Die aktive Laufbahn eines Tänzers ist grausam kurz. Sie trägt in sich von vorneherein eine Tragik - an der nicht wenige „nach der Bühne“ allzu früh zerbrechen. 1959 engagiert ins Ballett der Bayerischen Staatsoper, bewundert, gefeiert, geliebt – vor allem als brillantes „Dornröschen“, als fußflink-charmante „Fille mal gardee“ –, fand Gislinde Skroblin nach ihrem Abschied Ende der achtziger Jahre offensichtlich nicht den rechten Weg in ein zweites Berufsleben. Am Neujahrstag 1998 ist sie, erst 53 Jahre alt, einem Krebsleiden erlegen.
Sie wurde in dem Augenblick aus dem Leben gerissen, da sie es mit der früheren eisernen Ballerinen-Disziplin wirklich in die Hand zu nehmen schien. Wer ihr im Theater, in der Oper begegnete – sie sah sich ja alles an –, erkannte in ihrer wieder gestrafften Gestalt, und ihrem klaren Blick den entschlossenen Willen zu einem Neuanfang.
Dieser starke Wille, der unerbittliche Einsatz aller Kräfte – das war ihr Kapital für die harte Karriere auf Spitze: Technisch war die Skroblin in ihren fast dreißig Münchner Jahren den Kolleginnen Konstanze Vernon und Genevieve Chaussat oder Gästen wie Eva Evdokimova überlegen.
Das Kämpfen und Durchhalten hat ihr das Familienschicksal schon ganz früh beigebracht: Am 23. Juli 1944 in der Evakuierung in Ballenstedt/Sachsen-Anhalt geboren, verliert Gislinde Skroblin 1949 ihren Vater, 1957 ihre Mutter, eine Wigman-Schülerin, die unter dem Künstlernamen Helche Loge auch in München aufgetreten war. Die vier Waisenkinder, der Bruder 18, die Schwestern 16, 14 und Gislinde 12, umgehen die Einweisung in ein Heim, schaffen es tatsächlich, in der elterlichen Eigentumswohnung in Schwabing zusammenzubleiben.
Gegen manchen Widerstand setzt Gislinde Skroblin die in Saarbrücken begonnene Ausbildung im Kinderballett der Bayerischen Staatsoper fort; tanzt sich dann durchs breitgefächerte Repertoire. Sie ist für Cranko die Olga in „Onegin“, die Bianca in der „Zähmung“ und kreiert 1970 eine Rolle in seinem für München geschaffenen Strawinsky-Ballett „Ebony Concerto“. Sie tanzt „Giselle“, Dieter Gackstetters „Das Lächeln am Fuße der Leiter“ (1978), Youri Vamos' „Tschaikowsky“ (1980), Gerhard Bohners „Wieland – ein Heldenleben“ (1979) und dessen Rekonstruktion von Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“, mit der sie auch erfolgreich durch Europa und die USA auf Tournee geht.
Viele Rollen. Aber ihren Choreographen hat Gislinde Skroblin nie gefunden. Auch das ein Teil ihrer Tragik und umso tiefer unsere Trauer.
Malve Gradinger - Ballett intern 1/1998, S. 32.