Mit wenigen Ausnahmen – Berlin, Hamburg, München, Köln und Düsseldorf – führte der Bühnentanz Anfang der 1960er Jahre an den kommunalen Theaterhäusern in Deutschland ein Aschenputtel-Dasein in Form einer erweiterten Opernstatisterie.

Im März 1964 kam Aufbruchstimmung auf: die Monatszeitschrift des Deutschen Bühnenvereins analysierte mit Beiträgen des Wiesbadener Intendaten Claus Helmut Drese und des Herausgebers der Fachzeitschrift „Tanzarchiv“, Kurt Peters, schonungslos die Situation an den Theatern. Ergänzend zeigte eine Umfrage unter Ballettmeistern notwendige Schritte zur Verbesserung der Lage des Tanzes auf.

Den Wunsch nach einer grundlegenden Änderung der Rahmenbedingungen des Tanzes an den Theatern befeuerte der Tanzkritiker und Legationssekretär im Außenministerium, Dr. Wilfried Hofmann, dem die Einrichtung eines von Bund und Ländern finanzierten nationalen Ballettensembles mit Sitz in Berlin und München vorschwebte, das sich losgelöst von den Verpflichtungen eines konventionellen Opernballetts auf die Produktion eines internationalen Repertoires konzentrieren sollte. Seine „Denkschrift über Notwendigkeiten und Möglichkeiten zur Errichtung eines deutschen Nationalballetts“, die er bereits im Februar 1964 dem Auswärtigen Amt übergeben hatte, löste lebhafte Reaktionen in der Presse und der Tanzwelt aus und war Thema einer Podiumsdiskussion, die am 21. Juli 1964 im Rahmen der Internationalen Sommerakademie des Tanzes in Köln stattfand.

Ein Jahr später war an eine Umsetzung der ehrgeizigen Pläne schon nicht mehr zu denken. Der Kunstausschuss der Kultusministerkonferenz und der Kulturausschuss des Deutschen Städtetages konstatierten, dass unter Berücksichtigung der föderalistischen Struktur des deutschen Theaterwesens die Zeit für ein Nationalballett noch nicht reif sei. Ernüchtert schrieb Wilfried Hofmann an Kurt Peters: „Es läuft zunächst auf a) ‚Ballettrat‘ (analog ‚Musikrat‘ und Konferenz wichtiger Intendanten und wichtiger Ballettmeister zwecks Austauschs des Repertoires und langfristiger Tournee-Planung mit dem AA hinaus. … „Es wäre nett, wenn Du Deine Leser über dieses Hornberger Schießen (dafür halte ich es trotz des guten Willens vieler Beteiligter) informieren würdest.“

Thomas Thorausch | Deutsches Tanzarchiv Köln

Bestand 148 Archiv Kurt Peters | Die Diskussion um ein deutsches Nationalballett | 1964-1965 © Markus Hoffmann | Deutsches Tanzarchiv Köln