Auf der Basis eines eigenhändigen Lebenslaufs vom 8. März 1954 und aus anderen Quellen[1] (kursiv) ergänzt:

1908 - 1927

Am 17. März 1908 wurde ich in Lauta Krs. Calau als achtes Kind des aus Lanz bei Lenzen an der Elbe stammenden Pfarrers Hugo Kamrath geboren (und auf den Namen Wilhelm getauft) und besuchte zunächst dort die Volksschule. Nach dem Tode meines Vaters wurde ich 1919 Zögling der Waisen-Anstalt in den Franckeschen Stiftungen in Halle und Schüler der „Schola Latina“, einem Humanistischen Gymnasium. Ich hatte eigentlich die Absicht, auf der Hochschule für Leibesübungen zu studieren, um Diplom-Turn- und Sportlehrer zu werden. Die „Deutsche Turn-Zeitung in Leipzig veröffentlichte am 11. Februar 1926 [Jg.71, Nr. 12] ein Foto, das mich als „Jugendturner Wilhelm Kamrath, Schülerturnverein ‚Friesen‘“ zeigte. In jener Zeit hörte ich aber erstmalig auch von Laban und Hedwig Nottebohm und begann, mich für deren Bestrebungen zu interessieren. Bis zum Beginn des Studiums, das ich an der Hochschule für Leibesübungen in Berlin anstrebte, hatte ich noch Zeit, mich in der Kunst und im Theater umzusehen. Am Landestheater in Braunschweig wurden Leute für den Bewegungschor gesucht, das reizte mich. Und so stellte ich mich mit verschiedenen Übungen im Ballettsaal vor. Die Meisterin [Martha Gäbler] meinte daraufhin, ich hätte Talent für einen Tänzer und fragte mich, ob ich nicht diesen Beruf ergreifen wolle. Das war für mich undenkbar, ich habe sie einfach ausgelacht. Dennoch besuchte ich ihren Tanzzirkel, und bald stand ich mit auf der Bühne [z.B. am 1. Juni 1927 in einem ‚Trepac (russisch)‘].

1927/28 - 1933/34

1927/28 als Tänzer (ohne festen Vertrag) am Landestheater Braunschweig übernehme ich bereits Tanzsoli des ausscheidenden Solotänzers. Aber ich wollte weiter. Da gastierte Laban mit seinem „Ritterballett“. Ich nahm Kontakt zu ihm auf, und er empfahl mir, nach Berlin zu kommen. […] Ich schrieb nun an Max Terpis, den damaligen Ballettchef der Staatsoper, was meine Braunschweiger Meisterin zum Schreckensruf „Sie wollen mich wohl blamieren“ veranlasste.

1928/29 Fachschulausbildung in der Schule für Bühnentanz von Max Terpis (Staatsoper Berlin) und Spezialausbildung im klassischen Ballett bei Victor Gsovsky (Berlin).

1929/30 werde ich von Harald Kreutzberg (Tanzoberleitung) als Tänzer mit Soloverpflichtung an die Städtischen Bühnen Leipzig – im folgenden Jahr als Solotänzer – verpflichtet. Meine erste große Aufgabe war eine Rolle (neben Käthe Richter, Susanne Ufert, Herbert Freund) im Ballett „Karussellfahrt“ (Musik von Friedrich Wilckens, dem ständigen Klavier-Begleiter Kreutzbergs).

Die Leipziger Jahre waren für mich eine bewegte Zeit. Wir jungen Tänzer steckten voller Ideen, […] und wir mischten uns provozierend unter vornehme Gesellschaften, wo wir zum Beispiel in farbigen Fracks aufkreuzten, um das traditionelle Schwarz aufzulockern. Voller Tatendrang gründete ich 1931 die Gruppe Junge Tanzkunst Leipzig (mit drei Männern und einer Frau) mit der erklärten Absicht, „eigene Wege der Tanzgestaltung zu suchen und Interesse für eine junge Tanzkunst zu wecken“. Das betrieben wir in unserer Freizeit, neben den Theater-Verpflichtungen. Bald hatten wir das erste Programm einstudiert, und zu den Darbietungen unserer ersten Matinee am 8. März 1931 gehörten meine Tänze „Leicht beschwingt“, „Ziel“ und „Trommler in Rot“ (nach Musik von Béla Bartók und in einem kubistischen Kostüm).

In dieser Zeit befasste ich mich auch mit einem ganz anders gearteten Projekt. Ich entwarf einen „Neuen deutschen Abend- und Tanzanzug. Zum D.R.G.M. angemeldet.“ Im Werbetext unter der Abbildung hieß es: „Extra leicht und bequem. Gewicht ca. 2 1/2 Pfund. Ohne Ärmel und Weste, an deren Stelle ein schwarzseidenes Blusenhemd.“ In die Produktion ging meine Erfindung allerdings nie, leider!

