von Geertje Andresen
Oda Schottmüller wurde am 9. Februar 1905 in Posen geboren. Ihr Vater, der Archivar Dr. Kurt Schottmüller (1871-1919), war zu diesem Zeitpunkt seit einem Jahr mit Dorothea Stenzler (1881-1965) verheiratet. Beide Eltern stammten aus Berlin, beider Familien lebten auch weiterhin in Berlin.
1906 wurde Kurt Schottmüller an das Staatsarchiv nach Danzig versetzt. Dorothea Schottmüller, Odas Mutter, erlitt im darauf folgenden Jahr eine schwere Nervenkrankheit und war zu einem langen Aufenthalt in einem Sanatorium gezwungen. 1912 kehrte sie nach mehrjähriger erfolgloser Behandlung in ihr Elternhaus nach Berlin zurück. Die kleine Oda blieb allein bei ihrem Vater in Danzig zurück. Bedingt durch die Unterhaltszahlungen für Dorothea Schottmüller und durch die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges lebten Oda und ihr Vater in sehr bescheidenen Verhältnissen.
Nach dem Ersten Weltkrieg war Kurt Schottmüller stark abgemagert und nervlich zerrüttet. Er starb im August 1919 an einem Herzinfarkt. Oda geriet daraufhin zwischen die Fronten ihrer väterlichen und mütterlichen Familie. Ihre Tante Frida Schottmüller (1872-1936), eine Schwester von Kurt, war gerade zur Professorin ernannt und Kustodin am Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, dem heutigen Bode-Museum, geworden und beantragte die Vormundschaft für ihre Nichte. Odas Mutter wollte ihre Tochter aber selbst erziehen. Das Mädchen zog nach Berlin und wurde in das Lyzeum in Berlin-Lichterfelde eingeschult. Dort machte sie 1921 ihre Mittlere Reife.
Oda sollte das Abitur machen, aber sie galt als labil und nicht sehr zielstrebig. Deshalb schien für sie der weitere Besuch einer staatlichen Schule wenig erfolgversprechend. Odas Tante Gerda Schottmüller (1878-1928) arbeitete seit einigen Jahren an der reformorientierten Odenwaldschule und überredete den Schulleiter, Paul Geheeb (1870-1961), Oda und ihre Mutter persönlich in Berlin zu besuchen, damit er beiden sein Schulkonzept vorstellen konnte. Weil er sehr gut mit Oda umgehen konnte, erlaubte die Mutter ihrer Tochter ab Ostern 1922 den Besuch der Odenwaldschule. Im August 1922 gewann Oda an der Odenwaldschule einen neuen, sehr guten Freund, nämlich Klaus Mann (1906-1949). Die beiden fühlten sich seelenverwandt und blieben auch nach dem Schulabgang von Klaus Mann einige Jahre in gutem Kontakt. Beide Schüler suchten nach einer Form, die ihre Persönlichkeit am besten zum Ausdruck bringen könnte. Klaus Mann schrieb, wie es in seiner Familie üblich war, und Oda zeichnete sehr viel. Gemeinsam war ihnen ihr Drang zum Tanz, den sie an der Odenwaldschule ausleben konnten. Für Klaus Mann war Harald Kreutzberg (1902-1968) das große Vorbild, für Oda Schottmüller wurde es später Vera Skoronel (1906-1932). Die beiden Odenwaldschüler hatten einen ausgeprägten Hang zu fantastischer Dramatik und lebten ihn auch aus. Klaus Mann beschrieb seine Freundin Oda in seiner Autobiographie "Kind dieser Zeit" folgendermaßen: sie war: "[…] grotesk und hochbegabt, mit einem merkwürdig kurzen mongolischen Gesicht, die pittoresk in sich zusammengeduckt auf Schränken oder Fenstersimsen zu hocken liebte. Sie konnte phantastische und krasse Tänze aufführen; ebenso phantastisch und kraß konnte sie zeichnen und malen. Auf ihren Blättern hoben sich Gespenster aus Flaschen, Schlangen kringelten sich um verkrümmte Bäume. […] Oda war gedrungen, von einer barocken, überraschenden Grazie; […] oft von stummer Traurigkeit, oft von hopsender Tanzlust. […]" Nach Auffassung ihres Schulleiters Paul Geheeb blieb Oda Schottmüller bis zum Ende ihrer Schulzeit labil. Ihre schulischen Leistungen reichten gerade aus, um im Sommer 1924 das Abitur abzulegen.
