In den 1990er Jahren habe ich Dich kennengelernt als Fotografen, der es versteht, mit zwei künstlerischen Leidenschaften zu leben und zu wirken. Da ist der Fotograf, dem es auf beeindruckende Weise gelingt, mit Blick auf die Bühne, Momente festzuhalten, die die Formgebung des Choreographen und die Ausdrucksstärke der Tänzer idealtypisch spiegeln. Und da ist der Fotograf, der in der Arbeit (mit Tänzern) im Studio eine überbordende Fantasie entwickelt und diese künstlerisch auslebt. Als wir über die verschiedenen Möglichkeiten sprachen, Dein Wirken in einer Ausstellung vorzustellen, hast Du Dich sofort für eine Präsentation Deiner freien, im Studio entstandenen Arbeiten entschieden. Wieso?


Diese Arbeiten sind mir einfach wichtiger. Das sind alles Inszenierungen, die von A bis Z meine Handschrift tragen. Es sind genuine Artefakte, während die reine Bühnenfotografie ein reproduzierendes Medium ist, bei dem ich versuche eines Anderen Vision (falls vorhanden) zu meiner eigenen zu machen … Ich bin in diesem Fall also eine Art „Übersetzer“, der das eine Idiom (Bewegung) in ein anderes (Fotografie = Stillstand) transponiert.  


Wie bist Du darauf gekommen, Deiner fotokünstlerischen Fantasie im Studio freien Lauf zu lassen? Wann und wo hat es begonnen…?

Angefangen hat das alles nach der Beendigung meiner Tänzerlaufbahn. Ich hatte zwar nie vor, mich ganz vom Tanz abzunabeln und wollte schon dem Theater verbunden bleiben, aber plötzlich wurden andere Dinge wichtiger. Die bildenden Künste nahmen in meinem Leben mehr Raum ein. Ich beschäftigte mich intensiv mit den Heroen der Fotografie von damals: Richard Avedon, Irving Penn, Guy Bourdin, Helmut Newton. Zwar liebte und bewunderte ich auch die ‚street photographer‘ wie Henri Cartier-Bresson, Thomas Höpker, André Kertesz, und die ganzen Magnum Fotografen, aber in deren Metier sah ich nicht meine Stärke.  
Ganz wichtig war für mich die Resonanz, die ich aus Holland erfuhr. Hans van Manen, der große Choreograph, war damals in einer Phase, in der er sich professionell der Fotografie widmete. Man kann ruhig sagen, dass sich da eine ‚Amsterdamer Schule‘ gründete, deren Lokomotive Hans van Manen war. Seine Jünger waren unter anderem Paul Blanka, Erwin Olaf und eben ich, der Kölner. Damals kam auch der, bis dahin nur in Fachkreisen bekannte, Robert Mapplethorpe nach Amsterdam, wo er seine erste Ausstellung in Europa in der Galerie Jurka hatte. Da bekam man damals einen echten Mapplethorpe für 800 Gulden…
All das hat mich sehr inspiriert und angespornt. Parallel dazu fotografierte ich bei meinen Holland-Besuchen die Produktionen des Nederlands Dans Theaters in Den Haag.

Gab es künstlerische Vorbilder des Genres Studiofotografie? Oder anders gefragt, woran orientiert man sich – als Fotograf! – wenn vielleicht das eigentliche ‚Vorbild‘ für eine derart konzentrierte aber eben auch suchende inszenatorische Arbeit die Probebühne des Theaters ist?

Vorbilder im eigentlichen, engeren Sinne gab es nicht … sieht man von den beiden Modefotografen Guy Bourdin und Helmut Newton ab, wobei der letztere ein genialer Bildregisseur war.
Man darf natürlich auch nicht vergessen, dass ich zu dieser Zeit von den Arbeiten der Pina Bausch fasziniert war. Vieles was sie auf die Bühne brachte, war quasi eine Art ‚Steilvorlage‘ für meine inszenierte Studiofotografie … Überhaupt muss man immer im Hinterkopf behalten, dass ich vom Theater komme – was wiederum meine Lust am Inszenieren miterklären mag.


In Deinen Arbeiten ist eine beeindruckende Vielfalt von Motiven, Themen und Bezügen (bis hin zur Malerei) zu entdecken. Wie (und wo) entwickelst/findest Du Bildmotive und
-themen?

Sie fliegen mich einfach an und wenn ich mal mit einem Thema angefangen habe, gesellen sich weitere Inszenierungsideen, wie zum Beispiel mit einem bestimmten Requisit hinzu. Tiere (ausgestopft, tot oder lebendig) zum Beispiel. Das Stilett hat mich immer schon als Objekt fasziniert … ebenso wie hochhackige Pumps. Allein mit den Variationen des Strumpf-Deko-Beins könnte ich eine ganze Ausstellung bestücken.

In einigen Deiner Arbeiten zitierst Du (oder nimmst Bezug darauf) auf eigenwillige, aber immer offene Weise andere Fotokünstler – wie etwa Bruce Nauman oder Robert Mapplethorpe. Wie bist Du dazu gekommen? Reverence, Spiel oder Lust an der Provokation?

