Tanz in der Werbung – auf dem ersten Blick ein ungewöhnliches Thema für eine Ausstellung. Gibt es überhaupt so viel Tanz in der Werbung?

Die Arbeit an einer Ausstellung im Tanzmuseum ist ja immer auch eine Reise durch die Bestände des Deutschen Tanzarchivs Köln. Und dabei staune ich immer wieder darüber, was seit 1948, dem Gründungsjahr des Archivs, alles zusammengetragen worden ist. Natürlich – und nicht verwunderlich – findet sich Werbung für Tanzveranstaltungen – in Hülle und Fülle. Dieser Aspekt steht allerdings nicht im Fokus unserer Ausstellung über Tanz in der Werbung.

Thomas Thorausch, Stellv. Leiter des Deutschen Tanzarchivs Köln, Foto: Janet Sinica, 2019

Es ist erstaunlich in welcher Vielfalt die Werbebranche Tanz, Tänzer*Innen oder Motive des Tanzes aufgenommen hat. Ebenso verwunderlich ist es, wie viele berühmte Tänzer*Innen und Choreograph*Innen, von Mary Wigman bis Pina Bausch als Werbe- und Sympathieträger für Produkte von Interesse waren. 

Neben der Freude des Suchens und Findens hat mich am Aufgreifen dieses Themas noch ein weiterer Aspekt gereizt. Wir leben in einer Gesellschaft, die beginnt, sich gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums in den Städten zu Wehr zu setzen. Hält man sich vor Augen, dass es zu Beginn des 20. Jahrhundert die Werbung war, die das graue Einerlei der Großstädte bunter machte, ist das eigentlich eine absurde Entwicklung: während Produktwerbung uns heute immer raffinierter gesteuert und – ohne großen Widerspruch - unmittelbarer, z.b. via Smartphone oder Tablet, und ‚rund um die Uhr‘ anspricht, wünschen wir uns endlich werbefreie Städte. Angesichts dieser Veränderung unserer Wahrnehmung und Wertschätzung lohnt sich meines Erachtens ein Blick zurück…

In welcher Form der Werbung kommt das Thema Tanz vor? Nur in Werbefilmen?

Keinesfalls. Es ist ja kein Zufall, dass die Idee der Bewerbung von Produkten im 19. Jahrhundert infolge der Industrialisierung aufkommt. Wer viel und über den täglichen und regionalen Bedarf hinaus produziert, der will und muss auch viel verkaufen. Dazu braucht es eine gesteuerte Kommunikation mit potentiellen Käufern und Kunden. Und hier kommt natürlich die Presse ins Spiel. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts veränderte sich die Presselandschaft in Deutschland rapide. Moderne Druckverfahren vereinfachten die Produktion und Distribution einer Zeitung. Erschienen 1866 noch rund 300 Tageszeitungen in Deutschland, so waren es im Jahr 1914 bereits 2.200. Infolge dieser Entwicklung entsteht die Vielfalt der graphischen Werbeformen, in denen Tanz vorkommt.
 

Gibt es in der Geschichte Veränderungen für welche Produkte mit Tanz geworben wird?

Ja, das ist interessant. Werbefachleute sprechen heute davon, dass die Globalisierung der Märkte bezüglich der Werbung nach universellen graphischen Bildern und Ideen verlangt. Der Tanz – in welcher Form auch immer – war meines Erachtens früh schon eine derart länder- und gesellschaftsübergreifende Idee. Tanz steht für vieles – von Eleganz bis Präzision, von Leistung bis Reinheit. Das läßt sich werblich durchaus ideal verbinden - mit Milchprodukten wie Yoghurt und Kefir ebenso wie mit Staubsaugern und Finanzdienstleistungen. In Europa ebenso wie in den USA.


Aber Werbung ist Werbung. Wir wissen ja, dass wir verführt werden sollen. Und wenn dies auf unterhaltsame Weise geschieht, dann gerne… Und da gibt es natürlich Unterschiede und Veränderungen: wie die mondäne Tänzerin Elsa Krüger in den 1920er Jahren rauchend Werbung für die gleichnamigen „Elsa Krüger-Zigaretten“ der Georg A. Jasmatzi Aktiengesellschaft aus Dresden gemacht hat… das würde uns heute – abgesehen vom Werbeverbot für Tabakprodukte – wohl nicht mehr berühren. Wenn hingegen ein offensichtlicher „Nicht-Tänzer“ im Filmwerbespot „SUPERGEIL“ der Firma EDEKA an Warenregalen vorbei und in die Lebenswelten potentieller Kunden tänzelt, dann hat dies für uns Kult-Charakter.

Glaubt man Werbestrategen, muss Werbung heute nicht mehr unbedingt Produkte „verkaufen“, sondern vielmehr Mythen schaffen, die wiederum Marken prägen. Und Marken sind nunmal das Wertvollste in der Konsumwelt. Und in Bezug auf Mythen ist der Tanz ganz groß [lacht]… und schon immer gewesen.

Werbung ist immer auch Zeitdokument und bildet insofern Gesellschaft ab. Was gibt es diesbezüglich zu entdecken? 

Unsere älteste Werbeannonce von 1892 mit der Abbildung einer Ballerina im Fokus eines Fotografen und dem Werbeslogan „Jedermann kann fotografieren!“ ist vielleicht eine Ausnahme. Denn mit aller Vorsicht - auch mit einem umfangreichen Archiv im Rücken kann man nicht alles wissen - würde ich sagen: der Einsatz von Tanz und Tänzerinnen in der Werbung zielt doch vorrangig auf die Kundin. Die Werbung für Körperpflegemittel bedient sich z.B. immer wieder gern der Empfehlung durch Berühmtheiten des Tanzes. Die Schlankheit einer Tänzerin korrespondiert ideal mit einer ebenso schlank erscheinenden Damenarmbanduhr. Und beide propagieren damit natürlich auch ein bestimmtes Schönheits- und Sehnsuchtsideal. 
 


Selten dagegen ist die Tänzerin, die am Steuer eines Autos Werbung für dasselbe macht. Aber auch das gibt es! Eindeutig an eine ausschließlich männliche Käuferschaft richtet sich die Abbildung leichtbekleideter Tänzerinnen und der Werbeslogan „Wir Damen vom Ballett trinken nur noch Sekt!“
Den wohl größten Gegensatz zu heute stellt ein Werbefoto dar, das Tänzerinnen einer Revuetruppe zeigt, die auf dem Dach eines Theaters in Japan von einem Offizier im Umgang mit (Spielzeug)Gewehren geschult werden. Natürlich in präziser Formation.  Werbung – wenn Sie so wollen – für ein Land und eine gesellschaftliche Situation, in der wie die Information zum Bild sagt, „der Krieg das Hauptthema“ ist. 2019 wirbt die Bundeswehr im Vergleich dazu dezenter und trendiger, wenn sie für eine Kampagne, die sich in erster Linie an Frauen wendet,  postuliert: „Gleichschritt ist kein Ausdruckstanz“.

Das Gespräch mit dem Kurator Thomas Thorausch führte Tanja Brunner.