz knapp, die RĂŒckreise nach Europa zu bezahlen. Yvonne Georgi fĂ€ngt das finanzielle Fiasko auf, indem sie gleich nach der RĂŒckkehr im MĂ€rz und April 1939 mit ihrer Kompanie in Amsterdam unter dem Pseudonym „Almira-Ballett“ in der Zirkus-Revue „Rhapsodie in weiß“ auftritt.

Als die Deutschen 1940 Holland okkupieren, unterstellen sie sĂ€mtliche LebensverhĂ€ltnisse der NS-Verwaltung. Das bedeutet auch eine Umstrukturierung und Gleichschaltung des Kulturlebens. Die drei Theatergattungen werden zu einem gemeinschaftlichen Theaterbetrieb zusammengefasst, und Yvonne Georgi ĂŒbernimmt die Leitung der Sparte Tanz. Das ist fĂŒr sie eine heikle Situation. Auf der einen Seite möchte sie sehr gern das von ihr aufgebaute hollĂ€ndische Nationalballett weiterhin leiten, auf der anderen Seite ist sie wegen dieses Wunsches erpressbar. Sie beschließt, grundsĂ€tzlich mit ihrem Ballett nur in Holland selbst aufzutreten. Damit sind die deutschen Machthaber aber nicht einverstanden. Sie drohen, ihre mĂ€nnlichen TĂ€nzer zur Zwangsarbeit zu verpflichten, wenn sie nicht mit ihrer Kompanie in Deutschland auftritt. Damit ihre TĂ€nzer weder in den Krieg noch zu anderer Zwangsarbeit eingezogen werden, sieht sie sich gezwungen, im November 1941 in Deutschland mit ihrem Ballett acht Vorstellungen fĂŒr die Publikumsorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) zu geben. Sie rettet damit ihren mĂ€nnlichen TĂ€nzern vermutlich das Leben, weil sie tatsĂ€chlich nicht eingezogen werden. Aber nach Kriegsende wird ihr wegen dieser Auftritte die Leitung ihres Balletts entzogen. In Holland ist damit ihre tĂ€nzerische Karriere beendet.

1949/50 beginnt fĂŒr Yvonne Georgi ein vollkommen neuer beruflicher Lebensabschnitt. Sie choreographiert in Paris die Hauptrolle fĂŒr eine junge TĂ€nzerin im Film „Ballerina“ unter der Regie von Ludwig Berger und vervollkommnet ihren eigenen Spitzentanz. Kurioserweise ĂŒberzeugt die bei Mary Wigman ausgebildete moderne TĂ€nzerin nach dem Krieg ausgerechnet mit diesen erst spĂ€t professionalisierten klassisch-akademischen TanzqualitĂ€ten. Diese sind es auch, die ihr ein Comeback in der vollkommen verĂ€nderten Tanzszene in Deutschland ermöglichen. Das Publikum will nach den zwölf Jahren erzwungener Abstinenz von der internationalen Entwicklung im Tanz nun vor allem die klassischen Tanzkompanien aus den USA, Frankreich und Großbritannien sehen. Die meisten jungen deutschen TĂ€nzer möchten jetzt eine fundierte klassisch-akademische Tanzausbildung bekommen und sind fĂŒr die Tanzmoderne der 1920er Jahre nicht mehr zu begeistern. Yvonne Georgi aber kann beides, und zwar außergewöhnlich gut: Sie kehrt 1951 nach Deutschland zurĂŒck und ĂŒbernimmt als Ballettmeisterin die Abraxas-Kompanie. Obwohl dieses am 6. Juni 1948 an der Bayerischen Staatsoper uraufgefĂŒhrte Faust-Ballett von Werner Egk (Choreographie: Marcel Luipart) wegen angeblichen Erregens öffentlichen Ärgernisses aus politischen GrĂŒnden nach wenigen Vorstellungen vom Spielplan abgesetzt wird, begeistert es ein Jahr spĂ€ter – nĂ€mlich nach seiner Berliner AuffĂŒhrung im Oktober 1949 – ein großes Publikum und gehört Jahre lang zu den populĂ€rsten Balletten in Deutschland. Die Abraxas-Kompanie tourt durch das immer noch weitgehend zerstörte Deutschland und verschuldet sich auf dieser Tournee sehr hoch. Daran kann auch Yvonne Georgi nichts Ă€ndern.

Programmheft der Third American Tour, Season 1930 - 1931, of the world’s greatest dancers Harald Kreutzberg and Yvonne Georgi. Programmheft der Third American Tour, Season 1930 - 1931, of the world’s greatest dancers Harald Kreutzberg and Yvonne Georgi.
Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln
Programmheft der Third American Tour, Season 1930 - 1931, of the world’s greatest dancers Harald Kreutzberg and Yvonne Georgi.

