von Hans-Jörg Modlmayr

Raimondo Puccinelli entschloß sich schon früh, Künstler zu werden. Den Anstoß gab ein venezianischer Maler, dem seine Mutter für eine Madonna Modell saß. Der sechsjährige Sohn, am 5. Mai 1904 in San Francisco als Kind italienischer Eltern geboren, entdeckte im Atelier dieses Malers seine Berufung. Puccinellis Vater war nach Amerika ausgewandert, um sich dem kulturellen „Ambiente" seines Vaters, eines Kunstmäzens, der auch Bürgermeister in Lucca war, zu entziehen. Auf wenig Gegenliebe stieß daher der Wunsch des jungen Puccinelli, seiner Berufung zu folgen. Er mußte seinen Weg allein, ohne Unterstützung vom Elternhaus, verfolgen.

Den kindlichen und jugendlichen Zeichen- und Malübungen folgte vom 14. Lebensjahr an, als Puccinelli für seine Zeichnungen einen Preis des Staates Kalifornien erhielt, ein Studium in Abendkursen. Mit 18 Jahren nahm er sein eigentliches Studium auf, zuerst unter Rudolf Schaeffer, der von der Wiener Kunstgewerbeschule kam, dann unter Galka Scheyer, die vom „Bauhaus" nach Amerika gekommen war. Bereits mit 16 Jahren hatte Puccinelli begonnen, sich mit den „Abstrakten" und den russischen „Konstruktivisten" auseinanderzusetzen. Mehrere Entwicklungslinien gilt es von hier aus im Auge zu behalten. Da ist zuerst der Ehrgeiz, seine handwerklichen Fähigkeiten bis zur bestmöglichen Materialbeherrschung zu vervollkommnen. Daneben läuft seine nicht weniger ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Theater und dem Ausdruckstanz. Hinzu kommt noch die Bekanntschaft oder Freundschaft mit den wichtigsten amerikanischen Schriftstellern. Sein angeborenes Interesse für Musik - enge Freundschaft mit Edgar Varèse und Darius Milhaud - wirkte auf sein künstlerisches Fühlen nicht weniger ein, als die Bekanntschaft mit dem Psychologen Alfred Adler. Puccinellis Leben ist geprägt worden von der gleichzeitigen Entwicklung verschiedenster Fähigkeiten und Interessen. Er war von Anfang an nicht auf ein eng umrissenes Ziel festgelegt, sondern er stand offen für alles, was ihm das „Geheimnis des Menschen" zu deuten half.

Entscheidend für die künstlerische Entwicklung war 1927 seine erste Italienreise. In Lucca, wo ihm der Großvater ein Atelier einrichtete, lernte er bei dem Bildhauer Petroni, Marmor zu bearbeiten. Damals löste er sich auch von der abstrakten Kunst, in deren Zeichensystem er keine Möglichkeit sah, seine eigene bildhauerische Sprachform zu verwirklichen. In Lucca schuf er seine eigentliche erste Skulptur, ein Portrait von Guglielmo Marconi. Weitere Lehrjahre schlossen sich an. Er studierte die Antike, die romanische Plastik, er befaßte sich eingehend mit Donatello, Michelangelo und Pisano, er ging bei einem venezianischen Granitsteinmetz und bei einem portugiesischen Möbelschreiner und Holzbildhauer in die Lehre. Viel Zeit verbrachte Puccinelli in den berühmten italienischen Steinbrüchen bei der Ausführung von Aufträgen. Ehe er sich dann endgültig in Italien niederließ, war er über 25 mal zwischen seiner Geburtsheimat und der Heimat seiner Vorfahren hin und her gependelt.

Eng waren seine Beziehungen zur Welt des Theaters. In Chinatown, einem Stadtteil von San Francisco, wo er 15 Jahre lang sein Atelier hatte, war er nicht nur durch Vermittlung von Freunden mit chinesischer Philosophie und Lyrik in Berührung gekommen, sondern eignete sich auch eine gründliche Kenntnis des chinesischen und japanischen Theaters an. In dieser Zeit arbeitete er als Bühnenbildner und Regieassistent mit Maurice Brown, Ellen van Volkenberg, Hedwiga Reicher und John Cowper Powys, die alle damals zu den Großen des internationalen Theaters gehörten, zusammen. Dann berief ihn Max Reinhardt für die amerikanische Aufführung von Vollmoellers „Mirakelspiel" als Regieassistent.

Von früh an fühlte sich Puccinelli zur „Handarbeit" gedrängt, als Maler oder Bildhauer. Um seinen Weg stets geradeaus gehen zu können, um sich keiner Schule, keiner Gruppe aus materieller Abhängigkeit anschließen zu müssen, um seine Selbstachtung nicht durch Zugeständnisse zu gefährden, hat er sich zeitweise wirtschaftlich durch Möbel- und Industriedesign und auch durch Architekturaufträge über Wasser gehalten. Die Schulung durch die Bauhausphilosophie ist ihm hierbei zugute gekommen. San Francisco war in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts das wohl lebendigste und vielseitigste Kulturzentrum Amerikas. Europäische, fernöstliche und lateinamerikanische Einflüsse überlagerten, vermengten sich hier und förderten sich gegenseitig. So ließ sich dort auch leicht Verbindung aufnehmen zu zeitgenössischen Künstlern.

