Und es kam ein gelegener Tag, als Herodes an seinem Geburtstag ein Festmahl gab für seine Großen und die Obersten und die Vornehmsten von Galiläa. Da trat herein die Tochter der Herodias und tanzte und gefiel Herodes und denen, die mit am Tisch saßen. Da sprach der König zu dem Mädchen: Bitte von mir, was du willst, ich will dir's geben. Und er schwor ihr einen Eid: Was du von mir bittest, will ich dir geben, bis zur Hälfte meines Königreichs. Und sie ging hinaus und fragte ihre Mutter: Was soll ich bitten? Die sprach: Das Haupt Johannes des Täufers. Da ging sie sogleich eilig hinein zum König, bat ihn und sprach: Ich will, dass du mir gibst, jetzt gleich auf einer Schale, das Haupt Johannes des Täufers.

Durch Vergleiche dieses Berichts im Evangelium nach Markus (Mk 6,21–24, hier in der Übersetzung der Lutherbibel 1984) mit den antiken Quellen zur herodianischen Dynastie wird die Tochter oder Stieftochter der Herodias, die mit ihrem Tanz die Enthauptung Johannes‘ des Täufers bewirkte, traditionell mit dem Namen Salome belegt. Zwar ist auch der Tanz ums goldene Kalb eine gerne ausgeführte Illustration zur biblischen Geschichte, doch der Tanz vor Herodes (oder Tanz der Salome) ist sehr viel häufiger bildlich dargestellt worden. Viele Jahrhunderte lang hielten sich die bildenden Künstler dabei an den vorgegebenen biblischen Rahmen: Salome tanzt vor Herodes und seinen Gästen, und der König ist so beeindruckt, dass er ihr anschließend dafür etwas schenken möchte und ihr einen Wunsch freistellt; sie hat selbst jedoch keinen Wunsch und fragt ihre Mutter Herodias, und diese ist es, die ihr nahelegt, die Enthauptung von Johannes dem Täufer zu verlangen.

Erst im 19. Jahrhundert wird die bekannte biblische Geschichte von den Schriftstellern aufgegriffen und verändert: Herodes möchte aus erotischen Motiven den Tanz der Salome sehen und bietet ihr deshalb vorher einen freien Wunsch als Belohnung an, und Salome hat bereits ein persönliches Interesse am Kopf des keuschen Täufers, weil dieser ihre Liebe verschmäht hatte. Heinrich Heine ließ kurz vor der Mitte des Jahrhunderts in seinem Atta Troll Herodias als Hexe wiederkehren (Kaput XIX), mit „des Morgenlandes Zauber“ im Antlitz, und „auch die Kleider mahnten kostbar an Scheherezadens Märchen“. Bei ihm ist es Herodias, welche die Schüssel mit dem Haupt des Jochanaan mit sich führt und ihn „mit Inbrunst“ küsst: „Denn sie liebte einst Johannem – in der Bibel steht es nicht, doch im Volke lebt die Sage von Herodias' blut'ger Liebe –“.


"Ich will nicht tanzen, Tetrarch!" Hedwig Reicher als Salome 1903. Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

Heine beschreibt zudem ein weiteres „verrücktes“ Verhalten: „Doch mit toller Weiberlaune schleudert sie das Haupt zuweilen durch die Lüfte, kindisch lachend, und sie fängt es sehr behende wieder auf, wie einen Spielball.“ Denn „bei Weibern weiß man niemals, wo der Engel aufhört und der Teufel anfängt.“ Kurze Zeit später hat Heine in seinem Königin-Pomare-Gedichtzyklus der Pariser Tänzerin Lise Sergent mit jenen eingangs zitierten, heute noch sehr bekannten „Sie tanzt mich rasend – ich werde toll“-Versen als Salome gehuldigt.

Stéphane Mallarmés Hérodiade, Gustave Flauberts Hérodias, Jules Laforgues Salomé, Joris-Karl Huysmans‘ A Rebours und vor allem Oscar Wildes Schauspiel Salome, zwei Jahre nach der Erstveröffentlichung 1891 mit den Illustrationen von Aubrey Beardsley versehen, Hermann Sudermanns Drama Johannes und schließlich die Salome-Oper von Richard Strauss haben dann wesentlich zu einer veränderten Wahrnehmung und Darstellung der Salome geführt. Sie wurde seitdem entweder als Inkarnation weiblicher Grausamkeit, oder als Modell der Kindfrau und Verkörperung idealer Schönheit und purer Erotik gesehen, namentlich durch Wilde/Strauss auch in der Verbindung von beidem als teuflische Bedrohung, als Aberration, über die Herodes mit dem Schlusssatz „Man töte dieses Weib!“ ein Urteil fällt.


