von Geertje Andresen

Als tanzendes Wunderkind geht Niddy Impekoven in die Geschichte des Ausdruckstanzes in Deutschland ein. Sie kommt am 2. November 1904 in Berlin auf die Welt und wird auf die Namen Luise Antonie Crescentia Impekoven getauft. Ihr Vater ist der Schauspieler, Lustspielautor und Intendant Toni Impekoven. Ihre Mutter, Frieda Impekoven, unterstützt ihren Ehemann nach Kräften und kümmert sich hingebungsvoll um ihre Tochter. Sie ist von der anmutigen Erscheinung ihres Kindes so entzückt, dass sie ihr den Rufnamen „Niddy“ gibt. Niddy wächst mitten in Berlin-Kreuzberg – über dem Apollo-Theater – auf. Die Theaterwelt prägt sie, und als sie ohne fremde Hilfe stehen und laufen kann, zeigt sich ihre tänzerische Leidenschaft und Begabung: Sobald das Kind Musik hört, beginnt sie, ihren Körper dem Gehörten zu überlassen und zu tanzen.

Niddy Impekoven im Alter von 3 1/2 Jahren tanzend auf einem Schiffsdeck. Niddy Impekoven im Alter von 3 1/2 Jahren tanzend auf einem Schiffsdeck.
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Niddy Impekoven im Alter von 3 1/2 Jahren tanzend auf einem Schiffsdeck.

Im Januar 1910, als Fünfjährige, beginnt sie auf eigenen Wunsch zwei Mal pro Woche bei der ehemaligen Solotänzerin am Königlichen Opernhaus in Berlin, Margarete Altmann, Ballettunterricht zu nehmen. Doch das Kind ist entsetzt von dem Drill dieses Unterrichts, der seiner intuitiven Auffassung vom Tanz widerspricht und seinen tänzerischen Ausdruckswillen in starre Formen und Positionen zu zwängen versucht. Niddy lässt sich aber von ihrer Mutter überreden, diese Form des Tanzunterrichts durchzuhalten. Und so darf Niddy Impekoven am Ende ihres ersten Unterrichtsjahres ihre erste Soloszene bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung im Berliner Blüthner-Saal vortanzen. Es ist dem Mädchen gelungen, seine intuitive Ausdruckskraft und natürliche Grazie auch in den Posen einer klassischen Ballettchoreographie so überzeugend umzusetzen, dass Publikum und Presse begeistert sind. Diese Reaktionen beeindrucken Niddy Impekoven selbst jedoch nicht. Vielmehr ist sie von der Auftrittssituation begeistert, die ihre Hingabe an das Tanzen in so hohem Maße verstärkt, dass sie sich wünscht, diese Ausnahmesituationen so oft wie möglich zu wiederholen. Das Versprechen, öffentlich auftreten zu dürfen, gibt ihr neuen Anreiz, sich dem klassischen Tanztraining weiterhin zu unterziehen.

1914 wird ihr Vater Toni Impekoven ans Stadttheater nach Frankfurt am Main engagiert. Die Familie zieht in diese Stadt, und Niddy erhält fortan dort weiteren Ballettunterricht, namentlich beim Solotänzer und späteren Ballettmeister am Opernhaus, Heinrich Kröller. Dieser weiß die Individualität seiner neuen Schülerin zu schätzen und zu fördern. Er zeigt ihr, wie sie ihre individuellen Empfindungen in den vorgegebenen Formenkanon des klassischen Balletts einbetten und tänzerisch ausdrücken kann. Das Mädchen profitiert sehr von ihrem sensiblen Lehrer, bis dieser 1917 nach München berufen wird. Sein Nachfolger bemüht sich indes, Niddy ihren tänzerischen Ausdruckswillen wieder auszutreiben, worauf sie eine heftige Depression entwickelt.

Niddy Impekoven in ihrem Tanz ‚Das Leben der Blume‘. Niddy Impekoven in ihrem Tanz „Das Leben der Blume“.
Das Leben der Blume
Niddy Impekoven in ihrem Tanz ‚Das Leben der Blume‘.