1931/32 Engagement als Gastballettmeister an das Stadttheater Halle, Gründung eigener Tanzstudios in Halle und Leipzig, Unterricht an der Universität Halle-Wittenberg, Unterricht für „Ballett, Charakter- und Stiltanz (russische Schule)“  in der Wigman-Schule Leipzig. Im Jahr 1932 erschien in Dresden und Halle eine Mappe des Grafikers Wilhelm Krieg „Der Tänzer Wilmo Kamrath in 6 Original-Radierungen“.

1932/33 Neben dieser Tätigkeit bin ich Gastballettmeister an verschiedenen deutschen Theatern u.a. in Wiesbaden, Operettentheater und Battenbergtheater in Leipzig, gebe eigene Tanzabende mit Ilse Meudtner. Die Tänze, die wir boten, trugen Titel wie „Festlicher Marsch“, „Hamburger Zimmermann“, „Rattenfänger von Hameln“, „Bäuerlicher Tanz“, „Slawischer Tanz“. […] Einen meiner Tanzabende mit Ilse Meudtner (in Darmstadt) sah Kurt Jooss.

1933/34 Verpflichtung zu einer Welt- und Amerikatournee im Tanztheater Kurt Jooss. New York, Paris, London, Amsterdam, Rotterdam und Holland, Brüssel Antwerpen und Belgien, Zürich Basel und die Schweiz, Mailand, Wien, Budapest, Warschau, Kopenhagen, Stockholm und Oslo sind die einzelnen Stationen. In New York war das Forrest Theater am Broadway unser Domizil, in das viel reiches und snobistisches Publikum kam. Der „Grüne Tisch“ schockierte diese Leute zunächst, doch bald hatten wir mit diesem Ballett großen Erfolg. Und Zuschauer, zu Beginn der Vorstellung noch uninteressiert die Zeitung lesend, wendeten während der Aufführung ihren Blick überrascht auf die Bühne, sie konnten sich Anliegen und Faszination des Werkes nicht entziehen! Ich glaube, wir haben mit unseren Auftritten das amerikanische Publikum ganz erheblich zum Nachdenken angeregt.“

1934/35 - 1948/51

1934/35 Im Anschluss eine eigene Gastspieltournee durch Nord- und Ostdeutschland und Verpflichtung zu den deutschen Tanzfestspielen in Berlin durch Rudolf von Laban als Solist und Leiter einer Gruppe.

1935/37 erhalte ich die Leitung der Tanzbühne an dem Oberschlesischen Landestheater Beuthen, Gleiwitz, Hindenburg und kann in Warschau gastieren. [1936] tanzte ich während der Berliner Olympiade im großen Tanz-Programm in der Kreutzberg-Truppe. Ich sah darüber hinaus Wigmans „Totenklage“ und die Palucca mit ihrem großen Solo, dem „Rosenkavalier-Walzer“. Mich beeindruckten diese von ernstem humanistischem Geist getragenen Tänze zutiefst.

1937/38 werde ich an das Reussische Theater in Gera verpflichtet und kann mit dem von mir verfassten heiter-dramatischen Ballett „Friedel mit der Fiedel“ in Berlin (Volksbühne) gastieren; außerdem wird mir die Tanzgestaltung der Oper „Rienzi“ bei den Berliner Sommerfestspielen von Prof. Niedecken-Gebhardt übertragen.

1939/40 Trainingsmeister und Solotänzer am Duisburger Opernhaus (Intendant Hartmann)

1940/41 Ballettmeister und Solotänzer in Teplitz-Schönau

1941/42 Ballettmeister und Solotänzer an den Städtischen Bühnen in Kattowitz-Königshütte.

1942 erhalte ich einen dreijährigen Vertrag als Leiter der Tanzbühne, Ballettmeister und Solotänzer an die Theater der Stadt Nürnberg. Diese Tätigkeit wird unterbrochen durch die Einberufung zur Wehrmacht, bin Soldat in Frankreich, Sardinien, Korsika, Italien, meist in Spielgruppen eingesetzt. Internierung kurz vor Kriegsschluss durch die Amerikaner in Italien, Tätigkeit in Spielgruppen.

1945/46 Leiter der Tanzbühne, Ballettmeister und Solotänzer an den Städtischen Bühnen in Hagen. Die Anleitung einer Betriebstanzgruppe der [Zwieback- und] Keksfabrik Brandt, als Nebenbeschäftigung, wurde damals für mich lebensnotwendig, denn ich erhielt das Honorar in Gestalt von Keksen und Heringen!

1945/46 Gründung einer eigenen Tanzbühne und Gastspieltournee insbesondere im Ruhrgebiet vor Werktätigen, Gastspiele in Düsseldorf, Köln, Essen, Braunschweig, Goslar, Wuppertal, Solingen …

1947/48 Ballettmeister und Solotänzer an den Städtischen Bühnen Essen, Lehrer für Ballett und Nationaltanz an den Folkwangschulen Essen.

