von Geertje Andresen
Harald (Gustav Rudolf) Kreutzberg war der berühmteste männliche Protagonist des deutschen Tanzes im 20. Jahrhundert und galt als „bester Tänzer seit Nijinsky“. Er wurde am 11. Dezember 1902 als zweites Kind des Kaufmanns Carl Kreutzberg und der Lehrerin Gabriele Ritschel in Reichenberg / Böhmen geboren. Um 1907 zog die Familie nach Breslau.
Dort erlebte der erst vierjährige Harald eine Aufführung der Operette „Der fidele Bauer“ von Leo Fall am Lobe-Theater und wollte sehr gern die Rolle des „Heinerle“ in der Inszenierung übernehmen. Seine Mutter gestattete ihm, sich im Theaterbüro vorzustellen, wo ihn der Regisseur sofort engagierte. Der erste Auftritt Harald Kreutzbergs fand also im Winter 1907/1908 in Breslau in der Rolle des „Heinerle“ statt.
1909 siedelte Familie Kreutzberg nach Dresden über. Hier besuchte der Knabe die Oberrealschule und erhielt 1909/1910 seinen ersten Ballettunterricht bei der Ballettmeisterin der Vereinigten Stadttheater Leipzig, Emma Grondona. Dieser Unterricht sagte dem Jungen allerdings nicht besonders zu.
Nach der Mittleren Reife 1919 begann der junge Mann mit einer Ausbildung zum Modegrafiker an der Kunstgewerbeschule in Dresden. Während seiner Ausbildungszeit trat er bei Festen seiner Schule in originellen Kostümen auf und erregte stets Aufsehen mit seinen Inszenierungen. Schon während seiner Ausbildung zum Modezeichner verdiente sich Harald Kreutzberg seinen Lebensunterhalt mit freien Arbeiten und als Zeichner für ein Dresdner Bekleidungshaus.
Am 1. Juni 1921 trat er gemeinsam mit dem Ellen-Petz-Kainer-Ballett im Dresdner Albert-Theater in seiner eigenen Choreographie des Solotanzes „Bizarrerie“ auf. Die Ballettleiterin Ellen Petz scheint seine moderne Art des Tanzens nicht geschätzt zu haben, und Kreutzberg konnte sich im Gegenzug nicht mit der Formensprache des Klassischen Tanzes anfreunden. Gemeinsam mit einem Freund besuchte er ab 1921 daher die Laienkurse an der Schule für modernen künstlerischen Tanz von Mary Wigman. Kreutzbergs Begabung fiel Mary Wigman sofort ins Auge, und sie forderte ihn auf, statt der Laienkurse ihre Berufsausbildungsklasse zu besuchen. Mit diesem Wechsel begann für Harald Kreutzberg seine eigentliche Ausbildung und seine Laufbahn als Tänzer.
Terpis wurde Anfang 1923 Ballettmeister an den Städtischen Bühnen in Hannover. Dorthin holte er Harald Kreutzberg mit seinem „Trommelspuk“ zunächst als Gast und sorgte später für dessen Festanstellung. Wegen seines großen Talents und seiner Ausstrahlungskraft wurde Kreutzberg sowohl von der Presse, als auch vom künstlerischen Leiter des Hauses, Hanns Niedecken-Gebhardt, hoch geschätzt. Trotzdem wechselte er gemeinsam mit Max Terpis in der Spielzeit 1924/25 an die Staatsoper nach Berlin. In Berlin fungierte Kreutzberg sowohl als Ensemble-, als auch als Solotänzer. Seinen ersten größeren Erfolg als Solotänzer in Berlin hatte er mit dem „Tanz der Angst“ im Ballett „Die Nächtlichen“.
1926 übernahm Kreutzberg in dem Ballett „Don Morte“ die Rolle des Narren und rasierte sich hierfür den Kopf. Dieser kahl rasierte Schädel wurde fortan zu Harald Kreutzbergs Erkennungszeichen. Die Musik für das Ballett „Don Morte“ schrieb Friedrich Wilckens, der nach dieser ersten gemeinsamen Arbeit zu Kreutzbergs engstem Mitarbeiter wurde.
Im Dezember 1926 gastierte Harald Kreutzberg in Hannover mit „Petruschka“ und gab gemeinsam mit seiner späteren Tanz- und Choreographiepartnerin Yvonne Georgi seinen ersten, sehr erfolgreichen Kammertanzabend.
