Tänzer, Choreograph, Ballettdirektor, Regisseur, Ausstatter, Kostümdesigner, Bühnenbildner: Nur Tanzpädagoge wollte Germinal Casado zugegebenermaßen nicht sein.[2]

Unter den Umständen, dass er in einer solch vielfältigen Rolle mehrere Jahrzehnte dem Bühnentanz diente, dürfte es kaum ins Gewicht fallen, dass Germinal Casado erst mit 18 Jahren anfing, Tanzunterricht zu nehmen. Parallel belegte er eine Ausbildung als Grafiker, da er sich den bildenden Künsten zugewandt fühlte und Maler werden wollte – mit der Unterstützung des Elternhauses.  Doch „dazwischen“ kam ein Gastspiel des Marquis de Cuevas in Casablanca: Casado nahm die Gelegenheit wahr, bei der Compagnie aus Monte Carlo vorzutanzen. Ebenfalls in Casablanca durfte er seine ersten Kostüme für die Vorstellungen seiner damaligen Tanzlehrerin entwerfen.[3]

Germinal Casado als "Faun" in Casablanca, 1954-1956, Fotograf: N.N.

Ein Weg war vorgezeichnet. Den Neigungen des Tanzes folgend, begab sich Casado schließlich nach Paris Ende 1955 mit seiner Verpflichtung bei den Ballets de la Mediterranée von Paul Goubé – bis jedoch kurz darauf die Kompagnie aufgelöst wurde. In der Spielzeit 1956/1957 wurde er in Wuppertal bei Erich Walter vorstellig, der dort Tänzer und Ballettmeister war und noch Tänzer für eine laufende Produktion suchte.[4] Im Anschluss ergab sich tatsächlich ein festes Engagement für eine Spielzeit, der wieder eine Zusammenarbeit mit Cuevas folgte. Hier „menschelte“ es jedoch. Ebenfalls fühlte Casado die Trainingsmethode für sich als unpassend. Fortan kehrte er nach Paris zurück, wo Maurice Béjart ihn für sein Ballet-Théâtre de Paris engagierte. Als dann die Compagnie in Brüssel zum Ballet du XXième siècle wurde, wurde Casado Solotänzer.

Kostümentwurf für Béjarts Tanzstück "Les 4 Fils Aymon", in dem Casado ebenfalls tanzte.
Bühnenbildentwurf für Béjarts "Feuervogel".

Der Karrieredurchbruch erfolgte 1959, mit Béjarts „Sacre du Printemps“. Die von Casado getanzte Rolle des Auserwählten (l’Élu), zusammen mit Tania Bari (l’Élue) oder abwechselnd Duska Sifnios wird von nun an unzertrennlich mit seiner Person verbunden sein. Überhaupt besiegelt dieses Stück ebenfalls den Erfolg von Béjarts Compagnie, die fortan die angebotene Verpflichtung am Théâtre Royale de la Monnaie annimmt – wozu Casado Béjart geraten haben soll.

Germinal Casado in der Rolle des Auserwählten in Maurice Béjarts "Sacre du Printemps", 1959, o.J., Fotograf: N.N.

Selbst, als der Berliner Kritiker Klaus Geitel, wohlwollend aber mit scharfem Beobachtergeist und bebilderter Sprache Béjarts Werke – zur Zeit des Brüsseler Anfanges – mehrfach als „Eintopfgericht“ bezeichnete,[5] blieb für die einzelnen Ballettstücke ein Lob für Germinal Casado als Tänzer nicht aus. „Tänze, als kostbare Stücke anzusehen“[6] bot er laut Geitel zum Beispiel in „À la recherche de Don Juan“ (1962) dar. Béjarts Kompagnie tourte durch die Welt – und in Siegfrieds Enkelmann Berliner Atelier wurde Casado ebenfalls ein willkommener Gast – zunächst mit Bejarts „Violetta“ (UA 1958) mit Jeanne Monin, das sein Solistendebüt markierte. Mit Tania Bari, Solistin bei Béjart, porträtierte ihn Enkelmann in mehreren Serien.