1948/51 Ballettmeister und Solotänzer an den Städtischen Theatern Lübeck

1951 - 1965

1951 werde ich durch Herrn Intendanten Bodenstein an das Landestheater Dessau als Leiter der Tanzbühne, Ballettmeister und Solotänzer verpflichtet. Mit mir ging auch Ellen Meißner. Sie stammte aus Lübeck, wo ich sie zur Tänzerin ausgebildet hatte. Später heirateten wir und gingen unseren Lebens- und Schaffensweg gemeinsam.

1952 choreographierte ich u.a. den „Dreispitz“. Mit Bodenstein reiste ich 1953 nach Ungarn, wo ich in Budapest Zoltán Kodály traf. Ich hatte für einen Tanzabend eine Choreographie nach seinen „Tänzen aus Galánta“ und den „Marosszéker Tänzen“ geschaffen; diese dramatische Tanzdichtung nannte ich „Des Teufels Peitsche“. […] 1956 inszenierte ich „Coppelia“ in einer szenischen Neugestaltung, in der ich vor allem die Rolle der Swanilda für Ellen Meißner weiter profilierte, und 1958 hatte ich die Bewegungsregie in der Operninszenierung „Die Stumme von Portici“ (getanzt von Ellen Meißner). Zusammen mit ihr und mit Rolf Händel erarbeitete ich auch einen Kammertanzabend. „Die gesamte Presse sah sich jedenfalls in ihrer Erwartung, die die Gemeinschaftsarbeit Meißner-Händel-Kamrath auslöste, weit übertroffen und verlangte weitere Wiederholungen im Interesse der Jugend, damit sie sich mit den Problemen des modernen Tanzes auseinandersetzen könne. […] „Hier [in der DDR] ist allgemein der jüngeren Generation die Begegnung mit dem Ausdruckstanz etwas ganz Ungewöhnliches, denn auch unsere westlichen bedeutenderen Kammerjäger [sic] verschmähen es, den jungen Schülern, Tänzern und überhaupt den Jugendlichen ‚drüben‘ ihre persönliche Hilfe(vor)stellung zu geben“, schrieb Kurt Peters im Februar 1957 im „Tanzarchiv“. Nach Boris Blachers Musik schuf ich die Choreographie „Hamlet“, nach Mussorgski die Tanzszene „Fronarbeit“, mit der Ellen Meißner und Rudolf Händel als einzige Nicht-Berliner Tänzer 1957 zu den VI. Weltfestspielen nach Moskau delegiert wurden und dort die Silber- bzw. Bronzemedaille errangen!

Später initiierte ich die „Stunde des Tanzes“, das war ein Soloabend mit Ellen Meißner in meiner Regie und Lichtgestaltung, mit Gerhard Erber am Flügel und Gert Gütschow als Sprecher. Mit diesem Abend entwickelte ich meine Idee, Musik - Dichtung - Tanz in einem Programm zu vereinen, weiter. Die Tänze trugen Überschriften wie „Alpdruck“ (Musik Bartók), „Gesichte“ (ein Maskentanz […]), „Irrlicht“, „Zigeunertanz“.

1965 schuf ich den ersten Kammertanzabend mit zeitgenössischer Thematik „… und heller wurde jeder Tag“, mit dem wir auch im Ausland gastierten. Der Text von Albrecht Kortüm (den Heinz Röttger für uns vertonte), die „Ballade vom erkämpften Leben“, erzählt sinnbildhaft von der ermordeten Goethe-Eiche und stellt das Schicksal einer Frau im KZ Buchenwald dar, die trotz bestialischer Behandlung ihr humanes Sein und Denken bewahrt. Das Werk war ein Tanzzyklus mit den Teilen: Tanz am Höllentor, Steine statt Brot, Gesang im Kerker, Hört meinen Ruf, Wachsender Widerstand, Hüte das Holz der gemordeten Eiche wie eine Mutter ihr Kind.

Als ich einige Jahre Ballettmeister in Wittenberg war, nutzten wir die Möglichkeiten im Wörlitzer Park zu einer exklusiven Inszenierung. Auf der Bühne auf der Insel Stein boten wir ein „Tanzmosaik“, dessen Höhepunkte die Auftritte Ellen Meißners mit der Tanzgruppe waren. Hier bezeichnete ich meine Arbeit, wie früher schon, als „Tanzregie“, denn ich konnte nie Tanz und Handlung voneinander trennen, ich betrachtete stets beide Komponenten als eine Einheit.

„Wilmo Kamrath blieb bis ins hohe Alter der Kunst und dem Theater eng verbunden. Er war kritisch, oft schwierig, dennoch duldsam, immer klug und bis zuletzt voller Lebensbejahung – schillernd in der Jugend und weise im Alter!“ (Ellen Meißner-Kamrath).

Wilmo Kamrath verstarb am 24. Dezember 1989 in Dessau-Törten.

[1] Vor allem aus: Wilmo Kamrath erinnert sich. In: Theater der Zeit, H. 1 / 1990, aufgeschrieben von Dietmar Fritzsche.