Im April 1927 trat Kreutzberg als Spielmann in der Dortmunder Inszenierung „Mirakel“ von Max Reinhardt und Karl Vollmoeller auf, und im Juni desselben Jahres zeigte er auf dem Tänzerkongress in Magdeburg sein Solo „Revolte“. Besonders wichtig aber war seine Rolle des Puck in der Inszenierung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ durch Max Reinhardt bei den Salzburger Festspielen. Außerdem konnte Kreutzberg in diesem Jahr seinen internationalen Durchbruch feiern, den er bei einem Kammertanzabend mit Tilly Losch und Hedy Pfundmayr von der Wiener Staatsoper erlangte.
Zur Spielzeit 1927/28 kehrte Harald Kreutzberg als Solist nach Hannover zurück und begann nun auch eine intensive choreographische und tänzerische Zusammenarbeit mit Yvonne Georgi. Diese Zusammenarbeit faszinierte vor allem durch die Choreographien Yvonne Georgis und ihre herbe Ausstrahlung im Tanz, die effektvoll die tänzerische Leichtigkeit Harald Kreutzbergs unterstrich.
Kreutzbergs wachsende Popularität gründete vor allem in der Leichtigkeit und Heiterkeit seiner Tänze und Tanzkunst. Daneben aber schuf und tanzte er bis 1938 und ab 1948 dramatische Werke, in denen er sich religiösen Themen widmete. Ihn interessierten immer wieder Variationen verschiedener Engelsgestalten, bzw. Gestalten aus Bibelerzählungen, die ihn tänzerisch dazu zwangen, durch Reduktion seiner Formensprache intensivste Wirkung zu erzielen.
Im Winter 1927/28 unternahm Harald Kreutzberg als Mitglied des Max-Reinhardt-Ensembles seine erste Tournee durch die USA und gab dort gemeinsam mit Tilly Losch wieder einen sehr erfolgreichen Kammertanzabend; auch die Vertreter des Modern Dance in den USA waren fasziniert von seiner Technik und Ausstrahlungskraft.
Von Januar bis März 1929 gingen Harald Kreutzberg und Yvonne Georgi auf ihre erste gemeinsame Tournee durch die USA. Sie zeigten hier, wie auch bei ihren drei folgenden Gastspielreisen, die Programme, die sie in Hannover entwickelt hatten. Besonderes Augenmerk legte Yvonne Georgi auf die Auswahl der Musik für ihre Stücke. Georgi engagierte sich sehr für zeitgenössische Komponisten wie Paul Hindemith, Wilhelm Grosz oder Egon Wellesz und verwendete deren Musik in Choreographien wie „Das seltsame Haus“, „Baby in der Bar“ und „Tanzsuite“. Auf diese Weise brachte sie dem Publikum die neuartige Musik in Verbindung mit dem Tanz näher und machte auf die Komponisten aufmerksam.
Nach ihrer dritten Tournee durch die USA im Jahr 1931 beendete das Tanzpaar mit den Stücken „Die Planeten“ (Musik: Gustav Holst) und „Le Train bleu“ (Musik: Darius Milhaud) an der Berliner Staatsoper seine feste Zusammenarbeit.
Harald Kreutzberg reiste im Winter 1931/32 zum fünften Mal in die USA und tourte mit seiner eigenen Tanzgruppe (Irja Hagfors, Araça Makarova, Ilse Meudtner, Almut Winkelmann) durch den nordamerikanischen Kontinent. Bis 1939 wiederholte er jährlich Solotourneen durch die USA und begeisterte bis Mitte der 1930er Jahre das Publikum mit seiner einzigartigen Technik und Ausstrahlungskraft in seinen heiteren, leichten und komischen Tänzen. Danach erwarteten die amerikanischen Kritiker von ihm ernsthaftere Inhalte in seinen Choreographien, die die Lebensbedingungen der Deutschen und des Nationalsozialismus kritisch reflektierten. Obwohl er diese Erwartungen nicht erfüllte, feierte ihn das amerikanische Publikum enthusiastisch.
Parallel zu seinen Solotourneen begann Kreutzberg ab 1933 Meisterkurse und Workshops an verschiedenen Orten in den USA zu geben, auf die seine amerikanischen Studenten mit Begeisterung reagierten. Er beeinflusste insbesondere Erick Hawkins, Josè Limón, Eugene Loring und Ruth Page in der Entwicklung ihrer Technik. Mit Ruth Page unternahm er 1934 gemeinsam eine Tournee durch Ostasien.
Nach Kriegsbeginn konnte Kreutzberg nicht mehr in die USA reisen. Erst ab 1948 gastierte er wieder in den USA und gab dort 1953 seine Abschiedstournee.