Danach wollte sie eigentlich Tänzerin und Bildhauerin werden, aber beides erlaubte ihr ihre Familie nicht. Sie plädierte für eine kunsthandwerkliche Ausbildung, die Oda in den folgenden Jahren in Pforzheim und Frankfurt am Main absolvierte.
1928 nun erlebte Oda Schottmüller die außergewöhnliche Tänzerin Vera Skoronel bei einer Vorstellung in Ascona und war so beeindruckt, dass sie sofort bei ihr tanzen lernen wollte. Skoronel leitete gemeinsam mit ihrer Schweizer Kollegin Berthe Trümpy (1895-1983) in Berlin eine der besten Schulen für den modernen künstlerischen Tanz. Oda war jetzt volljährig und machte an der Trümpyschule von Oktober 1928 bis Dezember 1930 heimlich eine professionelle Tanzausbildung. Ihrer Familie erzählte sie lediglich, sie nähme Gymnastikstunden. In der Trümpy-Schule arbeitete der kommunistische Bildhauer Fritz Cremer (1906-1993) als eine Art Gelegenheitshausmeister, um sich etwas Geld zu verdienen. Mit ihm stand Oda viele Jahre lang im kollegialen Austausch.
Auch ihrer späteren Freundin Gertrud Wienecke (1908-1990) begegnete Oda in der Trümpy-Schule. Gertrud Wienecke gehörte als Meisterschülerin von Vera Skoronel deren Kammertanzgruppe an. Sie eröffnete später eine eigene Tanzschule am Kurfürstendamm, in der Oda dann sowohl Unterricht gab als auch eigene Tänze probte und aufführte.
Zeitgleich zu ihrer Tanzausbildung und ganz offiziell erhielt Oda Schottmüller über Kontakte ihrer Mutter einen Platz in der ersten Bildhauerklasse für Frauen bei Milly Steger (1881-1948). Nachdem Oda also pflichtgemäß eine kunsthandwerkliche Ausbildung absolviert hatte, gelang es ihr dann doch noch, ihre beiden Traumberufe zu erlernen. In der Klasse von Milly Steger fühlte sie sich sehr wohl. Hier gehörte sie von vornherein zu den besten Schülerinnen der Klasse und ragte mit ihren Arbeiten heraus.
1931 hatte Oda Schottmüller ganz besonderes Glück: Der ehemalige Bauhäusler Johannes Itten (1888-1967) gründete in Berlin eine Kunstschule, an der nicht nur hervorragende Professoren unterrichteten, sondern in der Künstler aller Sparten miteinander arbeiten konnten. Hier mietete Oda ihr erstes eigenes Bildhaueratelier. In diesem Umfeld, im Austausch mit anderen Künstlern, suchte sie nach einer Synthese aus Bildhauerei und Tanz und entdeckte den Maskentanz für sich. Hier entwarf sie ihre ersten Masken und Kostüme, die sie später für ihre Tänze benutzte, und hier begann sie, sich selbst als eine Art Gesamtkunstwerk zu inszenieren. An dieser Schule fand Oda Schottmüller endlich ihre persönliche künstlerische Ausdrucksform und wollte sich nun auch öffentlich präsentieren.
Mit der Machtergreifung im Januar 1933 war die Umsetzung dieses Wunsches aber an politische Bedingungen gebunden. Ab August 1933 mußten sich alle Tänzerinnen und Tänzer in der neu gegründeten Reichskulturkammer registrieren lassen, damit ihre nationalsozialistische Zuverlässigkeit überprüft würde. Zwar förderten die Nationalsozialisten den modernen Tanz in hohem Maße, denn sie sahen in ihm eine Möglichkeit, einen nationalen Tanz, den "Deutschen Tanz" zu kreieren. Aber sie forderten von den Tänzern, sich als "Träger deutscher Kultur" und damit als Teil der Volksgemeinschaft zu präsentieren. Mit den tanztechnischen Mitteln des modernen Tanzes sollten sie völkische Themen umsetzen und vor allem ihren individuellen Ausdruck aufgeben. Die Frauen sollten sich leicht und heiter geben, die Männer stark und kämpferisch. Das Expressive, Experimentelle und Individuelle, das den Ausdruckstanz in der Weimarer Republik bestimmt hatte, sollte auf deutschen Bühnen nicht weiter gezeigt werden. Dieser Ansatz galt jetzt als "Sumpfblüte der demokratischen Asphaltkultur" und wurde als "Dekadenzerscheinung" der "Systemzeit" gebrandmarkt.