Oh ja! Ich liebe es, zu zitieren… und auch hin und wieder zu provozieren. Ich will ja nicht in meinem eigenen Mief ersticken. Man muss die Fenster öffnen und frische Luft reinlassen.
Es gibt zum Beispiel immer wieder Leute, die mir meine Nähe zu Mapplethorpe vorwerfen. Die haben nicht gut hingeguckt. Natürlich gibt es einen ‚Zeitgeist‘ der per se Ähnlichkeiten in künstlerischer Sichtweise und Anmutung hervorbringt. Das liegt einfach in der Luft.
Einmal habe ich eine Ausstellung von Juan Gris und Pablo Picasso gesehen. Es war schon amüsant zu sehen, wie beide Gitarren malten und fast nicht zu unterscheiden waren.
Das Wichtigste was ich von Mapplethorpe gelernt habe ist die Erkenntnis, dass man ALLES fotografieren kann – selbst pornografische Topoi – wenn man ernsthaft mit den Themen umgeht und sie richtig inszeniert. Ich glaube, dass ich – selbst wenn ich wollte – gar nicht in der Lage wäre Pornografie zu produzieren. Irgendwie würde es immer nach Kunst schmecken.


Der Begriff ‚Nackttanz‘ war und ist ja alles andere als positiv besetzt. Du hast in einem Gespräch einmal Nacktheit auf der Bühne als ‚auch nur eine Art von Kostüm‘ bezeichnet. Was bedeuten Nacktheit und Tanz im Kontext Deiner Studioarbeiten?

Ja, leider feiert die Prüderie wieder fröhliche Urständ. Und auch daran hat sich nichts geändert: die, die den Satz mit: Ich bin ja nicht prüde, aber …“ beginnen, sind die Schlimmsten!
Ach, weisst Du, die Museen hängen voller Nackedeis, die Kunst (-geschichte) wäre ohne Entblößung wie eine Suppe ohne Salz. Stinkfade. Ich habe mich immer mit dem (nackten) Körper auseinandergesetzt. Habe ihn seziert und autopsiert. Habe ihn auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Habe ihn als Projektionsfläche für meine Inszenierungen gebraucht, ihn durch meine Kunst idealisiert und oft regelrecht angebetet. Manchmal, wenn ich einen enttäuschenden Ballettabend sehe, denke ich bei mir: warum diese Mühe? Lass sie doch einfach alle nackt über die Bühne spazieren. Da könnte ich stundenlang hinschauen. Ich fände es herrlich.
 

Und wie gehen die Protagonisten Deiner Bilder damit im Studio um? Wie gehen sie damit um, dass sie in vielen Fällen ‚nicht zu identifizieren‘ sind?

Ich habe noch keine Klagen gehört. Die Entscheidung, die Inszenierung zu ‚entpersonalisieren‘, fälle ich ja bewusst. Ich will einfach nicht, dass es einen ‚privaten Touch‘ bekommt. Dadurch wird die Bildaussage anonymer, exemplarischer und aussagekräftiger, als wenn ich eine Dagmar, Ellen, Francois oder einen Peter identifizieren könnte.


Nimmt man die Skulpturalität in Deinen Arbeiten wahr, so kommt man nicht umhin, zu konstatieren, dass Deine Fotografien den Körper, den Tanz ‚feiern‘, ihn ‚idealisieren‘. Und nicht zuletzt den subjektiven Blick darauf. Eine richtige Beobachtung? Was ist Dir daran so wichtig?
 
Na ja, der menschliche Körper ist einfach das Medium, das mich am intensivsten inspiriert hat… und bis heute beschäftigt. Eigentlich fühle ich mich wie ein ‚Klassiker‘… Und in der Tat liebe ich es, durch Glyptotheken zu schlendern.
 

Die Titel Deiner Arbeiten sind Dir definitiv wichtig. Und sie sind mehr als „nur“ Titel! Zuweilen – so scheint es mir – verkörpern gerade die Titel das Augenzwinkern in Deinem Blick auf Fotografie, Motiv und Tanz oder sie sind Ausdruck Deiner kunstphilosophischen Reflektion darüber. In jedem Fall eröffnen sie dem Betrachter einen weiten Assoziationsraum zu dem, was er vor Augen hat.

Das ist absolut richtig beobachtet. Die Titel sind ein Bestandteil meiner Fotografie. Sie sollen ein Wegweiser zum Verständnis sein. Ohne damit Zwang ausüben zu wollen. Oft unterstreichen sie ja meinen immanenten Humor und die Ironie. Beide sind mir ungeheuer wichtig. Ich hasse Prätention … und wenn Leute sich zu ernst nehmen.


Das Gespräch mit Gert Weigelt führte Thomas Thorausch (Stellvertretender Leiter des Deutschen Tanzarchivs Köln und Kurator der Ausstellung) im Januar 2018.


Das gesamte Gespräch ist im Künstlerbuch "GERT WEIGELT. AUTOPSIE IN SCHWARZ/WEISS" abgedruckt. Dieses ist im Tanzmuseum des Deutschen Tanzarchivs Köln für 25 Euro erhältlich.

Wir danken der Agentur Markwald Neusitzer Identity GbR für den Trailer zum Katalog!