Mit dem Projekt Artist meets Archive öffnet die Internationale Photoszene Köln fotografische Sammlungen und Archive.

Gemeinsam mit fünf Institutionen lädt die Photoszene international agierende Künstler*innen ein, in den Archiven und mit den darin verborgenen Schätzen zu arbeiten, um aus ihren Recherchen für das Festival im Mai 2021 eine Ausstellung zu erarbeiten.
Zu Gast im Deutschen Tanzarchiv Köln war die polnische Fotografin Anna Orłowska. Sie reflektiert ihren Aufenthalt im Deutschen Tanzarchiv Köln und die Begegnung mit Beständen des Archivs in eigenen fotografischen Arbeiten mit einer besonderen Anmutung und Stofflichkeit.


Das Deutsche Tanzarchiv Köln ist voller Fotografien eines bestimmten Typs: Eine Tänzerin bzw. ein Tänzer in eleganter Pose ist in einem bestimmten Segment des Bewegungsablaufs einer Choreografie zu sehen. Zuweilen handelt es sich um eine Serie von Bildern, die einen Einblick in eine Bewegungsphase geben und dabei an die berühmten fotografischen Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge erinnern.

"Ein Teil des Teils" von Anna Orłowska ist im Rahmen von Artist meets Archive der Internationalen Photoszene Köln, Foto: Simon Rupieper, 2021

Allerdings kommt es angesichts der riesigen Bandbreite dieser historischen Sammlung oft vor, dass ein Ganzes auseinandergerissen wird, dass die Ordnung durcheinander gerät und man am Ende versucht, einer einzelnen Silbe, die aus einem unbekannten Satz herausgerutscht ist, einen Sinn zu geben. Diese fotografischen Sätze, die von Zeichnungen und Notizen Unterstützung erhalten, waren einst dazu gedacht, etwas zu bewahren, was im Prinzip unmöglich festzuhalten ist: die Energie einer bewussten Bewegung, die im Moment der Aufführung von den Körpern der Tanzenden in Bewegung ausgeht. 

Tanz ist körperliche Arbeit. Der Körper des Tanzenden wird einem nicht enden wollenden Trainingsprogramm unterzogen, um ihn darauf vorzubereiten, die gewünschte Bewegung auszuführen (zu produzieren), die mühelos, leicht und auf anmutige Weise mitreißend sein soll - ein Ideal der Schönheit.

Trotz der innovativen Ansätze von Generationen von Tänzerinnen und Tänzern sowie Künstlerinnen und Künstlern ist diese romantische Vorstellung nach wie vor die populärste. Auf den ersten Blick bestätigt der Bestand des Kölner Archivs dieses Bild. Es war eine Herausforderung, Fotografien zu finden, die dieses tradierte Ideal nicht verstärken. Allerdings waren sehr viele der Künstlerinnen und Künstler, deren Lebenswerk im Deutschen Tanzarchiv Köln dokumentiert ist, Wegbereiterinnen und Wegbereiter, die die Entwicklung eines modernen Körper- und Tanzbewußtseins engagiert vorangetrieben haben. Rudolf Laban, später auch Mary Wigman, Kurt Jooss, Harald Kreutzberg und Gret Palucca: Durch ihre Experimente mit Körper und Bewegung sprengten sie den bestehenden Kanon der Tanzkunst, der zuvor auf eher klassisch-romantischen Narrativen beruhte. Obwohl die Fotografien des Archivs dazu dienen, dieses Erbe zu bewahren, zum Teil, indem sie die radikale Emanzipation des Körpers vom Tradierten überliefern, halten sie in der Regel an der visuellen Form herkömmlicher Darstellungen von klassischen Bewegungen fest.

"Ein Teil des Teils" von Anna Orłowska ist im Rahmen von Artist meets Archive der Internationalen Photoszene Köln, Foto: Simon Rupieper, 2021

Der in der fotografischen Aufnahme dargestellte Körper erzeugt allenfalls eine Illusion von Bewegung. Wenn wir den Menschen und seinen Körper ausblenden, bleiben in der Regel zwei Elemente in der Fotografie bestehen: der Stoff des Kostüms, der sich im Vakuum menschlicher Intention entfaltet, und der (ebenfalls oft textile) Hintergrund bzw. der Raum (Bühne, Atelier, Freiluftkulisse). In der Abwesenheit der Körper werden wir uns der Bedeutung und der Beständigkeit der Stille in dunklen, leeren Bühnenräumen bewusst. Stufen, Bühnenvorhänge und Wände treten in den Vordergrund. Masken schweben im Leeren. Kostüme wirken so schwer wie die Gewänder von Marmorskulpturen. Leere Bühnen, Proberäume, Schulkorridore. Ballettstangen, Requisiten und andere Bühnenelemente. Diese erstarrte Materie - ein Ensemble, das den vom Fotografen in seiner Bewegung stillgestellten Körper des Tanzenden begleitet - ist zum Material geworden, aus dem ich meine Bilder und Objekte zusammenfüge.


© Anna Orłowska/Deutsches Tanzarchiv Köln, 2021

Die Ausstellung wird durch das Polnische Institut Düsseldorf und die Freunde der Tanzkunst am Deutschen Tanzarchiv Köln e.V. unterstützt.

Anna Orłowska (*1986 in Opole / Polen) lebt und arbeitet in Warschau. Orłowska begann ihre künstlerische Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in Poznań und setzte ihr Studium an der Nationalen Filmschule in Łódź in Polen fort. Gleichzeitig studierte sie am Institut für kreative Fotografie in Opava, Tschechische Republik. 

Die polnische Künstlerin schafft Bilder an der Grenze von Inszenierung und Dokumentation. Ihre sorgfältig geplanten und konstruierten Bilder vermitteln Situationen, Visionen oder Szenarien, die eine performative Qualität aufweisen. Die Settings und Motive wirken dadurch filmisch bzw. theatral. Die Themenwahl ist durch einen Blick in die Vergangenheit geprägt. Wie in der Arbeit Whitwash von 2018. Orłowska beschäftigt sich in der Arbeit mit der Auslöschung der deutschen Identität der Nachkriegsgeneration in Oberschlesien.