Oda Schottmüller ignorierte diese Entwicklungen zunächst. Sie ließ sich nicht bei der Reichskulturkammer registrieren, war dort also nicht bekannt und organisierte ihren ersten Soloauftritt im März 1934 im Theater am Kurfürstendamm. Hier zeigte sie ihre in der Ittenschule entstandenen phantastischen Tänze in den Masken und Kostümen, die sie dort auch entworfen und hergestellt hatte. Ihre Tänze trugen Titel wie Zauberer, Rêve (Traum), Der Gehenkte, Romanze, Seltsame Stunde und Hexe. Wenn man sich die Fotos zu diesen Tänzen ansieht, erkennt man sofort, daß diese Figuren nichts mit nationalsozialistischer Tanzästhetik zu tun haben und Oda Schottmüller hier keine anmutigen, leichten und unterhaltenden Tänze zeigte. Sie erhielt trotzdem sehr gute Kritiken für diesen ersten Auftritt.
Mitte der 1930er Jahre lernte sie im benachbarten Atelier ihres Kollegen Fritz Cremer, den sie noch aus der Trümpyschule kannte, den Bildhauer Kurt Schumacher (1905-1942) kennen. Cremer und Schumacher traten bereits in der Weimarer Republik der Kommunistischen Partei bei und verhehlten auch nach 1933 ihre politische Überzeugung nicht. Schumacher war bereits seit Anfang der 1930er Jahre mit Harro Schulze-Boysen (1909-1942) befreundet und stand mit ihm ständig im politischen Austausch. Schulze-Boysen wurde 1934 Referent im Reichsluftfahrtministerium und arbeitete in der Abteilung "Fremde Luftmächte". Er hatte detaillierte politische Kenntnisse, war ebenfalls ein erklärter Gegner der Nationalsozialisten und sammelte Gleichgesinnte um sich, mit denen er politische Diskussionen führte. Schulze-Boysen pflegte viele Kontakte zu Hitlergegnern aus den unterschiedlichsten Kreisen. Auch verfasste er unter anderem aus seinen detaillierten politischen Kenntnissen Informationsschriften, die er in diesen Kreisen zirkulieren ließ. Oda Schottmüller und Kurt Schumacher wurden Freunde und verkehrten gemeinsam im engeren Kreis um Harro Schulze-Boysen. Hier konnten sie in offenherziger Feindschaft über den Nationalsozialismus sprechen, von Schulze-Boysen mitgebrachte ausländische Zeitschriften lesen, und hier erfuhren sie viel über die interne nationalsozialistische Politik. Dieser Freundeskreis bestätigte Oda Schottmüller in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Nationalsozialisten, hier fand sie Rückhalt und Solidarität.
Ende 1935 mietete Oda Schottmüller ein Atelier in der Charlottenburger Reichsstraße 106. Die Themen ihre Tänze veränderten sich jetzt. Statt der Fabelwesen ihrer Anfangszeit schuf sie nun mythologische Figuren, die gesellschaftspolitische Fragen aufwarfen. Oda Schottmüller nannte ihre Tänze jetzt Irrende Seele, Erdwächter, Engel der Empörung oder Der Tragöde. Die Kritikerin Elisabeth Böhme beschrieb diese Tänze als "unter einem tragischen Bann" stehend, die in "Abwehr, Auflehnung, Angst, Flucht und ohnmächtiger Ergebung versinken". Diese Schöpfungen standen in ihrer Dramatik und Ausdruckskraft nach wie vor in diametralem Gegensatz zur nationalsozialistischen Tanzästhetik.
1936 ließ sich Oda Schottmüller als Gruppentänzerin im Begleitprogramm der Olympischen Spiele erstmals auf diese Ästhetik ein. Um Geld zu verdienen und ein kleines Maß an "nationalsozialistischer Zuverlässigkeit" vorzutäuschen, nahm sie im August 1936 an einem Bewegungschor für die Herakles-Aufführung in der Dietrich-Eckart-Bühne, der heutigen Waldbühne, teil. Das war leicht verdientes Geld, denn dieser chorische Tanz nach nationalsozialistischen Vorstellungen verlangte von ihr lediglich das disziplinierte Schreiten in Reih und Glied.
