Recherchiert und verfasst von Pia Boekhorst im Rahmen einer Übung im M.A.-Studiengang Tanzwissenschaft (Modul: Historiographie) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln im SS 2015.

Biographischer Überblick

„Ich tanze, weil ich in mir den starken Drang empfinde, mein Gefühl künstlerisch auszudrücken. Was immer ich tanze, es ist immer der Ausdruck eines Gefühls [Hervorhebung im Original], und zwar eines ganz bestimmten, in Zusammenhang mit einer Vorstellung“, erklärt Ursula Deinert 1941 in einer Zeitschrift.[2] Ihr künstlerisches Anliegen verfolgte Deinert sowohl als Tänzerin wie auch als Schauspielerin. Tänzerisch bewegte sich die Berlinerin zwischen den Genres des Charakter-, Ausdrucks- und Revuetanzes. Ihre Karriere zeigt zugleich eine Entwicklung von der Tänzerin zur Choreographin, Ballettmeisterin und schließlich zur Pädagogin. Ihre klassische Ausbildung erhielt sie vor allem von Max Terpis, bevor sie ab 1936 Erste Solotänzerin am Deutschen Opernhaus in Berlin wurde. Zeitgleich arbeitete sie als Filmtänzerin sowie Schauspielerin und gab Tanzvorstellungen im In- und Ausland. Auf diese Weise fiel der Höhepunkt ihrer Karriere in die Zeit des Nationalsozialismus. Ihre Bekanntheit lässt sich unter anderem an ihrem Titelbild auf Zeitungen und Zeitschriften wie Berliner Illustrirte Zeitung (Nr. 6 v. 11. Februar 1937; Nr. 2 v. 13. Januar 1938), Deutsche Illustrierte (Nr. 26 v. 29. Juni 1937),  Münchner Illustrierte Presse (Nr. 30 v. 28. Juli 1938), Filmwelt (Nr. 33 v. 12. August 1938) oder Der Stern (Nr. 18, Mai 1939) sowie einer Rosenthal-Porzellanfigur erahnen, welche die Tänzerin in einer Csárdás-Pose zeigt. Nach Kriegsende verfolgte sie ihre innerdeutschen Tourneeaktivitäten weiter und arbeitete insbesondere als Solotänzerin, Choreographin und Ballettmeisterin an mehreren Stadttheatern. Ab 1961 verlagerte sie ihren beruflichen Schwerpunkt auf die Tanzpädagogik; zuletzt war sie 18 Jahre lang Lehrerin an der Fachschule für Artistik in Ost-Berlin.

Bühne vor 1945

Ursula Deinert wuchs in Berlin auf und besuchte dort ein Gymnasium. Ballettunterricht erhielt sie bereits als Kind und von 1927 oder 1928 an bis 1934 bei Max Terpis, dem Ballettmeister der Staatsoper Berlin, sowie zugleich von dessen Freund, dem Solotänzer Rolf Arco. Ab 1932 war Victor Gsovsky ebenfalls ihr Ballettlehrer, der zu diesem Zeitpunkt als Choreograph für die UFA agierte. Sie konnte als Elevin am Großen Schauspielhaus mitwirken.[3] Ihr erstes Engagement hatte sie 1932 am Metropol-Theater als Tänzerin mit Soloverpflichtung.[4] 1934 wurde sie als Solotänzerin an das Opernhaus in Essen verpflichtet, an dem Jens Keith als Ballettmeister fungierte. Unter dem Ballettmeister Rudolf Kölling wurde sie 1936 an das Deutsche Opernhaus in Berlin als Solotänzerin, ab der nächsten Spielzeit als Erste Solotänzerin engagiert. Deinert betont bereits 1936 die Bedeutung der Deutschen Tanzfestspiele 1934 in Berlin, bei denen das Essener Stadttheater mit Die alte Komödie in der Choreographie von Keith ein Gastspiel gab und man so in der Hauptstadt auf sie aufmerksam wurde.[5] Laut kurzem Bericht in dem Magazin Der Spiegel 1947 über ihre Entnazifizierung wurde ihr vorgeworfen, sie sei 1936 auf Weisung von Joseph Goebbels dorthin geholt worden.[6] Das Deutsche Opernhaus unterstand seit 1934 Goebbels‘ Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, was unter anderem dazu führte, dass dem Ballett eine stärkere Rolle im Spielplan zugesprochen wurde.[7] Naheliegend wäre die Vermutung, dass der Erste Solotänzer des Deutschen Opernhauses sich für ihr Engagement an dieser Bühne eingesetzt hat: ihr Lehrer Rolf Arco.