Germinal Casado und Jeanne Monin in "Violetta" Auf der Bühne und vor der Kamera: Germinal Casado und Jeanne Monin in "Violetta", UA 1959, Foto: Siegfried Enkelmann, (C) VG BildKunst.
Germinal Casado und Jeanne Monin in "Violetta"

Während der Zusammenarbeit mit Béjart hatte Casado noch in Paris prominente Lehrende, etwa Victor Gsovsky, der erst 1964 nach Deutschland zurückkehrte, um die Ballettleitung der Deutschen Oper am Rhein zu übernehmen.
1964 erfolgte eine persönliche, nicht berufliche Trennung von Béjart. Casado bleibt als Tänzer dem Ballett des 20. Jahrhundert zunächst erhalten, schließlich gehört seine Darstellung des Shiva in „Bhakti“ (1968) zu seinen Paradenrollen. Daraufhin wird aber Casado doch seinen eigenen Weg gehen. In den folgenden sieben Jahren ist Casado bei keiner Compagnie fest engagiert. Als Freiberufler ist er ein gefragter Choreograph, und nach Antoine Livios Aussage (1970), ein „großartiger Ausstatter“.

Kostümentwurf für "Le Voyage", 1962 Kostümentwurf für einen Geist für Béjarts "Le Voyage", 1962.
Kostümentwurf für "Le Voyage", 1962

1973 feiert Casado zudem seine erste Opernregie für „La Clemenza di Tito“ in Trier, es folgen Aufträge vor allem als Ausstatter für bundesweite Theaterhäuser. Als Tänzer hat er sich, wie Günter Pick 2016 bemerkte, leise verabschiedet.[7] Das sei genau sein Stil – keineswegs in Kontrast zu seiner „Arbeitswut“. 

Die Ausstattung für „Cinderella“ am Mailänder Teatro alla Scala (1977) bietet Casado ein Wiedersehen mit Paolo Bortoluzzi, dem „göttlichen Tänzer“ aus Béjarts gemeinsamen Zeiten, der die Choreinstudierung übernahm.

Casado zwischen Zeichenblock und Stoffmustern, o.J., Fotograf: N.N.

Schließlich wird Casado ab der Spielzeit 1977/1978 zum Ballettleiter am Badischen Staatstheater in Karlsruhe berufen. Seine Ballettkompagnie nennt er „Danza Viva“, “Lebenden Tanz“. In Karlsruhe wird Casado über fünfzig Ballette kreieren, hinzu kommen die Gastchoreografien, für die er als Ausstatter firmiert. Er wird 21 Jahre in Karlsruhe bleiben und dem Theater Kontinuität und eine internationale Sichtbarkeit bescheren.

In Karlsruhe angekommen: Germinal Casado im Probesaal, o.J., Fotograf: N.N.

Selten basieren die Ballette auf mehrfach bearbeiteten Sujets oder musikalischen Stücken – etwa „Pélleas et Mélisande“ oder „Carmina Burana“. Vielmehr ist eine Handlung vorhanden, die unterschiedliche Inspirationsquellen haben kann. Als narrative Grundlage können Geschichte („Ines de Castro“), persönliche Treffen (Yvonne Georgi widmet er 1979, vier Jahre nach ihrem Tod, „Requiem für eine Tänzerin“), Literatur „Lorca, oder sobald fünf … zig Jahre vergehen“, 1986) herangezogen werden. Casado selber schrieb: „Ich mag besonders diese opulenten Schauspiele großer literarischer oder biografischer Themen mit dieser alle Sinne ansprechenden Musik, Ausstattung und Choreographie, auf jeden Fall mit einer großen Theatralität“.[8]
In der Tat fügte sich Casados Handschrift als Choreographen keiner Tradition, keinem Vorgänger. In der Vorbereitung eines Tanzstücks begann üblicherweise er mit der Auswahl der Musik; danach kreierte er die Kostüme, und zum Schluss entstand die Choreographie.

Wohlwollend war die Presse Casado gegenüber nicht immer zugewandt. Horst Koegler zerriss zum Beispiel seine erste Uraufführung am Badischen Staatstheater („Garten der Lüste/Byzantinische Suite“). Überhaupt erfuhr Casado zum Teil Gegenwind von der lokalen Presse. War aber Karlsruhe seit Beginn der Cranko-Ära, 1961, nicht geradezu prädestiniert, auch nur stillschweigend, aber ständig, mit Stuttgart verglichen zu werden?

