von Geertje Andresen

Ohne ihn hätte die Tanzwissenschaft in Deutschland eine große Lücke aufzuweisen. Unser Wissen über Tanz im zwanzigsten Jahrhundert, über die modernen Tänzer, die ihn erfanden und die, die ihn einige Jahrzehnte präsentierten, wäre ohne sein Wirken zweifelsohne sehr viel geringer. Der vielseitige Tanzpublizist Fritz Böhme war unumstritten einer der wichtigsten Förderer des Tanzes in Deutschland in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Nicht hoch genug zu schätzen ist seine Leidenschaft, mit der er umfassend das Tanzgeschehen in Europa dokumentierte und es vor und während des Zweiten Weltkrieges archivierte.

Verwaltungsleiter Adolf Ebrecht, Intendant Hanns Niedecken-Gebhardt und der Tanzhistoriker Fritz Böhme 1940 in den Meisterstätten für Tanz. An der Wand ein Foto von Harald Kreutzberg, aufgenommen von Siegfried Enkelmann. Verwaltungsleiter Adolf Ebrecht, Intendant Hanns Niedecken-Gebhardt und der Tanzhistoriker Fritz Böhme 1940 in den Meisterstätten für Tanz. An der Wand ein Foto von Harald Kreutzberg, aufgenommen von Siegfried Enkelmann.
Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln
Verwaltungsleiter Adolf Ebrecht, Intendant Hanns Niedecken-Gebhardt und der Tanzhistoriker Fritz Böhme 1940 in den Meisterstätten für Tanz. An der Wand ein Foto von Harald Kreutzberg, aufgenommen von Siegfried Enkelmann.

Heute liegt ein Schatten auf diesem Mann, weil er 1933 der NSDAP beigetreten ist. Diese Mitgliedschaft ermöglichte ihm seinerzeit, sein großes Engagement auf nahezu allen Ebenen des Tanzes auch im Dritten Reich weiter zu führen und Tanz und Tänzer zu fördern. Ob und inwieweit er an der Verfolgung von Menschen aus rassischen oder politischen Gründen mitwirkte, ist bisher nicht bekannt. Eine genauere Untersuchung seines Werkes steht noch aus; der Anteil volkstümelnder Ideologie, der sich in seinen Rezensionen nach 1933 finden lässt, ist jedoch offensichtlich sehr gering. Sie erkennen den individualistischen modernen Tanz und seine experimentellen Weiterentwicklungen - beispielsweise einer Dore Hoyer - auch dann noch an, als dieser bei der “Tanzberichterstattung" seiner Zeit schon lange in Ungnade gefallen war.

Porträt

Am 10. Mai 1881 wurde Fritz Böhme in Berlin geboren und wuchs in dieser Stadt auf. 1902 begann er an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität u.a. bei dem heute als politischen Chauvinisten zu bezeichnenden Historiker Dietrich Schäfer Geschichte zu studieren, bei dem Deutsch-Nationalisten Kurt Breysig Kunstgeschichte und dazu Pädagogik, wohl mit dem Ziel, Gymnasiallehrer zu werden. Dieses Studium schloss er im März 1905 ab. Er ging jedoch nicht als Lehrer an ein Gymnasium, sondern verdiente sich etwas Geld mit gelegentlichen journalistischen Arbeiten für verschiedene Zeitungen. 1910 nahm er ein weiteres Studium an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität auf: Mediävistik bei Gustav Roethe und Literaturgeschichte bei Erich Schmidt. Über diesen Professor und Freund Theodor Storms erhielt Fritz Böhme eine feste Anstellung als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und Archivar bei der “Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte". Aus dieser Arbeit sind seine ersten beiden Bücher entstanden, die noch gar nichts mit Tanz zu tun haben: 1913 veröffentlichte er einen Nachtragsband zu Theodor Storms „Sämtlichen Werken" und 1915 eine Biographie über den Philosophen und Freund Theodor Storms Ferdinand Röse.

Wegen eines chronischen Ohrenleidens nahm Fritz Böhme nicht am Ersten Weltkrieg als aktiver Soldat teil. Stattdessen widmete er sich ab 1916 ganz und gar der Tanzpublizistik. Als Feuilletonleiter der „Deutschen Warschauer Zeitung" gewöhnte er die Leser systematisch an die Auseinandersetzung mit modernem Tanz und warb so für diese neue Kunst. Es gelang ihm nach dem Ersten Weltkrieg, systematisch die ernsthafte Tanzkritik in großen Tageszeitungen durchzusetzen. Mit dieser Aufgabe begann er im Berliner Börsen-Courier und auch in der seinerzeit einzigen deutschen Zeitschrift mit eigener Tanz-Rubrik “Die Libelle".