Von Walter Bruno Iltz, ihrem einstigen Intendanten in Gera, erhĂ€lt sie jetzt das Angebot, zur Spielzeit 1951/52 am DĂŒsseldorfer Opernhaus die Oberleitung des Balletts zu ĂŒbernehmen. Sie nimmt das Angebot an und bemĂŒht sich drei Jahre lang, dem DĂŒsseldorfer Publikum anspruchsvollen Tanz nahe zu bringen, indem sie u. a. in Volkshochschulen EinfĂŒhrungsvortrĂ€ge zu ihren Choreographien hĂ€lt und öffentliche Proben veranstaltet. Die Premieren ihrer AuffĂŒhrungen sind stets ausverkauft und werden hoch gelobt. Aber das Publikum will das Ballett doch lieber in den zahlreichen Operetten, die auf dem Spielplan stehen, sehen. Yvonne Georgi kommt in DĂŒsseldorf nicht weiter und verlĂ€sst das Haus 1954 wieder.

Sie kehrt nach Hannover zurĂŒck und wird mit offenen Armen empfangen. In dieser Stadt kann sie in aller Ruhe und mit grĂ¶ĂŸtmöglicher UnterstĂŒtzung eine Tanzkompanie nach ihren Vorstellungen aufbauen. Sie erhĂ€lt ebenfalls vertraglich zugesichert, dass sie in jeder Spielzeit zwei eigene Ballettpremieren herausbringen, außerdem einen weiteren Kammertanzabend im Schauspielhaus im Ballhof veranstalten und mit ihrem Ballett jĂ€hrlich an den Sommerspielen in Hannover-Herrenhausen auftreten darf. In einer Zeit, in welcher der Tanz an den deutschen Stadttheatern höchst stiefmĂŒtterlich behandelt wird, sind das sehr großzĂŒgige ZugestĂ€ndnisse. Weiterhin ĂŒbernimmt Yvonne Georgi die Leitung der Tanzabteilung in der Akademie fĂŒr Musik und Theater (sie wird 1959 zur Professorin ernannt) und hat damit eine stabile Basis, nicht nur eine Tanzkompanie aufzubauen, sondern dieser Kompanie auch die Möglichkeit zu geben, öffentlich und gut finanziert aufzutreten. Systematisch baut sie nun eine Tanztruppe auf, die sowohl die klassisch-akademische, als auch moderne Techniken beherrscht und beide Systeme ĂŒberzeugend miteinander kombinieren kann. Mit diesem Ensemble kann sie sowohl Werke des neunzehnten Jahrhunderts auffĂŒhren, als auch den modernen Tanz der 1920er Jahre aufgreifen und erneuern. Zu den wichtigsten Choreographien dieser Jahre gehört GlĂŒck, Tod und Traum, das 1954 in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Gottfried von Einem entsteht und sich mit der Frage beschĂ€ftigt: „Was ist ein Mensch?“. Ein Jahr spĂ€ter thematisiert Georgi diese Frage erneut und kreiert diesmal zur Musik des Amerikaners Morton Gold die Human Variations. RevolutionĂ€r aber sind ihre drei Choreographien zu elektronischer Musik des HollĂ€nders Henk Badings. Als das Elektronische Ballett 1957 in Hannover uraufgefĂŒhrt wird, ist in Deutschland elektronische Musik nahezu unbekannt. Ein Ballett nach dieser Musik auf die BĂŒhne zu bringen, ist ĂŒberaus mutig. Das Publikum ist von diesem StĂŒck, in dem der Konflikt zwischen den gegensĂ€tzlichen Prinzipien des klassischen und des modernen Tanzes gezeigt und ĂŒberwunden wird, begeistert und bekommt ein Jahr spĂ€ter die eher traditionelle Suite Evolutionen (erneut zu einer elektronischen Komposition von Henk Badings) prĂ€sentiert. 1960 bringt Georgi dann das viele Jahre in Hannover gespielte StĂŒck „Die Frau aus Andros“ heraus. Als Grundlage fĂŒr die Handlung dient ihr die gleichnamige Novelle von Thornton Wilder. In acht choreographischen Szenen zeigt sie aber nicht etwa ein Handlungsballett im ĂŒblichen Sinn, sondern sie lĂ€sst vielmehr in beeindruckenden Soli die innere Handlung der Hauptperson tanzen und findet auch mit diesem dritten elektronischen Ballett allergrĂ¶ĂŸte Zustimmung bei Publikum und Kritik.

Als im September 1964 ihr Ehemann L.M.G. Arntzenius stirbt, verliert Yvonne Georgi mit ihm auch einen Kollegen, der sie jahrzehntelang begleitet und unterstĂŒtzt hat. Dennoch arbeitet sie unermĂŒdlich weiter. Ihre eigene Kraft ist noch nicht erschöpft. Erst 1970 endet ihr festes Engagement als Choreographin am Staatstheater in Hannover. Zum Abschied erhĂ€lt sie das Große Verdienstkreuz des Landes Niedersachsen. An der Hochschule fĂŒr Musik und Theater in Hannover bleibt sie aber weiterhin tĂ€tig. Und auch als Choreographin ĂŒbernimmt sie 1971 eine Gastverpflichtung in Buenos Aires.

