von Thomas Thorausch
Die ehemalige Tanzschülerin Friedy Wäber erinnert sich: "Unsere Lehrerin war einfach mitten unter uns, ermunterte uns und strahlte so viel Heiterkeit aus, was sie, mit ihrer ans Englische gemahnenden Aussprache, einfach liebenswert machte."[1]
Die Lehrerin, die ihre Schülerinnen derart für sich - und natürlich den Tanz - begeisterte, war die in England aufgewachsene, deutschstämmige Tänzerin Emmy Sauerbeck, die von 1922 bis 1974 die "Schule für Bewegung" in Bern leitete. 1894 in London geboren, wuchs Emmy Sauerbeck mit zwei Geschwistern auf. Ein gemeinsam mit der Mutter besuchtes Gastspiel der Tänzerin Maud Allan begeisterte sie bereits als Kind für den Tanz. Doch zunächst nahm sie 1914 in Zürich ein Geigenstudium auf. Bereits nach einem Jahr begann sie parallel dazu eine Tanzausbildung am Züricher Konservatorium bei Rudolf von Laban und belegte Kurse bei Suzanne Perrottet und Katja Wulff.
Die Ausbildung bei Rudolf von Laban prägte ihre pädagogische Arbeit: "Rudolf von Laban ist der große Erneuerer des Tanzes unserer Zeit; er hat für den Tanz die Eigengesetze der Harmonik und der Melodik entdeckt, formuliert und fruchtbar gemacht, so daß der Tanz jetzt auf der gleichen Entwicklungsstufe steht wie die Musik als selbständige Kunst, die zwar mit den anderen Künsten verschmelzen kann, aber nicht deswegen in Abhängigkeit gerät. Und mit der Geburt der Tanzkunst als ebenbürtiger Kunstzweig scheint die Zersplitterung der Künste ihren Höhepunkt und ihren Endpunkt erreicht zu haben. Indem wir im Zentrum des Körpers uns eins fühlen mit den Weltgesetzen, ersehnen wir erneut eine Gemeinsamkeit des Erlebens."[2] Ihr Prinzip war die Pflege des Schöpferischen mit dem Ziel, die Eigenheit des einzelnen Schülers zu entwickeln, harmonisch zu gestalten und ohne Zwang in eine Tanzgemeinschaft einzufügen.
Ursula Aeberhard, langjährige Assistentin von Emmy Sauerbeck und jetzige Leiterin der "Schule für Bewegung" in Bern, kennzeichnet Sauerbecks Stil wie folgt: "Emmy Sauerbeck entwickelte neben Schwüngen, Spannung - Entspannung, Impuls einen eigenen Tanzstil, das heißt eine äußerst subtile, differenzierte, feinnervige und anspruchsvolle Tanztechnik. Ihren Tänzen lag oft keine Idee zugrunde, sondern sie schöpfte aus der Dynamik und Agogik der Musik, das heißt, sie setzte in Bewegung um, was uns der einmalige und vielfältige Reichtum der abendländischen Musik bietet."[3] Emmy Sauerbecks intensive Auseinandersetzung mit Musik war charakteristisch für sie. Dazu Ursula Aeberhard: "Wenn sich der Tanz nur annähernd auf die Stufe unserer Musik stellen will, dann müssen wir auf die Musik zurückgreifen, obwohl erst die Bewegung Klang entstehen läßt und nicht umgekehrt. Aber wie so oft müssen wir auf das Sekundäre zurückgreifen, um das verschüttete Primäre wiederzufinden, dessen war sich Emmy Sauerbeck sicher. Ihre Bewegung basierte immer auf der Technik unserer Musik. Sie schuf Tänze zu moderner Musik, Tänze nur mit Schlagzeug, absolute Tänze ohne jegliche Begleitung. Emmy Sauerbeck wählte ihre Musik sehr sorgfältig aus, oder sie fühlte sich von der Musik angesprochen und stellte sich ganz in ihren Dienst. Wir Schülerinnen wurden immer dazu angehalten, der E-Musik unbedingten Respekt entgegenzubringen. Bei leichter Musik durften wir unseren Ideen freien Raum lassen. Ernste Musik wurde sorgfältig nach den Kriterien 'tänzerisch', 'plastisch', 'organisch' ausgewählt. An rein instrumentale Musik durften wir uns nicht wagen, die gehörte dem Musiker, so, wie absoluter Tanz ganz ohne Musik auskommt. Emmy Sauerbeck vermittelte uns Schülerinnen etwas, was wir sonst nirgendwo finden konnten, das wußte sie selbst ganz genau. Sie gab uns eine Basis, auf der wir - so wir wollten oder konnten - in der Lage waren, etwas Neues zu entdecken oder aufzubauen."[4]
Emmy Sauerbeck prägte das Tanzverständnis ihrer jungen Schülerinnen sowohl durch ihren Unterricht, als auch durch ihre Tänze, wie Friedy Wäber berichtet: "Ihre Tänze waren eher ernst, zum Teil auch humorvoll, und mir ging dabei auf, daß Tanz ebenso Kunst war, genau wie Malerei und Musik. Ihren Tänzen liegt ein erstaunlicher Ideenreichtum zugrunde und ein Wissen um seelische Dinge, was sie von vornherein von all jenen absondert und sie über die erhebt, die gedankenlos 'rhythmische Körperkultur' betreiben, weil es eben Mode ist."[5]
Der Nachlaß von Emmy Sauerbeck im Deutschen Tanzarchiv Köln enthält neben Kritiken, Programmzetteln, Kostümen etc. ein umfangreiches Konvolut Photos, dessen Besonderheit darin besteht, daß zahlreiche Tänze Emmy Sauerbecks aus den 1920er Jahren von bis zu drei Photographen mit jeweils mehreren Aufnahmen dokumentiert sind.
„Es ist eine Tat, dass das Berner Theater als erstes in der Schweiz Strawinskys ‚Petruschka’ gebracht hat. Der Erfolg bei dem sehr gut besetzten Haus war außerordentlich stark.“ (In der Neuen Berner Zeitung schrieb „-ul-“: „Solange das Theater noch Werke vom Werte ‚Petruschkas’ zu bieten hat, besteht keine Veranlassung, an seiner kulturellen Aufgabe zu zweifeln.“
Foto © Hans Robertson / Deutsches Tanzarchiv Köln
Choreographie: Emmy Sauerbeck, Bühnenbild und Kostüme: Reinhold Rudolf Junghanns
Foto © N.N. / Deutsches Tanzarchiv Köln
Probenfoto in Kostümen im Studio, ca. Januar 1925.
Foto © Franz Henn / Deutsches Tanzarchiv Köln
mit einem Foto von ihr im ‚Tanz in schimmernder Seide‘
Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln
Foto © N.N. (Hertlich?) / Deutsches Tanzarchiv Köln
[1] Friedy Wäber in einem Brief an das Deutsche Tanzarchiv Köln, Dezember 1995 [2] Emmy Sauerbeck: Tanz und Tänzer, undatiertes Typoskript, DTK [3] Ursula Aeberhard: Emmy Sauerbeck. Typoskript, Dezember 1996, DTK [4] Ebd. [5] Friedy Wäber in einem Brief an das DTK, Dezember 1995