von Patricia Stöckemann (als Nachruf erstveröffentlicht in "Tanzdrama" Nr. 11, 1990, S. 7).
Der deutsche Ausdruckstanz und das klassische Ballett standen sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als zwei feindliche und einander widersprechende Systeme gegenüber. Vertreter beider Richtungen glaubten, ihr 'Terrain' vor dem Übergriff des anderen schützen und verteidigen zu müssen. Diese Dogmatik künstlerischer Auffassung, diese Beschränkung des Geistes und letztlich des Körpers blieben dem zur Toleranz und zum Freidenkertum erzogenen Freiherrn Alexander von Swaine zeit seines Lebens fremd. Für ihn war der Tanz an keine Weltanschauung gebunden, für ihn gab es kein krampfhaftes Festhalten an Formal-Technischem und an spröden Bewegungskodizes. Ihm diktierte die künstlerische Idee die Wahl der Bewegungsmittel und allein von ihr ließ er sich leiten. Dennoch war ihm frühzeitig bewusst, dass nur auf der Grundlage einer fundierten Technik eine vollkommene Schulung des Körpers erreicht werden konnte. Im künstlerischen Gestaltungsprozess galt für ihn aber bis zuletzt, was er einmal zur Einführung in einen seiner Tanzabende erklärte: "Die Mittel unserer Arbeit sind Musik, der Körper ohne die menschliche Sprache, das Kostüm und das Licht. Mit diesen Mitteln versuchen wir, rein menschliche Dinge auszusagen (...). Manchmal liegt diesen Tänzen ein dramatischer Gehalt, manchmal eine dramatische Atmosphäre zugrunde. Sind es Volkstänze, so sollte ihr Wert nicht in der Echtheit der Schritte (sie sind echt!) liegen, sondern in der Echtheit des Gefühls, mit dem wir sie in Wirklichkeit getanzt sahen und die zu begreifen und wiederzugeben wir uns bemühen. – Die Gestalten und Tänze, die wir bringen, haben die verschiedensten Formen, je nachdem es uns möglich erschien, dem gewählten Thema seine klarste und eindeutigste Form zu geben; gut sind sie nur, wenn das Gemeinsame an ihnen, der Einsatz des ganzen Menschen für etwas Menschliches, darin spürbar wird."
Am 21. Februar 1990 ist Alexander von Swaine, der neben Kreutzberg zu den Großen des Modernen Tanzes zählte, im Alter von 84 Jahren in seiner Wahlheimat Mexiko gestorben. Bis kurz vor seinem Tode hat er an der dortigen Schule Bellas Artes (in Mexico City) klassischen Tanz unterrichtet. Dem Tänzer wie dem Pädagogen von Swaine war die Kunst ein humanitäres Anliegen. Einfühlsam förderte und forderte er die (künstlerische) Persönlichkeit seiner Schüler.
Im Dezember 1905 in München geboren, begann von Swaine mit 19 Jahren seine vierjährige Ballettausbildung bei Eugenie Eduardowa in Berlin. Seinen ersten Erfolg als Solotänzer feierte er im Sommernachtstraum von Max Reinhardt, mit dem er in Berlin und Salzburg die Zusammenarbeit fortsetzte. In dieser Zeit trat er auch mit eigenen Tanzabenden an die Öffentlichkeit. De profundis, Caprichos, Der Verworfene, Die Verzweiflung (u.a.) zeichneten ihn als einen Podiumstänzer von stark moderner Prägung aus. Ausgefeilte Technik und tänzerische Ausdruckskraft von elementarer Vitalität wurden schon bald zu seinem Markenzeichen. Bei der Cecchetti-Assistentin Margaret Craske in London holte sich von Swaine 1932 seinen letzten Schliff im klassischen Tanz. Ein Jahr später erhielt er ein Engagement an die Städtische Oper Berlin und 1935 an die dortige Staatsoper. Seine choreographische Begabung aber fand ihr eigentlich schöpferisches Wirkungsfeld in Soloprogrammen, die er ab Mitte der dreißiger Jahre mit seiner Partnerin, der bei Dalcroze und Wigman ausgebildeten Tänzerin Alice Uhlen erarbeitete. 1936 unternahm von Swaine seine erste Tournee in den Fernen Osten. Zu Beginn des Krieges konnte er seinen Lebensunterhalt mit Tanzunterricht in Batavia verdienen. Kurze Zeit später wurde er in Sumatra interniert. 1947 kehrte von Swaine aus indischer Gefangenschaft nach Deutschland zurück. In Heidelberg, unter der Leitung von Karl Bergeest, erhielt der namhafte Tänzer sofort ein Engagement ans Theater. Dort lernte er die Deutsch-Ungarin Lisa Czobel kennen. Sie war Trümpy- und Skoronel-Schülerin und hatte die Rolle des "jungen Mädchens" in der Choreographie Der grüne Tisch von Kurt Jooss kreiert. Fast 20 Jahre währte die künstlerische Partnerschaft Czobel-Swaine und führte zu Gastspielreisen in alle Kontinente der Welt. Die erste Hälfte des Jahres war diesen Tourneen vorbehalten, die übrigen Monate der Verpflichtung an den Theatern in Heidelberg und Köln mit Rollen in den Choreographien von Karl Bergeest. Czobel-Swaine – Pioniere der deutschen Tanzkunst in vielen Ländern und das wohl bedeutendste Paar des deutschen Ausdruckstanzes in der Nachkriegszeit – waren zwei unterschiedliche, sich gegenseitig ergänzende künstlerische Temperamente. Diese Gegensätzlichkeit machte nicht zuletzt den Reiz ihrer Programme aus. Der "kultivierten", "noblen" und "ausgeglichenen" Bewegung Lisa Czobels stand das "tänzerische Naturtalent", das "heftige Temperament" Alexander von Swaines gegenüber. Mit Prädikaten wie ein "Meisterpaar des Ausdruckstanzes" oder ein "Tanzpaar von Weltruf" wurde das Duo Czobel-Swaine bis zu seinem Abgang von der Bühne 1965 immer wieder von der Presse bedacht.
1961 erhielten sie den Tanzpreis des Verbandes der Deutschen Kritiker e.V.. Während Lisa Czobel sich in Hamburg niederließ, begann Alexander von Swaine in Mexiko eine zweite Karriere als Pädagoge, die ihn bis zu seinem Tode ausfüllte.
(Webseite erstellt anlässlich der Veröffentlichung der vom Deutschen Tanzarchiv Köln im Februar 2015 hrsg. Biografie von Alexander von Swaine von Ralf Stabel).
Wikipedia-Eintrag
Programmzettel, Deutsches Tanzarchiv Köln (Rückseite: Tänze von Heide Woog).
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Londoner Ankündigungszettel
“A miracle of grace, the essential poetry of dance.” (Daily Telegraph, London).
Ralf Stabel: Alexander von Swaine, Tanzende Feuerseele. Biografie Leipzig, Henschel Verlag 2015 Hrsg. vom Deutschen Tanzarchiv Köln. ISBN 978-3-89487-757-6 192 Seiten, zahlr. Abb. Im Buchhandel, beim Verlag (22,95 Euro)