Dem überwältigenden Eindruck vom ersten Auftreten des Russischen Balletts haben wohl wenige Künstler sich entziehen können. Für mich selbst, den schon immer die Bewegung von Menschen, auch Tieren, in erster Linie zur Wiedergabe gereizt hat […] bedeutete das Auftreten der Russen wohl das größte Erlebnis in meiner künstlerischen Entwicklung, weil diese durch die Leidenschaftlichkeit ihrer Darstellung, durch die unvergleichliche Höhe ihrer Tanzkunst, durch den bis dahin nie erreichten Zusammenklang von Bühnenbild, Musik wie mit dem Ausdruck und Rhythmus alles erfüllten, was sich künstlerische Phantasie erträumen konnte.

Ernst Oppler resümiert im Jahr 1927

Jeder kennt die Ballettbilder von Edgar Degas, die noch heute auf unzähligen Postkarten und Kalenderblättern weite Verbreitung finden. Degas malt das Sujet, das Genre „Ballett“ und zeigt „Ballett-Tänzerinnen“. Die Dargestellten benötigen bei ihm keine Namen. Man erfährt auch fast nie, was sie tanzen, denn er zeichnet und malt die Namenlosen sitzend in der Pause (au repos), an der Ballettstange stehend, bei der Verbeugung auf der Bühne und allenfalls ausnahmsweise einmal statuarisch in einer Tanzszene.
Nicht so Ernst Oppler: Die Tänzer sind für ihn keine posierenden Modelle. Oppler ist an der Bewegung der Tänzer interessiert, an den namhaften Solisten und an den einzelnen Balletten, die getanzt werden. Er versucht, den Tanz selbst festzuhalten. Der Kölner Stadt-Anzeiger nennt ihn 1925 anlässlich einer Einzelausstellung „den Tanzmaler aus tänzerischem Urerlebnis“. Ein Zeitgenosse erwähnt, dass Oppler sich einen beleuchteten Stift konstruiert hatte, um im dunklen Zuschauerraum zeichnen zu können. Dort und auf der Probebühne versucht er in Hunderten von Kohle- oder Bleistift-Skizzen die Tänzerinnen und Tänzer in der schnellen Bewegung zu erfassen. Später fertigt er im Atelier danach Zeichnungen, Radierungen und Gemälde an. Seine Arbeiten werden bald auch publiziert, er ist bei den Gastspielen präsent und Harry Graf Kessler lädt ihn 1914 extra nach Paris ein, um den Proben zur Uraufführung der „Jospehslegende“ von Richard Strauss zeichnend beizuwohnen.

Skizze, wahrscheinlich zu „Schéhérazade“ Kohle, 1912, Deutsches Tanzarchiv Köln
Skizzenbücher von Ernst Oppler zu Anna Pawlowa (mit Foto und Programmzettel) , Deutsches Tanzarchiv Köln

Oft bin ich gefragt worden, wie meine Ballettbilder entstanden sind. Die lebhaften Bewegungsmotive von Ballettszenen und Einzeltänzen können selbstverständlich nicht nach dem Modell gemalt werden. Im verdunkelten Zuschauerraum muss der Maler in flüchtigen Notizen die Reihenfolge der Bewegungen niederschreiben und versuchen durch eine unaufhörlich wiederholte Beobachtung den Schritt und die Bewegung sich so einzuprägen, dass er imstande ist, sie auswendig darzustellen.

Ernst Oppler: Maler und Tänzerin. 1927

Ernst Oppler stammte aus einem kultivierten, bürgerlichen jüdischen Elternhaus in Hannover. Sein Vater hatte als Architekt u.a. die dortige, in der „Reichskristallnacht“ zerstörte Synagoge gebaut. Ein Bruder konnte wie Ernst Oppler Kunst studieren, ein anderer wurde Arzt, der vierte Jurist. 1929 starb Ernst Oppler in Berlin an einem Herzversagen, und sein Nachlass wurde familiär aufgeteilt. Opplers Nachruhm erfuhr im Dritten Reich großen Schaden, seine vom Jüdischen Museum Berlin angekauften Werke wurden bei der erzwungenen Schließung beschlagnahmt und sind heute zum Teil verschollen. Seine drei Brüder kamen im Zuge der nationalsozialistischen Verfolgungen ums Leben.
Seit Kriegsende waren Ernst Oppler nur wenige Ausstellungen gewidmet, so im Deutschen Theatermuseum München und im damals noch in Hamburg ansässigen Tanzarchiv von Kurt Peters, sowie später einige Verkaufsausstellungen im Kunsthandel. Jochen Bruns, Opplers Biograph und Verfasser des Werkverzeichnisses, verstarb, ohne seine Arbeiten veröffentlichen zu können. 1997 geschah dies auf CD-ROM durch das Deutsche Tanzarchiv Köln, das inzwischen den Hauptnachlass übernommen hatte und heute neben einigen Gemälden mehr als 1.000 Skizzen und Radierungen von Oppler besitzt. 2017 erinnert das Deutsche Tanzarchiv Köln an Ernst Opplers 150. Geburtstag mit einer Ausstellung, einer Publikation und einem vielseitigen Rahmenprogramm.

Selbstbildnis, zeichnend Radierung, 1923, Deutsches Tanzarchiv Köln
Bühnenprobe zur „Josephslegende“ Paris 1914. Radierung, mit Bleistift überarbeiteter 2. Abzug des 1. Druckzustands, Deutsches Tanzarchiv Köln