In Berlin gab Deinert gleichzeitig Gastspiele an anderen Bühnen und nahm von 1936 bis 1939 Schauspielunterricht bei Elly Reicher, da sie sich auf die Arbeit vor der Kamera professionell vorbereiten wollte. Zudem war für sie die Ähnlichkeit zum Schauspiel zentrales Element ihres Tanzes. In einem Beitrag für das Programmheft zu einem ihrer Tanzabende stellt Kurt Naue den darstellenden Charakter von Deinerts Tanzkunst in den Vordergrund:

„Wie der Schauspieler seine Rollen charakterlich durchführen muß, um die Figur lebendig zu machen, so sind auch ihre Tanzkompositionen in sich geschlossen und charakterlich durchgeführt. […] Darüber hinaus wird bei ihr aus dem Material der Schritte und Bewegungen eine Rolle, eine Figur, ein Mensch, dargestellt mit den Mitteln des Tanzes. Das hat bei Ursula Deinert nichts mit einer allzu deutlichen, billigen Pantomime zu tun. Es gibt genug Dinge, die sich durch das Wort nicht sagen lassen, wo eine Geste, ein Zu- und Voneinanderwenden mehr sagen, als Worte es vermögen. In diesem Sinne ist Tanz für Ursula Deinert eine Darstellung.“[8]

Auch die Künstlerin selbst betont die Bedeutung der Ausdruckskraft und das Anliegen, „Leidenschaft und Gefühle“[9] zu vermitteln. Damit zeigt Deinert zwar eine Nähe zum Ansatz des Ausdruckstanzes, doch sie favorisiert den Charaktertanz, für den sie die klassische Balletttechnik als Erweiterung der tänzerischen Möglichkeiten erachtet. Sie führt aus: „Wenn es mir auch nicht lag, ohne Inhalt und bestimmten Ausdruck auf der Spitze Pirouetten zu drehen, so wollte ich doch, über den von klassischen Regeln losgelösten modernen freien Stil hinaus, auch die klassische Technik beherrschen, um die tänzerischen Möglichkeiten zu steigern. Denn wenn man im Kreise wirbeln, durch die Luft springen und graziös wieder über die Erde schweben will, muß man sich der Technik des alten Balletts bedienen.“[10] Auf diese Weise sieht Deinert Ausdruck und Virtuosität nicht als konträr an und versucht beides füreinander fruchtbar zu machen.

Neben ihrem Engagement am Deutschen Opernhaus ging Deinert sowohl als Solistin, als auch mit wechselnden Partnern auf Tournee in Deutschland und Europa. Die Tänzer Günter Heß, Horst Matthiessen und Werner Stammer standen vor allem in den Jahren 1938 und 1939 mit ihr auf der Bühne. Dabei fanden einige der Tanzabende im Rahmen der Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) statt, und insbesondere Deinerts Italientournee im Frühjahr 1942 galt der Wehrmacht. Die Künstlerin distanzierte sich somit nicht vom nationalsozialistischen Regime, sondern unterstützte es mit ihren Mitteln, was sich auch bei der Mitwirkung in Filmen widerspiegelt.