Im Oktober 1937 sah sich Oda Schottmüller gezwungen, doch einen Antrag auf Zulassung als Solotänzerin bei der Reichskulturkammer zu stellen. Schließlich wurden alle öffentlichen Bühnenauftritte sämtlicher Künstler nur noch von nationalsozialistischen Veranstaltern vermittelt, die gegenüber der Reichskulturkammer wiederum die Mitgliedschaft ihrer Klientel belegen mußten. Nachdem Oda Schottmüller ihren Antrag eingereicht hatte, forderte man sie auf, einen Kurs in den 1936 eingerichteten "Meisterwerkstätten für Tanz" zu absolvieren und anschließend die Prüfung für "Deutsche Tänzer" abzulegen, damit ihre tänzerische Eignung als "Trägerin deutscher Kultur" begutachtet werden könnte. Oda Schottmüller verweigerte sich aber dieser Aufforderung. Sie schickte einige ausgezeichnete Kritiken als Bestätigung ihrer Tanzbefähigung. Damit war für einige Jahre Stillschweigen zwischen Oda Schottmüller und der Fachschaft Tanz in der Reichstheaterkammer als Abteilung der Reichskulturkammer beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.
Trotz ihrer Weigerung, ihre Befähigung als "Deutsche Tänzerin" überprüfen zu lassen, wurde Oda Schottmüller als Solotänzerin für die "Stunde des Tanzes" in die Volksbühne eingeladen. Die "Stunde des Tanzes" war eine Art Leistungsschau über die Entwicklung der Nachwuchstänzer im neuen "Deutschen Tanz". Oda Schottmüller zeigte hier im Februar 1938 fünf neue Tänze. Ihre Konzession an die Tanzästhetik des Nationalsozialismus bestand in einer Umbenennung ihrer alten Maskensuite. Diese nannte sie jetzt Deutsche Suite. Als neue Tanzschöpfungen zeigte sie u.a. Engel der Tröstung und Die Fremde, die mit goldener Maske "ein Sinnbild der Verlassenheit" gab, wie ein Kritiker schrieb. Mit diesen Tänzen überzeugte sie nicht so recht, aber die heitere Weise Lied überm Land traf auf etwas Wohlwollen der zahlreichen Kritiker.
Im Herbst 1938 lernte die Tänzerin im Studio von Gertrud Wienecke den gerade aus der Haft entlassenen Pianisten und Komponisten Kurt Schwaen (geb. 1909) kennen. Kurt Schwaen war wegen seiner Zugehörigkeit zur KPD 1934 von der Gestapo verhaftet worden und hatte bis Juli 1938 in verschiedenen Gefängnissen und Zuchthäusern eingesessen. Nun suchte der Musiker nach neuen Verdienstmöglichkeiten und wurde im Studio von Gertrud Wienecke als Korrepetitor sowohl für den Unterricht, als auch von Oda Schottmüller privat engagiert. Er erarbeitete mit ihr neue Tänze, für die er immer häufiger die Musik selbst komponierte.
Mit Kriegsbeginn 1939 verschrieb das Propagandaministerium dem Volk leichte Unterhaltung. Also versuchte sich Oda Schottmüller im leichten Fach und bewarb sich als Tänzerin für Revuen. Im Varieté Scala bekam sie für April 1940 einen Mitwirkungsvertrag und zeigte dort einen Monat lang, teilweise mehrmals täglich, einen Siamesischen Tempeltanz, der wegen seiner Belanglosigkeit gut ankam.
Im Winter 1940/41 verabschiedete sich Oda Schottmüller wieder von ihrem halbherzigen Versuch, ihre Tänze an die Vorgaben nationalsozialistischer Ästhetik anzupassen. Sie entwickelte erneut Maskentänze nach ihren eigenen Vorstellungen und zeigte diese in einer Privataufführung im Studio von Gertrud Wienecke. Der Publizist Paul Fechter (1880-1958), den Oda Schottmüller 1940 kennen lernte, und auch Libertas Schulze-Boysen (1913-1942) förderten Schottmüllers Publizität und veröffentlichten beide in großen Zeitungen bebilderte Artikel, die die Doppelbegabung und die Überzeugungskraft ihrer Tänze priesen. Libertas Schulze-Boysen ging so weit, Oda Schottmüller mit dem ungleich erfolgreicheren Tänzer Harald Kreutzberg über den Maskentanz zu verbinden. Diese Form von Werbung war mehr als freundschaftliche Hilfsbereitschaft; sie hatte auch den Zweck, ein freieres Kunstschaffen zu propagieren.
