von Klaus Sator

Georg Wilhelm Waldemar Emmer wurde am 23. II. 1911 in Frankfurt am Main als uneheliches Kind der Haushälterin Elisabetha Paulina Emmer geboren. Durch Namensbenennung erhielt er den Namen des späteren Ehemannes seiner Mutter, der nicht sein leiblicher Vater war.

Über seinen schulischen und beruflichen Werdegang sowie seine tänzerische Ausbildung ist wenig bekannt. U.a. besuchte er die Tanzschule Gsovsky, eine der in der Zwischenkriegszeit renommiertesten privaten, der klassischen Tanztechnik verpflichteten Ballettschulen in Berlin.

Seine Künstlerkarriere begann Egon Wüst als Revuetänzer in dem 1928 neueröffneten Berliner Kabarett „Eldorado“. Schnell avancierte der auffallend schöne Tänzer zum Star dieses vor allem der Befriedigung weltstädtischer Schaulust dienenden Homosexuellen- und Transvestitenlokals, das gerne auch von der Prominenz aus Theater und Film aufgesucht wurde. Wie eine an seine Mutter gerichtete Postkarte belegt, erhoffte Wüst sich von seinem dortigen Engagement Kontakte zu diesen Kreisen und eine Beförderung seiner Künstlerkarriere.

Wüsts tanzkünstlerisches Wirken ist in der Folgezeit durch eine langjährige künstlerische Zusammenarbeit mit Tatjana und Victor Gsovsky bestimmt: Als gefeierter Solotänzer wirkte er an zahlreichen Revueballettproduktionen der Gsovkys mit, u.a. dem damals von der Presse frenetisch bejubelten Tanzdrama „Maskenball“ der von Victor Gsovsky künstlerisch betreuten Ballettgruppe „Gamajun“. Nach der Flucht Victor Gsovskys vor den Nazis aus Deutschland wirkte Wüst bei mehreren Tanzproduktionen der Ballettkompanien von Tatjana Gsovsky mit und war zeitweise künstlerischer Leiter und Manager der Gruppe.

Egon Wüst, um 1930, mit Widmung an seine Mutter Egon Wüst, um 1930, mit Widmung an seine Mutter
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Egon Wüst, um 1930, mit Widmung an seine Mutter
Egon Wüst in der eigenen kleinen Trio-Gruppe „Korwüdor“ bei einer „Rumba“ (Berlin 1935) . Egon Wüst in der eigenen kleinen Trio-Gruppe „Korwüdor“ bei einer „Rumba“ (Berlin 1935) .
© E. Schneider / Deutsches Tanzarchiv Köln
Egon Wüst in der eigenen kleinen Trio-Gruppe „Korwüdor“ bei einer „Rumba“ (Berlin 1935) .

Egon Wüst arbeitete vor allen Dingen als freier Tanzkünstler und hatte nur wenige feste Engagements an deutschen Bühnen: Tatjana Gsovsky verpflichtete ihn für die Spielzeit 1935/36 ans Opernhaus in Essen und in der Spielzeit 1936/37 war er Solotänzer und stellvertretender Tanzmeister am Staatstheater Bremen.

Wüst war einer der wenigen deutschen Tänzer seiner Zeit, dem es gelang, Engagements in international renommierten russischen Ballettensembles zu erhalten. Als Solotänzer ging er 1932 mit dem von Bronislava Nijinska(ja), der Schwester von Waslaw Nijinsky, gegründeten „Théâtre de la danse Nijinska“ auf Europatournee. 1937/38 folgte eine Welttournee mit den „Ballets Russes du Colonel de Basil“.

Das Tatjana Gsovsky Ballett: Liena Gsovsky, Egon Wüst, Anna Korsowa. Das Tatjana Gsovsky Ballett: Liena Gsovsky, Egon Wüst, Anna Korsowa.
© Deutsches Tanzarchiv Köln
Das Tatjana Gsovsky Ballett: Liena Gsovsky, Egon Wüst, Anna Korsowa.

Mitte der dreißiger Jahre gründete Egon Wüst zusammen mit Anna Korsowa und Elisabeth Dorenberg, zwei Tanzpartnerinnen aus den Gsovky-Balletten, die kurzlebige Ballettkompanie „Korwüdor“, während des Krieges das ebenfalls nur kurze Zeit bestehende „Egon Wüst Ballett“, das u.a. Tanzaufführungen vor den deutschen Truppen und in den von Deutschland besetzten Ländern gab. Tatjana Gsovsky engagierte Wüst und Irina Kosmovska, seine Tanzpartnerin aus der Zeit bei den „Ballets Russes du Colonel de Basil“, Anfang der vierziger Jahre als Stargäste für die Auftritte ihres eigenen Balletts am Berliner Varieté „Scala“.

Weiterhin wirkte Wüst in dieser Zeit bei zahlreichen Unterhaltungsfilmen mit, darunter „Das Einmaleins der Liebe“ (1935), „Leichte Kavallerie“ (1935), „Mach’ mich glücklich“ (1935), „Männer müssen so sein“ (1939), „Maria Ilona“ (1939) sowie dem ersten deutschen Farbfilm „Frauen sind doch bessere Diplomaten“ (1941).

Nach dem Krieg arbeitete Egon Wüst noch einige Jahre weiter als Tänzer, Choreograph und Ballettmeister. Von dem Ballettmeister Edgar von Pelchrzim wurde er als Gast ans Staatstheater Wiesbaden engagiert (Spielzeit 1950/51), wo er als Tänzer und Choreograph beschäftigt war und bei der Uraufführung von Hans Werner Henzes Ballett „Jack Pudding“, einer zeitgenössischen Adaption von Molières „Georges Dandin“, nochmals als Tänzer brillierte. 1952 war Egon Wüst als Gastchoreograph und Gasttänzer am Berliner Friedrichstadtpalast für das Tanzbild „Barcarole“ nach Motiven aus „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach engagiert.

Egon Wüst, wohl Ende der 1930er / Anfang der 1940er Jahre, vermutlich in einem Solo aus einem Ballett Tatjana Gsovskys. Egon Wüst, wohl Ende der 1930er / Anfang der 1940er Jahre, vermutlich in einem Solo aus einem Ballett Tatjana Gsovskys.
© Hans Rama / Deutsches Tanzarchiv Köln

Egon Wüst, der in der Nachkriegszeit in seine hessische Heimat zurückkehrte und im Taunus wohnte, bot noch im hohen Alter bei privaten Zusammenkünften und Festen Tanzdarbietungen. Am 9. Juli 1995 starb er im Kreiskrankenhaus in Bad Schwalbach. Da keine Erben zu ermitteln waren, wurde seine Wohnung auf dem Weg der Nachlasspflegschaft geräumt.

Das Deutsche Tanzarchiv Köln konnte den tanzkünstlerischen Nachlaß von Egon Wüst im Handel erwerben.