Film bis 1945

Laut Deinert kann der Filmtanz, ebenso wie der Bühnentanz, Gefühle zum Ausdruck bringen und von künstlerischer Qualität sein. Dafür hält sie es für notwendig, dass erstens die Filmtänzer über eine hervorragende Technik verfügen und zweitens Choreograph, Cutter und Kameramann während des gesamten Produktionsprozesses zusammenarbeiten. Deinert ist somit wichtig, dass eine tänzerische Position Einfluss auf den entstehenden Film hat. 1936 war sie das erste Mal auf der Kinoleinwand zu erleben, spielte bis 1945 in fast dreißig Spielfilmen mit und trat dabei auch als Choreographin in Erscheinung. Hauptsächlich handelt es sich um scheinbar unpolitische Unterhaltungsfilme: Komödien und Liebesfilme wie Hans H. Zerletts Diener lassen bitten (Euphono, 1936) oder wie der Musicalfilm Robert und Bertram (Tobis, 1939). Ausnahmen bilden unter anderen der Kriminalfilm Brand im Ozean (Terra, 1939) und Veit Harlans antisemitischer Propagandafilm Jud Süß (Terra, 1940). Deinert kommt vor allem in Tanzeinlagen zum Einsatz oder spielt die Figur einer Tänzerin, wodurch bei Letzterem Handlung und Tanz in enge Verbindung treten. Während sie beispielsweise in Eine Nacht im Mai (UFA, 1938) ‚nur‘ Cancans präsentiert, gibt sie in Mordsache Holm (1938, N.F.K.) eine Revuetänzerin, deren Tod im weiteren Verlauf der Handlung Rätsel aufgibt. Deinert arbeitete auch hinter der Kamera: Für „Bal paré“ (UFA, 1940) und „Die Rothschilds“ (UFA, 1940) entwickelte sie beispielsweise die Tänze. Dabei reflektiert Deinert die fundamentalen Unterschiede zwischen Bühne und Kinoleinwand sowie die Möglichkeiten des filmischen Mediums. Sie erklärt, dass im Gegensatz zum Bühnentanz die Zuschauerperspektive nicht fixiert ist, weil sich die Kamera in ständiger Bewegung befindet. Die Mobilität der Kamera sieht Deinert für das Gelingen der Tanzeinlagen im Film als elementar an. „Die Kamera muss dabei beweglich sein und Abwechslung bringen, mal den Gesamteindruck, mal eine wichtige Geste, mal den Gesichtsausdruck, eben einen ständigen Wechsel, damit nicht einfach fotografierter Tanz, sondern etwas künstlerisch Neues, eben der Filmtanz entsteht“[11], meint sie. Aus diesem Grund ist für die Tänzerin der Kameramann von entscheidender Bedeutung. Fleiß und Mühe des Choreographen und der Tänzer kann ihrer Ansicht nach umsonst sein, wenn der Kameramann die Tanzschritte nicht kennt oder ohne ‚Liebe‘ ans Werk geht.

[11] G.O.: Ursula Deinert tanzt in Frau am Steuer. In: Filmwelt. Das Film- und Fotomagazin, H. 4 vom 27. Januar 1939, S. 19–20, hier S. 20.

