"First Lesson at Truempy Ballet School" – ???
Wenn auf dem Flohmarkt gefundene Tanzfotografien wegen des heute namhaften Fotografen zur Versteigerung in Auktionshäuser gelangen, werden sie von den Einlieferern bezüglich der abgebildeten Tänzerinnen und Tänzer oft nachträglich mit prominenten Namen aus der entsprechenden Epoche versehen (wie Isadora Duncan, Waslaw Nijinsky oder Mary Wigman). Die höchsten Preise beim Verkauf werden natürlich dann erzielt, wenn sowohl die dargestellte Person als auch der Fotograf „einen großen Namen haben“. Seriöse Auktionshäuser, die an diesen Zuschreibungen Zweifel haben, wenden sich dann an Museen oder Archive, um die Angaben überprüfen zu lassen.
Anders sieht es aus, wenn ein Foto bereits seitens des Urhebers betitelt worden ist: Hier werden die Angaben nur selten hinterfragt. Das abgebildete Foto von Alfred Eisenstaedt (1898-1995) ist vielleicht das prominenteste Beispiel aus dem Tanzbereich dafür, wie Falschinformationen in so einem Fall jahrzehntelang von den Auktionshäusern verbreitet werden (auch von sehr namhaften wie Sotheby’s, Phillips oder Swann Galleries). Und die Käufer*innen sind dann wohl ebenso unkritisch. 1995, im Todesjahr des damals bereits 97jährigen Fotografen, nach unterschiedlichen Angaben der Auktionshäuser eventuell aber auch schon 1992 oder 1994 ist mit Erlaubnis des Fotografen eine nummerierte Serie von 250 Abzügen dieses Fotos hergestellt worden. Offenbar im Auftrag des life magazine, a division of time inc. Der Fotograf hat die Abzüge noch signiert. Inwieweit er selbst für die Titelfindung verantwortlich ist, bleibt unklar – vielleicht hat er sich 65 Jahre nach der Aufnahme nicht mehr so ganz präzise erinnert?
Fest steht, dass bis auf das Jahr und die Stadt Berlin alle Angaben zu diesem Foto falsch sind. Das Bild zeigt Melanie Lucia, eine ehemalige Ballerina, die in diesen Jahren als Ballettpädagogin die Ballettschule an der Berliner Staatsoper leitete. Die Aufnahme ist für den Fotografen gestellt worden, und wie jeder weiß, der etwas vom Ballett versteht, kann es sich hier nicht um die „first lesson“ gehandelt haben, auch wenn der Titel das Herz mancher Mutter höherschlagen lässt, die ihre Tochter gerne Ballett tanzen sehen würde. Denn: In der ersten Ballettstunde tragen die Schülerinnen keine Ballettröckchen wie für eine Aufführung und können noch nicht einbeinig auf der Spitze stehen.
Aber geradezu absurd ist die Aussage, dass es sich um die „Truempy Ballet School“ handeln soll. Berthe Trümpy war eine Freundin von Mary Wigman und gründete mit ihr deren legendäre Schule für modernen Tanz in Dresden. Sie war jahrelang als Pädagogin bei der Wigman tätig, bevor sie sich gemeinsam mit Vera Skoronel in Berlin mit einer eigenen Schule selbstständig machte. Wohlgemerkt: Nicht mit einer Ballettschule, sondern mit einer Schule für modernen Tanz – barfuß, nicht in Spitzenschuhen. Das Ballett wurde von ihr als veraltete, überholte Kunstform angesehen. Die Schule war so modern ausgerichtet, dass der Architekt Alfred Gellhorn für sie einen modernen, quaderförmigen Neubau schuf. In dieser Schule wurde weder Ballett unterrichtet, noch gab es dort Kinderklassen!
Ob die insbesondere amerikanischen Expert*innen und Sammler*innen wohl Zweifel bekommen hätten, wenn die Aufnahme – ebenso falsch – mit „First Lesson at Martha Graham Ballet School“ beschriftet worden wäre?
Frank-Manuel Peter