Die Tänzerkongresse

Dass sich Fritz Böhme auch an der Organisation der Tänzerkongresse 1927, 1928 und 1930 beteiligte, war für ihn selbstverständlich. Er engagierte sich eben unermüdlich dafür, die Tänzer zu einem Miteinander zu bewegen, damit sie ihre Belange besser artikulieren, sich organisieren und einen deutlichen Platz in der Gesellschaft verschaffen könnten. Dafür gab er 1929 das Nachrichtenbulletin “Kleine Korrespondenz für Kunst, Gymnastik, Pädagogik und Tanz" heraus.

1930 schien für ihn ein besonders bewegendes und erfolgreiches Jahr gewesen zu sein. Er wurde Mitglied im Ehrenpräsidium des 3. Tanzkongresses in München, gründete die Publikumsorganisation „Gesellschaft der Tanzkunstfreunde e.V." und wurde auch noch 1. Vorsitzender des „Verbandes Deutscher Volkstanzkreise". In dieser Eigenschaft glaubte er, 1933 in die NSDAP und in den „Kampfbund für Deutsche Kultur" eintreten zu müssen. Nach eigener Aussage wollte er mit seinem aktiven Engagement die Zerstörung des Ausdruckstanzes und die ideologische Einvernahme der Volkstanzkreise durch die Nationalsozialisten verhindern. Vermutlich aber war er so stark auf dieses Ziel fixiert, dass sein eigentlich scharfer Verstand die Brutalität und Zumutungen der NS-Politik ausblendete.

Gleichwohl fällt sein allergrößter Verdienst in diese Zeit: Er baute 1936 an den neu eingerichteten „Meisterstätten für Tanz" u.a. aus seinen eigenen Sammlungen das erste zentrale deutsche Tanzarchiv auf. Dieses Archiv trug offiziell sogar die Bezeichnung „Reichsarchiv". Böhme leitete es selbstverständlich selbst, lehrte an den „Meisterstätten" Tanzgeschichte und hielt zahlreiche öffentliche Vorträge zu tanzbezogenen Themen. Weiterhin war er 1940 kurzzeitig Schriftleiter für die Publikationen der „Deutschen Tanzbühne" und gemeinsam mit Gustav Fischer-Klamt ebenso kurz auch Schriftleiter für die Zeitschrift „Der Tanz".

Meisterstätten für Tanz

Anfang März 1943 fiel das Gebäude der „Meisterstätten für Tanz", in dem das Tanzarchiv untergebracht war, britischen Fliegerbomben zum Opfer. Die unvergleichliche Sammlung verbrannte vollständig. Mit ganzer Kraft setzte sich Fritz Böhme nach diesem tragischen Ereignis dafür ein, erneut ein Archiv für Tanz aufzubauen. Diese neuen Bestände wurden aus Berlin ausgelagert und gingen nach 1945 verloren; ein vor der Kriegszerstörung zurückgegebener Depositalbestand und einige wenige Bücher der verschollenen zweiten Sammlung befinden sich heute im Deutschen Tanzarchiv Köln.

Fritz Böhme überlebte den Krieg, musste aber vier Jahre lang auf seine Entnazifizierung warten und fühlte sich als gebrochener und missverstandener Mann. Er erhielt ein Publikationsverbot und konnte bis 1949 nur unter dem Namen seiner Frau Elisabeth publizieren, die seit den 1920er Jahren auch selbst etliche Tanzkritiken geschrieben hatte. In der Filmprüfstelle Berlin arbeitete Fritz Böhme jedoch bereits ab 1945 mit. Außerdem unterrichtete er weiterhin Tanzgeschichte, zunächst an der Tanzschule von Marianne Vogelsang und bis zu seinem Tode an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Fritz Böhmes sehr umfangreicher persönlicher Nachlass ist heute - ein Symbol des einst geteilten Deutschland - verteilt auf das Deutsche Tanzarchiv Köln und das Tanzarchiv Leipzig e.V.

Text: Geertje Andresen