Der Ruhm Harald Kreutzbergs war in Deutschland genauso groß wie in Übersee. Kreutzberg galt den nationalsozialistischen Kulturpolitikern als Repräsentant deutscher Kultur schlechthin und wurde in dieser Eigenschaft fortwährend auf Tournee ins Ausland geschickt. 1933 nahm er ebenfalls für eine Spielzeit den Posten des Tanzmeisters am Düsseldorfer Opernhaus an. 1934 und 1935 tanzte er bei den Deutschen Tanzfestspielen in Berlin und trat als Solist in den wichtigsten Inszenierungen der Berliner Staatsoper und auch in Salzburg auf.
1936 übernahm Kreutzberg die Meisterklassen an den Deutschen Meisterstätten für Tanz in Berlin. Außerdem erhielt er für seine Darbietungen bei den Internationalen Tanzwettspielen im Rahmenprogramm der XI. Olympischen Spiele in Berlin eine Ehrenurkunde.
1938 erschien Kreutzbergs erstes autobiographisches Werk „…über mich selbst“. Es umfasste lediglich zwanzig Textseiten und einige Abbildungen und richtete sich in erster Linie an die Besucher seiner Tanzabende.
Bis 1944 gab Harald Kreutzberg unermüdlich Solotanzabende. Als aber im September 1944 die Theater im Deutschen Reich geschlossen wurden und alle Künstlerinnen und Künstler Kriegsdienst leisten mussten, wurde auch Kreutzberg eingezogen und diente in der Wehrmacht als Fahrer und Sanitäter. Im Mai 1945 geriet er in amerikanische Gefangenschaft und verblieb zweieinhalb Monate in einem italienischen Kriegsgefangenenlager.
Im November 1945 gab er nach einem Jahr Zwangspause in München seinen nächsten Tanzabend. Ab 1946 nahm er seine internationalen Gastspielreisen, nun auch durch Südamerika, wieder auf und lehrte zehn Jahre lang Tanz und Choreographie bei den Internationalen Sommerkursen für Tanz in der Schweiz.
1952 erhielt Harald Kreutzberg den Deutschen Tanzpreis des Deutschen Kritikerverbandes für „das Lebenswerk dieses größten deutschen Tänzers während der ganzen letzten 25 Jahre“. Im Februar 1953 wurde er Ehrenmitglied der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien.
1955 fasste er in dem Programm „Tänze vor Gott“ seine religiösen Stücke zusammen und zeigte damit erstmals ausschließlich seine dramatische Tanzkunst vor Publikum. Im selben Jahr gründete er gemeinsam mit Hilde Baumann in Bern (Schweiz) eine Tanzakademie.
Im März 1957 gab Kreutzberg seinen 100sten Tanzabend in Berlin und unternahm von Herbst 1957 bis Ende 1961 seine Abschiedstourneen durch Europa und Südamerika. Danach trat er nur noch vereinzelt in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf.
1960 erhielt Kreutzberg den sudetendeutschen Kulturpreis, und im Januar 1961 wurde ihm das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse verliehen. 1967 verlieh ihm auch die Bundesrepublik Deutschland den Verdienstorden Erster Klasse.
Am 25. April 1968 starb Harald Kreutzberg in Bern.
Der Nachlaß von Harald Kreutzberg befindet sich im Deutschen Tanzarchiv Köln.
für seine (bisher nur in Auszügen publizierten) Memoiren: HK auf Welttournee.
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Foto © : Siegfried Enkelmann / VG Bild-Kunst, Bonn
© Richmond Barthé / Deutsches Tanzarchiv Köln
Hier mit Tilly Losch und Max Reinhardt auf der ersten Amerika-Tournee. Die Alben sind mikroverfilmt und für die Forschung in Fotokopien davon zugänglich, die Kritiken wurden (da nicht immer bibliographisch exakt ermittelbar, aber chronologisch eingeklebt) durchnumeriert und die darin enthaltenen Tänze für das Werkverzeichnis ausgewertet.
© Atelier Robertson / Deutsches Tanzarchiv Köln, VG Bildkunst Bonn
in Kostümen von Lotte Pritzel. Redoute in der Berliner Kroll-Oper 1925.
© Bordphotograph P. Cwojdzinski / Deutsches Tanzarchiv Köln
Frank-Manuel Peter (Hg.): Der Tänzer Harald Kreutzberg Berlin 1997 240 S., zahlr. schw.-w. Abb. 24,00 Euro im Buchhandel; 20,00 Euro im Museum.