Im September 1941 begann Oda Schottmüller mit Kurt Schwaen für einen Soloabend zu proben. Er hatte in der Zwischenzeit Musik für einen neuen, ganz besonderen Tanz von und mit Oda Schottmüller komponiert. Die Choreographie hieß Der Letzte. In diesem, den Kriegstod anklagenden Tanz, trat sie in einem graugrünen, als Uniform erkennbaren Cape von hinten auf die Bühne und öffnete während ihres Nachvorneschreitens langsam den Umhang, unter dem ein Skelett erschien. So ein Tanz konnte eigentlich nicht öffentlich gezeigt werden. Er demonstrierte zu deutlich die politische Haltung der Tänzerin.
Am 11. November 1941 gab Oda Schottmüller vor ausverkauftem Haus im Beethovensaal, dem begehrtesten und größten aller Aufführungssäle in Berlin, ihren letzten Solotanzabend in Deutschland. An diesem Abend zeigte sie auch die Choreographie Der Letzte. Das Publikum war begeistert, und die Kritik reagierte wohlwollend und teilweise sogar bewundernd. Zu Protesten kam es nicht, stattdessen wurde ihr "beschwörende Eindringlichkeit" attestiert, und die Kritik charakterisierte sie als "Inkarnation plastischer Ideen, zu der sie die eigene Körperlichkeit bildnerisch verwandelt."
Am 6. Dezember 1941 startete die Tänzerin zu einer 3-monatigen Wehrmachtstournee mit leichten Tänzen nach Holland und Frankreich. Im März 1942 kehrte sie nach Berlin zurück und wurde bereits einen Monat später, im April 1942 für eine Tournee durch Italien engagiert. Von dieser Reise kehrte sie Mitte Juli 1942 nach Berlin zurück und organisierte weitere Tourneen für sich.
Seit 1940/41 hatte sich um Harro Schulze-Boysen und den Oberregierungsrat im Wirtschaftsministerium, Arvid Harnack (1901-1942), ein loses Netzwerk von mehreren Berliner Widerstandskreisen gebildet, denen mehr als 120 Regimegegner und -gegnerinnen unterschiedlicher sozialer Herkunft mit verschiedenen Weltanschauungen angehörten. Diese Menschen diskutierten nicht nur über politische Fragen, sondern sie halfen Verfolgten, dokumentierten NS-Gewaltverbrechen und riefen in Flugschriften zu Widerstand gegen die Diktatur, in der sie lebten, auf. Harro Schulze-Boysen betrachtete die Sowjetunion als Verbündete bei der Überwindung des NS-Regimes. In seiner Tätigkeit als Referent im Reichsluftfahrtministerium erfuhr er frühzeitig von den deutschen Kriegsvorbereitungen gegen die Sowjetunion. Gemeinsam mit Arvid Harnack informierte er im Frühjahr 1941 die sowjetische Botschaft in Berlin über diese Angriffspläne. Stalin glaubte den Warnungen allerdings nicht. Trotzdem erhoffte sich die Sowjetunion von Harnack und Schulze-Boysen mehr Informationen aus ihren Dienststellen und vereinbarte mit ihnen einen Funkkontakt. Harnack sollte die Informationen chiffrieren, und Hans Coppi (1916-1942) sollte sie funken. Coppi musste das Funken jedoch erst lernen, und bei seinen ersten Versuchen ging das aus Moskau eingeschmuggelte Gerät kaputt, so daß dort keine Nachrichten aus Berlin ankamen. Darauf sandte die Sowjetunion einen Funkspruch an einen ihrer Agenten in Brüssel, in dem sie u.a. den Namen und die Adresse von Schulze-Boysen angab. Diesen Funkspruch, in dem der Agent aufgefordert wurde, sich mit Schulze-Boysen zu treffen, fing die Gestapo ab. Sie brauchte ein Jahr für seine Entschlüsselung. In der Zwischenzeit war mit Fallschirmspringern aus Moskau ein neues Funkgerät nach Berlin gekommen, und Schulze-Boysen und Coppi suchten im Winter 1941/42 nach Orten, an denen sie unauffällig Funkversuche unternehmen konnten. Im August 1942 schickten sie erstmals eine Nachricht nach Moskau.