Tilla Durieux als Salome 1903/1904. Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

Der „Tanz der sieben Schleier“, den erstmals Oscar Wilde so benennt – ohne näher zu beschreiben, wie er ausgeführt wird und dass dabei die Schleier nacheinander abgelegt würden –, wird manchmal als Vorläufer des Striptease bezeichnet. Inspiriert hat er die bildenden Künstler dieser Zeit enorm. Immer wieder wurde, vor allem um die Wende zum 20. Jahrhundert, „Salome“ zum Thema in der Kunst und eine leicht oder gar nicht mehr bekleidete Frau beim Tanzen oder nach dem Tanz mit dem abgeschlagenen Kopf des Jochanaan dargestellt. Und das nicht nur in der Malerei, sondern auch im Bühnentanz, wo beispielsweise die Nackttänzerin Adorée Villany schon spätestens Juni 1905, einige Monate vor der Uraufführung der Oper von Richard Strauss, einen Tanz der sieben Schleier aus „Salome“ von Omar Anubis tanzte: „ehe sie [Salome] durch die Oper von Strauss zur Modeware wurde und viele Unberufene veranlasste,


Maud Allan als Salome, Berliner Illustrirte Zeitung (1907/08). Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

diese ‚Mode‘ auf die Bühne zu stellen, von der großen Oper bis zum Café chantant.“[1] Bekannt wurde auch Maud Allan, die 1908 The Vision of Salome auf die Bühnen brachte. Und die ohnehin sehr bekannte Loїe Fuller hatte die Salomé sogar zweimal im Programm: 1895 und als La Tragédie de Salomé 1907.

Die Entwicklung in der bildenden Kunst führt von der bekleidet tanzenden oder den Kopf des Täufers entgegen nehmenden Salome zur leicht bekleideten, dann zur barbusigen Tochter der Herodias (beispielsweise bei Franz von Stuck oder Lovis Corinth) und schließlich zur "splitternackten" Tänzerin (wie in einer Radierung von Picasso 1905). Und das abgeschlagene Haupt wird von Salome zum Kuss auf den Mund ans Gesicht geführt (Karl Gebhardt ), an die Brüste gedrückt (Hugo Kraus) oder die nackte Salome hockt am Boden und hat das Tablett mit dem Kopf zwischen ihren zu diesem (und dem Betrachter des Gemäldes) geöffneten Schenkeln (Marcel René von Herrfeldt).


Salome-Radierung von Alméry Lobel-Riche. Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

All dies mit einer stark „orientalisierten“ und vermeintlich historischen Darstellungsweise, die der Exotismus-Mode in der Kunst der Zeit Rechnung trägt und sich nicht mehr wie früher an den Menschen, Kleidern und der Architektur der eigenen Zeit orientiert. Dabei wird der Name „Salome“ derart populär, dass um 1910 in Deutschland auch ein Nähgarn und eine Strumpfseide „Salome“ benannt wurden.

Wohin hätte sich die künstlerische Darstellung der Salome noch weiterentwickeln können? Noch tiefer in den schwülstig-kitschigen, perlenbesetzten und durchsichtig verschleierten „Orient“ wäre es wohl kaum möglich gewesen. 1926 empörten sich Kritiker und Publikum über einen Hamlet im Frack (Fritz Kortner, Berlin) bzw. im modernen Gewand (Alexander Moissi, Wien), und es wäre naheliegend gewesen, dass in den 1920er Jahren als „revolutionäre“ Modernität eine Salome-Inszenierung des Schauspiels oder der Oper in Bühnenbild und Kostümen der Gegenwart inszeniert worden wäre: vergleichbar der zeitgenössischen bildlichen Darstellung von der Renaissance bis zum 18. Jahrhundert.

Doch es kam viel radikaler und avantgardistischer, als 1923 Valeska Gert in der Tribüne in Berlin eine Salome-Aufführung (O. Wilde) inszenierte: „Wir waren alle egal angezogen, nur durch Farben unterschieden. Ich trug ein knallrotes enges Hemd, die Herodias ein grasgrünes und der Prophet ein silbergraues. Herodes hatte einen knallblauen Pyjama an, der junge Syrer einen hellgelben. Unsere Haare waren alle schwarz und glatt und die Gesichter schneeweiß gepudert. Die ganze Suggestion der Rolle sollte durch die geistige Intensität der Darsteller erscheinen. Der Hintergrund war schwarz, die Beleuchtung grell weiß. Die einzigen Möbel waren drei schwarze Polster. […] Ich tanzte nicht nach Instrumenten, sondern nach dem rhythmischen, brünstigen Geheul einiger Frauen hinter der Bühne. Walther Ruttmann machte dazu miauende Töne auf einem Cello.“[2] 
Diese Salome war ihrer Zeit weit voraus.

Frank-Manuel Peter


Valeska Gert als Salome mit dem (imaginären) Haupt des Propheten. Foto © Suse Byk / Deutsches Tanzarchiv Köln

[1] Adorée-Via Villany: „Salome“, Tanz der sieben Schleier. In: Dies.: Tanz-Reform und Pseudo-Moral. Kritisch-satyrische Gedanken aus meinem Bühnen- und Privatleben. Aus dem Manuskript ins Deutsche übertragen von Mirjam David. Paris o. J. (wohl 1912), S. 50–59, hier S. 54.
[2] Valeska Gert: Mein Weg. Leipzig 1931, S. 47f.