Opulenz war bestimmt ein begleitendes Merkmal zahlreicher Inszenierungen und Ausstattungen – freilich aber nicht aller, wie „Une saison en enfer“ aus 1991 beispielsweise zeigt. Für ein Bühnenbild konnte Germinal Casado Kunstwerke (etwa für die Ausstattung von Béjarts „Gala“, UA 1961 in Venedig, in Zusammenarbeit mit Salvador Dalí) heranziehen, aber auch Plexiglas.
Brokat, Samt, Seide, Spitzen kamen für die die Kostüme in Frage, daran sollte nicht gespart werden. In „La Belle Otéro“ (1984) boten zehn Tänzerinnen auf der Bühne die Rolle der Carolina Otero. 250 Kostüme und fünf Bühnenbilder fertigte Casado für die Operette „Eine Nacht in Venedig“ an.  

Kostümskizze für "Romantische Serenade".

Ob die Darstellung auf der Bühne üppig ausfiel oder nicht: Casado nutzte schlicht sämtliche Möglichkeiten aus, die ihm eine verhältnismäßig kleine Theatergruppe (mit elf Mitarbeitenden) und einem Corps de Ballet von 16 TänzerInnen ermöglichten. Die Anzahl der TänzerInnen wuchs unter seiner Leitung im Laufe von zehn Jahren auf 30.
Unermüdlich arbeitete Casado parallel zu Karlsruhe immer wieder als Ausstatter und Kostümentwerfer europaweit, auch für die Bayreuther Festspiele, und oft für das Straßburger Ballet du Rhin.  
Insgesamt zählen zu seinem Oeuvre mehr als hundert Choreographien und Ausstattungen. Von den choreographischen Arbeiten wurde lediglich eine geringe Anzahl zu Casados Lebzeiten wieder inszieniert (zuletzt wurde 2016 „Carmina Burana“ von Birgit Keil in Karlsruhe gerade als Hommage an den verstorbenen Casado wiederaufgenommen, und später von Keils Nachfolgerin Bridget Breiner seit ihrer ersten Amtszeit 2019/2020 im Programm behalten).

Casados Ausstattungen und Kostüme mussten nicht immer opulent sein, wie es aus den Kostümen von "Adagio" (1981, hier mit Carlos Lagunilla, Florentina Cristali) ersichtlich ist. Aufnahme o.J., Foto: N.N.

Sämtliche zahlreiche Facetten der Arbeit Germinal Casados sollten durch die Übergabe des Nachlasses von Germinal Casado an das Tanzarchiv aufrechterhalten werden und zugänglich sein. Die großzügige und vielseitige Schenkung ist dem Erben Giulio Ragnoli zu verdanken, der 2016 nicht zögerte, den Kontakt zum Deutschen Tanzarchiv Köln aufzunehmen. Hunderte von Kostümfigurinen für Ballette, Theaterstücke und Musicals bieten Einblick in Casados Arbeitsweise: in die genauen Zeichnungen, in die qualitätsvollen Bühnenbild- und Kostümentwürfen bis hin in die Skizzen. Dazu eine sehr genaue Fotodokumentation, Video- und umfangreiches Pressematerial, das sein Schaffen seit den Anfängen festhält. Die unterschiedlichen Stoffmuster für jedes Kostüm sowie fünf Tanzkleider dürfen ebenfalls nicht fehlen.
Nicht zuletzt nahm Casado gerade mit seinen Zeichnungen und Kostümfigurinen über dreißig Jahre lang – auch postum, 2018, wurde seines Werkes im letzten Domizil Orta San Giulio im italienischen Piemont gedacht – an verschiedenen Kunst- auch Einzelausstellungen, teil.
Ebenfalls in Orta befindet sich seit 2018 eine in Bronzebüste Büste Casados im Stadtgarten – ein Geschenk der TänzerInnen, die lange Zeit seine WeggefährtInnen waren.
 

Donatella Cacciola