Die Dechiffrierabteilung im Oberkommando des Heeres entschlüsselte ebenfalls im August 1942 den ein Jahr alten Funkspruch aus Moskau mit der Adresse von Harro Schulze-Boysen. Der wurde daraufhin an seinem Arbeitsplatz im Reichsluftfahrtministerium verhaftet. Die Gestapo verdächtigte ihn, gemeinsam mit dem Oberregierungsrat Arvid Harnack eine in Deutschland tätige, von Moskau gesteuerte Spionageorganisation anzuführen. Die in Westeuropa agierende sowjetische Spionageorganisation nannte die Gestapo "Rote Kapelle". Obwohl sich im Laufe der Ermittlungen herausstellte, daß die Berliner Widerstandskreise keine Verbindung nach Moskau hatten und von dort demnach auch keine Weisungen empfingen, beharrte die Gestapo zur eigenen Reputation auf dem Vorwurf der Spionage im Auftrag der Sowjetunion und verhaftete zwischen August 1942 und März 1943 mehr als 120 Männer und Frauen aus den Freundes- und Widerstandskreisen um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack. Die meisten der Verhafteten klagte sie vor dem Reichskriegsgericht an, mehr als 50 der Angeklagten wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Oda Schottmüller gehörte dazu. Sie wurde am 16. September 1942 in ihrem Atelier in der Reichsstraße verhaftet und in das Polizeigefängnis am Alexanderplatz gebracht. Die Gestapo warf ihr vor, ihr Atelier für Funkversuche nach Moskau zur Verfügung gestellt zu haben. Obwohl Oda Schottmüller diesen Vorwurf vehement zurückwies und das Reichskriegsgericht ihr nichts nachweisen konnte, wurde sie am 26. Januar 1943 zum Tode verurteilt. Anstatt das Urteil sofort zu vollstrecken, wie Oda Schottmüller es erwartet und auch trotzig hingenommen hätte, musste sie zunächst noch zwei weitere Monate isoliert im Gefängnis am Alexanderplatz verbringen. Einige Tage lang hatte sie die Möglichkeit, sich auf Kassibern der mitinhaftierten Ina Lautenschläger mitzuteilen. Diese Kassiber konnte Ina Lautenschläger in ihrer Schmutzwäsche aus dem Gefängnis schmuggeln. Sie sind heute noch erhalten und schildern die Haftsituation und vor allem den grotesken Prozess vor dem Reichskriegsgericht, in dem es zu keinem Zeitpunkt um die Aufklärung der wahren Sachverhalte gegangen ist. Im März 1943 kam Oda Schottmüller für sechs Wochen in das Gerichtsgefängnis nach Charlottenburg, und am 8. Mai 1943 wurde sie in das Frauenstrafgefängnis in der Barnimstraße gebracht. Erst hier stellte sie ein Gnadengesuch. Das lehnte Hitler am 21. Juli 1943 ab.
Wie kam die Gestapo auf die Idee, aus dem Atelier von Oda Schottmüller sei nach Moskau gefunkt worden? Dazu lassen sich heute nur Vermutungen anstellen, da weder die Anklageschrift gegen Oda Schottmüller noch das Urteil und seine Begründung aufzufinden sind und als verschollen gelten müssen. Es gibt auch in den Verfahren gegen die anderen Angeklagten keine schriftlichen Aussagen, die den Vorwurf der Gestapo begründen. Wir können hier nur mit Mutmaßungen arbeiten.
