Dieses sehr schöne Mädchen, das im Blüthner-Saal, in den Kammerspielen, im Deutschen Theater zu Berlin, in München, Köln, Innsbruck und Prag ihren Weg im heftigsten Echo der Tanzpresse begann, ringt wohl inständig um einen Rang neben den dreien, die man ernst nimmt: der Impekoven, der Wigmann, der Gert. Und wenn man dieses vollkommen gewachsene hohe Geschöpf in der Musik stehen sieht, weht eine Ahnung daher, daß es Herrlichkeiten im Tanz geben könnte, die keine von jenen dreien zu tragen und zu hüten bekam, nicht der heroische Gongschlag der Mary, nicht der süße Geigenlauf der Niddy, nicht die grausame Trommel der Valeska: die Herrlichkeit der Tänzerin, die alle tausend Jahre wiederkehrt, die der vollkommenen starken Anmut, der beispiellosen Schönheit, des Ebenbildes Gottes.


Foto: © Karl Schenker / Deutsches Tanzarchiv Köln

Aber dann beginnt dieses Mädchen ihren Leib zu entfalten, die Ahnung verweht, der Glanz ergraut, der Klang verrostet; es bewegt sich eine wundervolle Attrappe, gewiß angefüllt mit Lust am Raum, mit Durst nach Rhythmus, mit Heimweh nach Musik, jedoch wird von dieser Lust der Raum nicht lebendig, in diesem Durst verdorrt der Rhythmus und das Heimweh steht wie ein starrer Mantel wider die Musik. Es ist die Lust, der Durst und die Sehnsucht einer törichten und verwunschenen Jungfrau.


Foto: © Deutsches Tanzarchiv Köln

Ihre schönen Arme baden in der Melodie und steigen, sinken und wiegen sich in ihren Wellen, aber es scheint kein Blut in ihnen. Ihre hohen Beine sind von der Schwere und dem Boden nicht begnadigt, nicht freigegeben dem Hauch, dem Fliegen, dem atmenden Lauf; verurteilt zur Erde sind sie, wie die unsrigen. Was kann also der Leib anderes beginnen, als tonlos und gemächlich zwischen den tauben Bewegungen der Glieder verharren? Was kann die kostbarste Musik über diesem Körper anderes tun, als rieseln über diese Geige ohne Saiten und im Boden versickern. Was kann das traumhafteste Licht und das edelste Kleid über dieser Lampe ohne Oel anderes tun, als blind werden und ins Leere wandern?


Foto: © Deutsches Tanzarchiv Köln

Jedoch: es stolpert hier keine leichtsinnige Schöne die verworrenen Pfade zur Kunst empor; es grübelt in diesen Tänzen ein wahnsinniger Wille zur Erlösung von solchen Ketten des verwunschenen Leibes, es tastet in der Finsternis eine Demütige, es ringt ein Mensch mit dem Engel. Und es bleibt also nicht Zorn über diesen Anblick, sondern eine leise Trauer, daß solche äußere Vollkommenheit nicht gesegnet ist mit der Gnade des Blutes, der Herrlichkeit des Genius, der Fackel des Dämons.

Fred Hildenbrandt

Berliner Tageblatt, 52. Jg., Nr. 589 vom 21. Dezember 1923, Abendausgabe, S. 2


Foto: © Deutsches Tanzarchiv Köln