Sechzehn Jahre hat Ilse Lore Wöbke mit großem Erfolg dem Heidelberger Theater gedient; von 1952 bis 1961 als Ballettmeisterin und Solistin, von 1961 bis 1963 als Gastchoreographin und von 1963 bis 1968 als Chefchoreographin. Sie hat, bei sehr beschränkten Mitteln, dem Heidelberger Ballett den Glanz vermehrt, den es zuvor unter Karl Bergeest, Lisa Czobel und Alexander von Swaine gewonnen hatte. Nebenbei hat sie noch eine Reihe von Choreographien für Straßburg entwickelt und realisiert, wo ihre Premieren, genau wie in Heidelberg, noch heute von einem legendenhaften Ruf umflort sind. Zu ihren Abenden kamen ganze Zuschauergruppen aus Mannheim, aus der Pfalz, aus Frankfurt und vor allem aus Darmstadt, wo sie 1931 als Elevin in der Tanzgruppe ihr erstes festes Engagement gefunden hatte.
Ilse Lore Wöbke ist zwar in Magdeburg geboren, aber in Darmstadt aufgewachsen. Erste Symptome der Bewegungslust: als Neunjährige bereits Unterricht bei der Ballettmeisterin Fernande Robertine, mit zwölf Jahren Kurse in freiem künstlerischem Tanz bei Many Hildebrandt in Frankfurt. Schließlich Besuch der Günther-Schule in München und der Palucca-Schule in Dresden. Dazwischen Lern-Kontakte mit Mary Wigman, Max Terpis und Harald Kreutzberg. Dann noch zwei Jahre bei Tamara Rauser.
Die Ausbildung endete, nach der Abschlussprüfung als Solistin und Tanzpädagogin für modernen künstlerischen Tanz bei Gret Palucca, mit der Berufung als l. Solotänzerin und Lehrkraft für modernen künstlerischen Tanz an die Deutschen Meisterstätten für Tanz in Berlin, zwei Jahre später als Lehrkraft für Theatertanz und modernen künstlerischen Tanz an die Tamara-Rauser-Schule. Zahlreiche Kammertanzabende haben dann in Berlin wie in vielen anderen Städten die Presse in Bewegung gebracht. Kein einziger Verriss. Mit so viel Lob leben zu müssen, war ihr fast schon eine Last.
Über Hannover (1947 bis 1950) und Gelsenkirchen (1950 bis 1952) festigte sich ihr Verhältnis zum Theater. 1952 hat sie Rudolf Meyer nach Heidelberg geholt. "Heidelberg", so schrieb sie einmal, "war sicherlich die wichtigste und produktivste Zeit meiner choreographischen Laufbahn. Ich habe diese Stadt geliebt. Als ich aus Ruß und Smog dorthin kam, war es für mich das Paradies, die schönste Stadt auf Erden." Und dieses Heidelberg, das sie noch heute so sehr liebt, verdankt ihr eine ganze Serie von unvergesslichen Aufführungen.
Orffs "Carmina burana", Igor Strawinskys "Pulcinella", die Uraufführung von Franz Schuberts (des Schlagzeugers) "Rhythmischen Reflexionen", die Uraufführung von Wilhelm Killmeyers "La Buffonata", die Uraufführung von Ingomar Grünauers "Gitter", die Uraufführung von Ernst Vogels "Spiegelungen", Robert Schumanns "Carneval", die "Phantastische Fabel" von Humphrey Searl (deutsche Erstaufführung), Wolfgang Fortners "Weiße Rose", unverrückbar im Gedächtnis, ebenso wie Igor Strawinskys "Feuervogel", George Gershwins "Rhapsody in Blue", Bela Bartóks "Der wunderbare Mandarin", Hans Werner Henzes "Jack Pudding", Kurt Weills "Sieben Todsünden". Und doch ist dieses alles nur ein Teil ihrer in Heidelberg vollbrachten Leistungen.
Noch viele Inszenierungen von ihr wären aufzuzählen. Indessen hat sie ebenso vielen Operetten-Aufführungen durch ihre tänzerischen Einlagen zum Erfolg verholfen, und sie hat eine ganze Weile Roger George an Heidelberg binden können und mehreren Solistinnen und Solisten, darunter Sylvia Wenschau und Egbert Strolka, zu großen Karrieren verholfen.
Ihre Stärken kamen aus ihr selbst. Aus ihrer blühenden Erzähler-Phantasie, aus ihrem genauen Wissen um das tänzerisch Mögliche, aus ihrer Schwungkraft, aus ihrer immer wieder überraschenden Kenntnis der Musikliteratur, aus ihrem Gefühl für Kunst überhaupt. Daraus resultiert nicht zuletzt ihre – vor allem von Hans-Peter Doll gewollte und geforderte – Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern. Noch heute fühlt sie sich mit Karin Bruns, Harry MacLean, Hans Fischer-Schuppach und Willibald Kramm dankbar verbunden.
Gret Palucca besuchte Ilse Lore Wöbke regelmäßig in Herrsching am Ammersee, wo sie heute lebt. Die einstige Schülerin schwärmt: "Meine Liebe zu Gret Palucca entstand wie ein 'coup de foudre', ich sah sie in Berlin tanzen und war hingerissen. Dresden und die Palucca waren für mich einfach die Erfüllung. Palucca verlangte das Äußerste an technischem Fleiß, Konzentration, Intensität und Aufrichtigkeit. Jeder falsche Ton und jede falsche Geste waren ihr zuwider. Dort habe ich gelernt, über die eigene Kraft zu gehen."
Kurt Peters
(erstveröffentlicht zum 80. Geburtstag in Ballett Journal/Das Tanzarchiv Nr. 2, April 1995, S. 46)