Nachdem sie von Februar bis April 1918 noch in den Märchenaufführungen des Frankfurter Stadttheaters aufgetreten ist, schickt ihre Mutter sie zunächst für vierzehn Tage zur Erholung nach Schloss Bieberstein in der Rhön, dem Sitz der Lohelandschule. Aus den geplanten vierzehn Tagen werden sechs Monate, in denen das Mädchen ihre tänzerische Stärke wieder findet. Sie beschließt, nie wieder als klassische Balletttänzerin aufzutreten. Allerdings entwickelte sie in dieser Zeit an der Lohelandschule eine Anorexie, von der sie erst ab Juni 1919 in monatelanger Behandlung durch den Arzt und Dichter Reinhard Goering wieder geheilt wird.

Niddy Impekoven hat Ideen für ihre eigenen Tänze entwickelt und findet erneut in Heinrich Kröller Unterstützung. Der ist in der Zwischenzeit als Ballettmeister und Solotänzer in München beschäftigt und begegnet der Verwandlung seiner Schülerin zur Ausdruckstänzerin mit großem Respekt. Gemeinsam entwickeln die beiden Niddys ersten großen Solotanzabend, in dem sie insbesondere mit ihrer Choreographie „Der gefangene Vogel“  zu Musik von Bruno Hartl (1880–1939) die Zerrissenheit zwischen ihrem tänzerischen Freiheitsdrang und den starren Formen des klassischen Balletts künstlerisch verarbeitet. Derart befreit findet sie auch zu ihrem Humor zurück. Sie entwickelt in ihrem Tanz „Schalk“, in dem Zyklus „Alte und moderne Puppen“ zu den berühmten Schöpfungen von Lotte Pritzel,

Niddy Impekoven in ihrem Tanz ‚Der gefangene Vogel‘. Niddy Impekoven in ihrem Tanz „Der gefangene Vogel“.
© Hanns Holdt / Deutsches Tanzarchiv Köln
Niddy Impekoven in ihrem Tanz ‚Der gefangene Vogel‘.

Erna Pinner und Käthe Kruse und in ihrem Stampftanz „Münchner Kaffeewärmer“ sogar einen überzeugenden Hang zur Groteske. Am 4. Dezember 1918 debütiert sie mit insgesamt zehn neuen und ausdrucksstarken Tänzen im Frankfurter Opernhaus. Dieser Tanzabend ist ein so großer Erfolg, dass sie ihn 1919 an der Berliner Lindenoper und in einigen Tourneen wiederholen kann. In den folgenden Jahren entwickelt sie jährlich zu Kompositionen klassischer Komponisten neue Choreographien in ihrem eigenen Stil und zeigt sie in zahlreichen großen Städten im In- und Ausland. Ihren Lebensmittelpunkt verlegt sie nach Bad Ragaz in der Schweiz – dem Ort, an dem ihre Großeltern leben.

1923 heiratet sie den musikbegeisterten Arzt Hans Killian, von dem sie 1929 wieder geschieden wird. Das junge Ehepaar lebt zunächst in Basel. Killian bemüht sich, der Tänzerin die Musik Johann Sebastian Bachs nahe zu bringen, und Niddy Impekoven entwickelt auch einige Tänze zu ausgesuchten Stücken aus den Bach’schen Klavierübungen und aus den Solosuiten für Cello, bzw. Geige. Größere Inspiration empfängt sie allerdings aus Kompositionen von Robert Schumann, Bela Bartok oder Darius Milhaud. Gerade zu Musik von Milhaud entwickelt sie 1924 die Tänze „Dernier cri“ und „Midinette“. Hier zeigt sie jetzt, dass aus dem Wunderkind eine erwachsene Frau geworden ist, die voll Lebenslust, Sinnlichkeit, Koketterie und Groteske das Leben zu genießen versteht. In ihren Choreographien entwickelt sie nun auch einen erzählenden und darstellerischen Tanzstil.

Niddy Impekoven vor der Akropolis. Niddy Impekoven vor der Akropolis.
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Niddy Impekoven vor der Akropolis.

