Am 24. Mai 1971 wandte sich der Generalintendant Arno Wüstenhöfer in einem Brief an den Kölner Choreographen Jochen Ulrich und fragte ihn frei heraus, ob er nicht Interesse habe, die Leitung des Balletts der Wuppertaler Bühnen zu übernehmen. Eile war geboten, denn in Wuppertal wollte man bis zum Ende der Spielzeit eine Entscheidung getroffen haben. Und so traf man sich am 5. Juni zu ersten Gesprächen am Rande eines Gastspiels des Kölner Tanzforums in Wuppertal.
Arno Wüstenhöfers Interesse an Jochen Ulrich war beileibe kein Zufall, gehörte der junge Choreograph doch gemeinsam mit Helmut Baumann, Jürg Burth und Gray Veredon zum Kollektivdirektorium des Tanz-Forums Köln, einer Compagnie, die sich ganz bewusst um den Aufbau eines zeitgenössischen Tanzrepertoires bemühte.
Was als Abwerbeversuch eines vielversprechenden Nachwuchschoreographen durch die Wuppertaler Bühnen begann, nahm dann jedoch eine ganz andere Wendung. Leere Stadtkassen und die Notwendigkeit, zu sparen, ließen daraus im Sommer die Vision eines TANZFORUMS entstehen, gemeinschaftlich getragen von Köln und Wuppertal und bestehend aus einem geschäftsführenden Direktor, 16 Solisten, Gast-Choreographen, gastierenden Trainingsleitern sowie einem ständigen Kapellmeister. Unabhängig davon sollten beide Städte weiterhin ein eigenes Ballett für die Dienste in Oper, Operette und Musical behalten.
Für ein Drittel des Etats des Tanzforums sollte Wuppertal mindestens eine Premiere sowie bis zu vierzig Vorstellungen pro Spielzeit erhalten. Drei Jahre hatte man als erste Phase der Zusammenarbeit der beiden Städte vorgesehen, beginnend mit der Spielzeit 1972/73.
Es sollte nicht sein! Am Ende der Überlieferung dieser kleinen Episode nordrhein-westfälischer Tanzgeschichte steht ein im Bestand Jochen Ulrich im Deutschen Tanzarchiv Köln überlieferten Brief des Wuppertaler Generalintendanten an den Kölner Generalintendanten Dr. Helmut Drese vom 24. September 1971 (Signatur DTK 432 Jochen Ulrich TIS 46837). Auf drei Seiten skizziert Arno Wüstenhöfer darin die aus seiner Sicht unabdingbare Voraussetzung einer Zusammenarbeit der beiden Theater: geteilte Rechtsträgerschaft der Compagnie mit Jochen Ulrich als verantwortlichem Direktor des Wuppertaler Balletts. Vehement kritisiert er den Vorschlag seines Kölner Kollegen, mit weniger als 16 Tänzern auszukommen und avisiert von seiner Seite die Empfehlung, pro Jahr eine Produktion nur mit Mitgliedern des Tanzforums und eine Gemeinschaftsproduktion von Tanzforum und der jeweiligen Ballettgruppe der Städte einzustudieren.
Die von Arno Wüstenhöfer am Schluss seines Briefes zum Ausdruck gebrachte „Hoffnung, dass wir zu Ergebnissen kommen“ sollte trügen. Beide Intendanten konnten sich nicht einigen und so beschloss die Stadt Wuppertal zum Jahreswechsel 1971/72, ihr Ballett in eigener Regie weiterzuführen. Letzten Endes war diese Entscheidung allerdings auch der Logik der Zahlen geschuldet: das Einsparpotential einer gemeinschaftlich getragenen Tanzcompagnie entsprach nicht der Erwartung beider Städte. Die Kooperationsverhandlungen wurden beendet.
Was danach kam, ist bekannt: der Wuppertaler Ballettdirektor Ivan Sertic, seit 1965 in Wuppertal, übernahm die Leitung des Balletts des Münchner Theaters am Gärtnerplatz. Seine Nachfolge trat 1973 eine junge Nachwuchschoreographin an, die sich den Wuppertalern im Juni 1971 bereits mit „Aktionen für Tänzer“ vorgestellt hatte: Pina Bausch.
Thomas Thorausch | Deutsches Tanzarchiv Köln