Karriere nach 1945

Nach 1945 stand Ursula Deinert nicht mehr für den Film vor der Kamera. Doch nachdem der Vorwurf, Nutznießerin des nationalsozialistischen Regimes gewesen zu sein, 1947 fallengelassen und ihre berufliche Wiederzulassung genehmigt wurde, widmete sie sich dem Tanz auf der Bühne, als Choreographin und Ballettmeisterin. Zunächst trat sie bei Willy Schaeffers‘ Kabarett der Komiker in Berlin und Hamburg auf. 1951/52 war Deinert als Erste Solotänzerin, Ballettmeisterin und Choreographin am Stadttheater in Giessen engagiert. Unter der Intendanz von Anton Ludwig choreographierte sie dort für ihr kleines Ensemble von vier Tänzerinnen vor allem Tanzeinlagen für Opern und Operetten. Mit gleichen Aufgaben war sie von 1952 bis 1954 vom Intendanten Hans Herbert Pudors am Stadttheater Bremerhaven betraut. Zwischendurch gab sie immer wieder Gastspiele an Hamburger Bühnen: 1951/52 spielte sie in Der Tod von Barmbek am Theater am Besenbinderhof, und als 1952 ihr Plan scheiterte, für Tanzfilmproduktionen nach Buenos Aires zugehen, übernahm sie den Tanzpart in Der Graf von Luxemburg in der Flora. Ab 1954 tanzte sie wieder in Berlin, dieses Mal im Revuetheater Friedrichstadt-Palast, wo ihr ehemaliger Ballettmeister aus Essen, Keith, inzwischen choreographierte. Bis 1958 war sie als Erste Solotänzerin unter Vertrag, bevor sie zum Zirkus Aeros in Leipzig wechselte, wo sie laut Presseberichten nicht nur als Tänzerin, sondern auch als Choreographin und Regisseurin geschätzt wurde.

In den 1960er Jahren fokussierte sich Deinert in Ost-Berlin auf pädagogische Tätigkeiten. Abgesehen von Gastauftritten in Balletten an der Deutschen Staatsoper, trat sie ab 1961 als Tanzpädagogin am Maxim-Gorki-Theater in Erscheinung. Von 1965 bis 1969 war Ursula Deinert als Ballettmeisterin im Studio für Unterhaltungskunst der Konzert- und Gastspieldirektion beschäftigt, das Künstler der Deutschen Demokratischen Republik auf Bezirksebene förderte. Ab 1970 war sie Fachlehrerin für Tanz an der Staatlichen Fachschule für Artistik, eine Tätigkeit, die sie bis zu ihrem Tod am 21. Dezember 1988 ausübte. Auf diese Weise zeichnet sich die deutsche Geschichte im Leben einer Tänzerin ab, die Elemente des Charakter-, Ausdrucks- und Revuetanzes miteinander verbunden hat.

Im Deutschen Tanzarchiv Köln befindet sich ein kleiner Nachlassbestand der Künstlerin, der vor allem zahlreiche Tanzfotografien und Porträts sowie ausgeschnittene Zeitungsartikel umfasst. Dazu kommen vollständige Filmmagazine, Programmhefte sowie einige Besetzungszettel und berufliche Korrespondenzen.

Recherchiert und verfasst von Pia Boekhorst im Rahmen einer Übung im M.A.-Studiengang Tanzwissenschaft (Modul: Historiographie) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln im SS 2015.

Fußnoten

[1] Nach ihrem handschriftlichen Lebenslauf in ihrem Nachlass im Deutschen Tanzarchiv Köln (DTK).
[2] Ursula Deinert: Warum ich tanze. In: Die Bewegung. Zeitung der deutschen Studenten.12. Folge, 25. März 1941, S. 11.
[3] K. K. Wolter: Ursula tanzt in den Film. Nachwuchs in Geiselgasteig. Nicht identifizierte Tageszeitung, München (?), Nr. 116 vom 19.05.1936 im Nachlass, DTK.
[4] Hssl. Lebenslauf, a.a.O.
[5] K. K. Wolter, a.a.O.
[6] N.N.: Personalien. Ursula Deinert. In: Der Spiegel, H. 16 v. 19. April 1947, S. 13.
[7] Deutsche Oper Berlin (Hg.): Von der Gründung bis zum Weltkriegsende. Online verfügbar unter http://www.deutscheoperberlin.de/de_DE/service#magazine-170145 , zuletzt geprüft am 04.07.2015.
[8] Kurt Naue: Ursula Deinert. Begleittext auf dem Programmzettel zu einem Tanzabend von Ursula Deinert und Horst Matthiessen in Annaberg (1939?). Nachlass Ursula Deinert im DTK.