Besonders wertvoll war Puccinelli die 1929 geschlossene Freundschaft mit Diego Rivera, der ihn in die Gesetze der Renaissance-Komposition eingeführt hatte. Für viele andere Künstler seien hier noch Elie Faure, der mexikanische Muralist Jose Clemente Orozco, Fouyita, William Saroyan und Serghei Eisenstein genannt. In die Zeit der frühen dreißiger Jahre fällt auch die für seine weitere Entwicklung so wichtige Begegnung mit Henri Matisse, der sich - als Bildhauer weniger in Erscheinung getreten - für Puccinellis Skulpturen interessierte und ihn ermunterte, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen. Er machte ihn mit Herbert Bittner, dem Leiter der New Yorker „Westermann Art Gallery", bekannt. Dieser lud Puccinelli alsbald ein, sich als dritter Bildhauer an einer Ausstellung von Lehmbruck und Barlach zu beteiligen. Eine Anzahl weiterer Ausstellungen in New York folgte. Puccinelli fand Zugang zu der New Yorker Gesellschaft, die sich anschickte, San Francisco den Rang abzulaufen.

Damals nahm Puccinelli auch als einziger Nichtpsychologe an Alfred Adlers Freitagabendseminaren teil; Puccinellis Verständnis des Menschen wurde hierdurch entscheidend vertieft. Zwischen New York, das später vorübergehend seine Heimat werden sollte, und San Francisco erstreckte sich nun sein Lebensbereich. 1937 fand eine Begegnung mit dem Komponisten Edgar Varèse statt, woraus eine Freundschaft fürs Leben wurde. Ein Jahr später nahm er am Mills College, Oakland, Kalifornien, eine Professur für Bildhauerei an. Vorübergehend war das Mills College, bedingt durch die Zeitläufte, zu einer Oase künstlerischen Schaffens geworden. Darius Milhaud, der zweite enge Komponisten- Freund im Leben Puccinellis, arbeitete dort, das Budapester Streichorchester hatte hier eine Heimstatt gefunden. Andere Kontakte, zu Max Beckmann, Fernand Leger und Oskar Kokoschka, fallen in diese Zeit. Damals entstanden zahllose Zeichnungen und Skizzen der Tänzerinnen Martha Graham, Hanya Holm, Ann Mundstock und Mary Wigman.

Im Jahre 1940 heiratete Puccinelli die schwedische Tänzerin Esther Fehlen. Zu der Lehrverpflichtung am Mills College kam 1942 die Professur für Bildhauerei in der Architekturabteilung der Universität von Berkely in Kalifornien. Sein Freund Mendelsohn, der Architekt, sollte ihm nach seinem Rücktritt von diesem Amt auf diese Stelle folgen.

In die Zeit seiner 'artist-in-residenceship' an der Universität North Carolina in Chapel Hill, von 1948 an, datiert seine Freundschaft mit dem Shakespeare-Übersetzer Hans Rothe, der heute ebenfalls in Florenz lebt. 1950 siedelte Puccinelli dann endgültig von San Francisco nach New York über, wo er ein Haus erwarb und viele seiner Freunde von der Westküste, so Edgar Varèse und den chinesischen Maler Dong Kingman, vorfand. In den Jahren 1956 und 1957 bereiste Puccinelli auf deren Einladung die lateinamerikanischen Staaten, hielt dort Vorträge und stellte in den wichtigsten Städten und Museen aus. Nach der Rückkehr reifte sein Entschluß, sich endgültig in Italien niederzulassen. Zur Ausführung einer Reihe von amerikanischen Aufträgen reiste er in die Steinbrüche von Querceta bei Porte dei Marmi in die Toskana.

Seine erste italienische Ausstellung fand 1957 in der Galleria Schneider in Rom statt. Noch einmal kehrte Puccinelli wegen einer Ausstellung in den Midtown Galleries nach New York zurück, wurde zum Dekan der Rinehardt School of Sculpture in Baltimore ernannt, wo er zwei Jahre blieb, unterbrochen von kurzen Reisen nach Italien. 1960 fand er in Florenz, wo er noch heute an der Piazza Donatello sein Atelier hat, den Ruhepunkt für die Vollendung seiner künstlerischen Ziele. Eine Zeitlang unterrichtete er in Florenz an der Università Internazionale d'Arte, erhielt die Donatello-Plakette der Stadt Florenz und wurde 1970 zum Ehrenmitglied der florentiner Akademie der Künste, Bildhauerklasse, ernannt. Die vier weiteren Mitglieder sind neben ihm Wotruba, Henry Moore, Marino Marini und Giacomo Manzù.