Zwischen 1923 und 1925 entstehen drei Filme, in denen Niddy Impekoven als Tänzerin mitwirkt. Gemeinsam mit Blandine Ebinger und Lotte Pritzel steht sie für den Kurzfilm „Die Pritzelpuppe“ vor der Kamera (Drehbuch: Maria Elisabeth Kähnert; Regie: Ulrich Kayser; UFA-Produktion). Dieser Film dokumentiert Niddy Impekovens einzigartige Choreographie eines ihrer Puppentänze und ist damit wohl ihr wichtigster Film. Ein Jahr später spielt sie gemeinsam mit Fritz Kortner und Lore Wagner für die Urania Film Produktion in dem Kurzfilm „Armes kleines Mädchen“ mit. Vorlage für den Film ist das Märchen von Hans Christian Andersen: „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Regie führte wieder Ulrich Kayser, das Drehbuch schrieb diesmal Paul Reno. Ein weiteres Jahr später entsteht der Dokumentarfilm von Nicholas Kaufmann „Wege zu Kraft und Schönheit – Ein Film über moderne Körperkultur“. Auch hier hat sie unter vielen anderen Tänzern einen kleinen Auftritt.

Mit einem sehr abwechslungsreichen Programm geht sie 1928 allein auf eine drei Monate dauernde, sehr erfolgreiche Welttournee, die sie über den Fernen Osten bis in die USA und zurück durch Europa führt. Auf dieser Reise sammelt sie u.a. auch ihr bislang unbekannte altfranzösische Musik. Daraus entwickelt sie später den Tanz „Dichter und Narr“.
Im Herbst 1930 bricht Niddy Impekoven zu einer erneuten Reise in den Fernen Osten auf. Diesmal zeigt sie ihre europäischen Tänze auf Java und später in Ceylon (Sri Lanka). Ihr deutsches Publikum erwartet von ihr, dass sie sich auf dieser Reise ebenfalls von den javanischen bzw. indischen Tänzen inspirieren lässt und entsprechende neue Tänze zeigt.

Niddy Impekoven als Rosenthal-Porzellanfigur von Gustav Oppel Niddy Impekoven als Rosenthal-Porzellanfigur von Gustav Oppel
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Niddy Impekoven als Rosenthal-Porzellanfigur von Gustav Oppel

Das will sie aber nicht. Sie fühlt sich genötigt, die Beweggründe für ihre Weigerung in einer Tageszeitung darzulegen und erklärt, dass sie nicht bereit sei, die einzigartige javanische Kultur schlecht zu kopieren und damit der Lächerlichkeit preis zu geben. Vielmehr habe sie mehr denn je begriffen, dass sie aus der europäischen Musik, die ihr vertraut ist, ihre Kunst zu schöpfen habe. Entsprechend entwickelt sie bis 1933 zu dieser Musik ihre Tänze und zeigt sie weiterhin sehr erfolgreich im In- und Ausland. Sie gibt in der Saison 1933/34 in Deutschland ihr letztes Gastspiel und zieht sich danach in die Schweiz zurück. Ihre tänzerische Laufbahn betrachtet sie als beendet. 1955 veröffentlicht sie ihre bereits in den 1920er Jahren von ihr skizzierten „Memoiren eines Wunderkindes“, in denen sie ihre tänzerische Entwicklung reflektiert.

Niddy Impekoven starb am 20. November 2002 in der Schweiz in Bad Ragaz. Ihr Nachlass wird heute im Deutschen Tanzarchiv Köln aufbewahrt.

Literatur:

Hans Frentz: Niddy Impekoven und ihre Tänze, Freiburg ²1930

Hans Frentz: Weg und Entfaltung Niddy Impekovens, Leipzig 1933

Niddy Impekoven: Die Geschichte eines Wunderkindes, Zürich 1955

Patricia Stöckemann: Niddy Impekoven. Geburtstag eines Wunderkindes,
in: tanzdrama 11, 2. Quartal 1990, S. 26–28

Ursula Pellaton: Niddy Impekoven, in: Andreas Kotte (Hg.): Theaterlexikon der Schweiz, Zürich 2005, Band 2, S. 901–902.