Im sehr umfangreichen, sogenannten Gestapoabschlußbericht zu den Ermittlungen gegen die Berliner Widerstandskreise wird lediglich auf Seite 21 behauptet, Hans Coppi habe aus dem Atelier von Oda Schottmüller Funkversuche unternommen. Einen Verweis auf irgendwelche diesbezüglichen Aussagen in Vernehmungsprotokollen gibt es nicht. Aber auch im ersten Kassiber Oda Schottmüllers vom 27. Januar 1943 steht, daß in ihrem Prozeß aus Coppis Verhörprotokoll Stellen über "die Sendungen und Sendeversuche aus meiner Wohnung vorgelesen" wurden, die sie aber entlasteten. Wir können also lediglich mutmaßen, daß Hans Coppi tatsächlich Funkversuche in ihrer Wohnung unternommen hat. Coppi wurde, wie alle Männer, während seiner Verhöre schwer gefoltert und hat möglicherweise in dieser Situation den Namen und die Adresse von Oda Schottmüller genannt, woraufhin sie verhaftet wurde. Ob Coppi nur plante, ihr Atelier zu benutzen, ob er es tatsächlich getan hat, wann diese Funkversuche stattgefunden haben sollen, ob Oda Schottmüller davon wusste und ihr Einverständnis gegeben hat oder ob Coppi ohne ihr Wissen in ihrer Abwesenheit ihr Atelier genutzt hat, wissen wir nicht.
Was wir aber über die Nazigegnerin Oda Schottmüller wissen ist folgendes: Sie war befreundet mit Kurt Schumacher und Harro Schulze-Boysen und umgab sich mit Menschen, die sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der NS-Diktatur widersetzten. Sie bewahrte selbstverständlich ihre Freundschaften zu rassisch Verfolgten und half politisch Verfolgten, Deutschland zu verlassen. Sie gab in ihrem Freundeskreis Flugschriften von Harro Schulze-Boysen weiter. Vor allem aber bewahrte sie sich im Umgang mit anderen Hitlergegnern ihre innere Freiheit, die sie brauchte, um sich auf ihre Art, nämlich im Tanz, zu äußern. Mutig und auch stolz bezog sie in ihren Tänzen sogar öffentlich Stellung gegen die Nazi-Diktatur. Dafür wurde sie aber nicht verfolgt. Oda Schottmüller wurde wegen einer unbewiesenen Behauptung am 5. August 1943 in Plötzensee ermordet.
Geertje Andresen
Foto: © Joh.Hülsen/Hanna Schwarz, Berlin / Deutsches Tanzarchiv Köln
Foto: © H. Grosse, Danzig / Deutsches Tanzarchiv Köln
September 1930
Foto: © N.N./ EMPORE, Antikriegsmuseum „Der kleine Soldat“ und Archiv Susanne und Dieter Kahl
Foto: © Siegfried Enkelmann /VG BildKunst, Bonn
(2. Fassung, auch „Verhängnis“)
Schenkung von Ina Lautenschläger-Ender an das Deutsche Tanzarchiv Köln im März 2006.
© Deutsches Tanzarchiv Köln
April 1929
Masken und Kostüme gingen nach bisherigem Kenntnisstand durch Kriegseinwirkung verloren. Oda Schottmüllers Familie bewahrte ein Konvolut von Urkunden, Fotos, Programmzetteln etc. sowie einige wenige Kunstwerke auf. Bei einem Kellereinbruch kamen der Familie in Berlin neben anderen Dingen wie einer Spielzeugeisenbahn von diesem Kovolut mehrere Kartons mit Schulzeugnissen, Verträgen, ihrem Testament, dem handschriftlichem Abschiedsbrief an die Mutter und einer Fülle von Fotos abhanden. Der Restnachlaß befindet sich heute inclusive einiger von Oda Schottmüller gefertigter Schmuckstücke als Schenkung der Familienangehörigen zum Aufbau eines Oda Schottmüller-Archivs im Deutschen Tanzarchiv Köln. Ergänzt wird dieser Bestand u.a. durch die berühmte "Brotkatze", jene letzte, in der Haft aus Brotteig geformte kleine Skulptur (Schenkung von ihrer Freundin Ina Ender) und durch die Fotos im Nachlaßarchiv des Fotografen Siegfried Enkelmann. Der beim Umzug verschollene Nachlaßteil tauchte vor Jahren auf dem Berliner Flohmarkt auf und befindet sich heute bei: EMPORE, Antikriegsmuseum "Der kleine Soldat" und Archiv Susanne und Dieter Kahl, Berlin. Er konnte dankenswerterweise für die Forschung komplett ausgewertet und im Deutschen Tanzarchiv Köln ausgestellt werden.
Geertje Andresen: Die Tänzerin, Bildhauerin und Nazigegnerin Oda Schottmüller, 1905-1943. Berlin 2005 Hrsg. vom Deutschen Tanzarchiv Köln und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin. 353 S., 145 schw.-w. Abb. Im Buchhandel 19,80 Euro, im Museum 12,00 Euro