1973 entwickelt sie als Gastchoreographin am Staatstheater in Hannover ihr letztes großes und sehr persönliches Werk mit dem Titel Skorpion. Dies ist das Sternzeichen, unter dem sie geboren ist. Entsprechend versucht sie, eine Choreographie zu entwickeln, in der die weibliche Hauptrolle ihre eigene starke Persönlichkeit zeigt. Sie wĂ€hlt die seinerzeitige AusnahmetĂ€nzerin Heidrun Schwaarz fĂŒr die Hauptrolle aus und greift musikalisch noch einmal auf eine Komposition des Amerikaners Morton Gold zurĂŒck. Das StĂŒck wird ein ganz großer Erfolg.

1974 erhĂ€lt Yvonne Georgi fĂŒr ihr innovatives Lebenswerk in Hannover die NiedersĂ€chsische Landesmedaille. Sie stirbt am 25. Januar 1975 und wird auf dem Engesohder Friedhof beigesetzt.


(DTK) In den Jahren 1963 und 1964 haben Yvonne Georgi und Kurt Peters versucht, sein damals noch privates Tanzarchiv von Hamburg nach Hannover an die Staatliche Hochschule fĂŒr Musik und Theater zu ĂŒberfĂŒhren. Verhandlungen wurden mit dem Stadtrat Heinz Lauenroth und mit dem Direktor der Hochschule, Prof. Felix Prohaska gefĂŒhrt („Der war sehr ungnĂ€dig, fĂŒhlte sich ĂŒbergangen. Sie kennen ja die Eitelkeiten der MĂ€nner!“ Y.G. an K.P., 13.10.1963, DTK).

Yvonne Georgi zuhause im Ringelnatzweg, Hannover. Yvonne Georgi zuhause im Ringelnatzweg, Hannover.
Foto © Rolf SchÀfer / Deutsches Tanzarchiv Köln
Yvonne Georgi zuhause im Ringelnatzweg, Hannover.

Kurt Peters sollte als Dozent und fĂŒr seine TĂ€tigkeit als Archivar bezahlt werden („Ich bringe also die Bibliothek und Sammlung praktisch als Morgengabe mit in die ‚Ehe’, denn ich will ja nur meine Arbeitsleistung vergĂŒtet sehen.“ K.P. an die Hochschule, o.D., DTK). Wegen einer erbetenen Beteiligung der Landeshauptstadt Hannover an den Umzugskosten fĂŒr das Archiv scheiterte das Gesamtprojekt jedoch (Brief H. Lauenroth an K.P., 3.7.1964, DTK). 

Yvonne Georgi und Kurt Peters blieben befreundet. Viele Jahre lang wurden Anfragen Dritter nach ihrem spĂ€teren tanzkĂŒnstlerischen Nachlass mit dem Hinweis auf das Tanzarchiv von Kurt Peters beantwortet (Aussage beispielsweise von Pieter van der Sloot). Nach Yvonne Georgis Tod waren ihrem Testament jedoch keine Anordnungen zu entnehmen, die sich auf den tanzkĂŒnstlerischen Nachlass bezogen. Er blieb ĂŒberwiegend in Privatbesitz. Im Zusammenhang mit einer Ausstellung und der Einrichtung einer allgemeinen musealen Dauerausstellung im Theater kam es nicht zur Weitergabe an das zudem immer noch private Tanzarchiv von Kurt Peters in Köln. Schließlich wurden verschiedene Materialien innerhalb Hannovers weitergegeben. FĂŒr die Forschung ergab sich eine fĂŒr mehrere Jahrzehnte sehr unglĂŒckliche Situation. Der Teilbestand im damals personell unterbesetzten, v.a. aus dem Engagement eines BĂŒhnenbildners entstandenen Theatermuseum Hannover war ĂŒber Jahre hinweg nicht vollstĂ€ndig auffindbar. Anfragen an die Hochschule fĂŒr Musik und Theater nach dem von Studenten im Keller der Hochschule entdeckten Teilbestand wurden nicht beantwortet (zuletzt: Schreiben an PrĂ€s. Prof. Dr. Behne vom 12.2.2000). Sehr umfangreiches Material aus unterschiedlichem Privatbesitz kam im Laufe der Jahre an das nun nicht mehr Kurt Peters privat gehörende Deutsche Tanzarchiv Köln. SpĂ€ter gelangte der einst an die Hochschule gegebene Archivalienbestand an das Theatermuseum im Schauspielhaus. Heute befinden sich, aus SplitternachlĂ€ssen zusammengefĂŒhrt, die beiden wichtigsten Teile des tanzbezĂŒglichen Dokumenten-Nachlasses im Deutschen Tanzarchiv Köln und im Theatermuseum Hannover.

Frank-Manuel Peter und Yvonne Hardt (Hg.)
unter Mitarbeit von Anaїs Rödel, Luke Aaron Forbes, Dwayne Holliday, Sandra Paulkowsky und Katharina Geyer:

Yvonne Georgi. Tagebuch und Dokumente zu Tanztourneen mit Harald Kreutzberg (1929–1931). Eine andere Recherche zu den Potenzialen einer kritischen Nachlassforschung.
Köln, Wienand 2019
ISBN 978-3-86832-542-3
200 S., zahlreiche farbige und s/w Abb.
Im Museum und im Buchhandel: 28,00 Euro