Die Medien haben sich selbst an die Stelle der älteren Welt gesetzt. Auch wenn wir den Wunsch hätten, diese ältere Welt wiederzu­entdecken, könnten wir das nur durch intensives Studium der Methoden erreichen, mittels deren die Medien sie verschlungen haben.

Marshall McLuhan

Für den Tanzliebhaber oder Ballettomanen ist der Fotograf im Idealfall ein kongenialer Partner in der Liebe und Verehrung der Tanzkunst. Seine Fotografien sollen wie Worte sein, mit denen der Liebhaber seiner Zuneigung Ausdruck verleihen kann. Dieser Zweck heiligt die Mittel – nicht nur in der Fotografie, sondern auch im Film – und findet seine Erfüllung in der Überhöhung von tänzerischem Ausdruck und Person, der Verschmelzung von Ideal und Idol im Bild. Es verwundert daher nicht, dass sich viele Fotografen in den 1910er und 1920er Jahren bei der Gestaltung ihrer Tanzportraits auch an populären Kompositionsprinzipien der Malerei orientierten. Und auch der Tanzfilm von heute huldigt mit der 3D-Technik dem Prinzip „schöner als im wirklichen Leben“.
    
Schneller als das Publikum erfasste die Wirtschaft in den 1920er Jahren die vielfältigen Möglichkeiten dieser Bilder vom Tanz. Sie fanden in der Werbung massenhafte Verbreitung, zum Beispiel in Form von Zigarettensammelbildern oder Postkartensammlungen – und bildeten den visuellen Grundstock der bei den Lesern von Zeitungen so beliebten Bildreportagen.


Tänzerinnen vor dem Auftritt

Gesehen und festgehalten mit der Kamera von Helga Wallmüller, o.D.

Melancholie bedeutet, ein Bild der Welt zu lieben, von dem man weiß, dass es nur ein Bild ist.

Yves Bonnefoy

Ebenso wie der Tanz in der Fotografie eroberte sich auch der Tanz im Film ein breites Publikum, so zum Beispiel im „Tanz-Kinema“ am Berliner Alexanderplatz. Zur Unterstützung der Tanzkurse und zur Unterhaltung wurden dort um 1921 selbst produzierte Tanz-Lehrfilme gezeigt, die auf eine Bildfläche in unmittelbarer Nähe der Tanzfläche projiziert wurden. Vollständig entfaltete der „Tanz auf Zelluloid“ seine Faszination dann in den populären Filmgenres wie dem Spielfilm, dem Musicalfilm sowie dem Musikvideo und lieferte von den 1930er Jahren bis heute auch immer wieder „Stoff für Hollywood“. Dabei waren es weniger die Stars als vielmehr der spezifische Tanzstil der Protagonisten – von Tango bis Salsa, Disco bis HipHop –, der den Erfolg und späteren Kultstatus der Filme garantierte.


Der experimentelle Tanzfilm wie auch der rein dokumentarische Tanzfilm kamen dem Kino mit der Zeit abhanden. Sie finden heute ihr Publikum vermehrt im Fernsehen, in Ausstellungen, auf Filmfestivals oder als Ausdruck einer rein privaten Dokumentation des Gesehenen auf YouTube. Gefangen in einem kleinen Sichtfenster auf einem PC oder Smartphone nähert sich der Tanz im Film hier als grobkörniges filmisch-tänzerisches Fragment und dokumentarisches Zeugnis wieder dem Ausgangspunkt seiner Geschichte an.


Die Tänzerin Inge Hönisch

Experimentelle Fotomontage von Siegfried Enkelmann, 1950er Jahre

Wie kommt es, dass ich mich, wenn ich über Film nachdenke, sofort ins Reich der Erinnerungen verliere?

Cees Noteboom

Im Mittelpunkt einer Ausstellung über fotografische und filmische Blicke auf den Tanz steht nicht die Behauptung „Es ist so gewesen!“, sondern vielmehr das Filmemacher und Fotografen einende Bekenntnis „Ich habe es so gesehen!“ Und gerade deshalb lässt sich aus der Gesamtheit der in der Ausstellung versammelten Blicke und Sichtweisen wohl auch nur schwerlich eine treffliche, allgemein gültige Aussage über den Tanz formulieren. Wohl aber darüber, wie der Tanz, seine Vielfalt und Experimentierfreude Fotografen und Filmemacher zu allen Zeiten zur künstlerischen Auseinandersetzung angeregt hat und wie dies fotografische und filmische Bilderwelten und Sehgewohnheiten durcheinander wirbelte.

Die Ausstellung von Thomas Thorausch und Klaus-Jürgen Sembach speist sich aus den reichhaltigen Beständen des Deutschen Tanzarchivs Köln, zu denen auch eine Sammlung mit über 160.000 Fotos und über 117.000 Originalnegativen sowie eine Filmsammlung mit über 3.500 Filmen gehört. 
Die Fotosammlung umfasst Aufnahmen und Konvolute berühmter Fotografen wie zum Beispiel Albert Renger-Patzsch, Alfred Eisenstaedt, Hugo Erfurth, Arnold Genthe, Lotte Jacobi, Marta Astfalck-Vietz, Ellen Auerbach, Edward Steichen, Germaine Krull, Anna Riwkin, Cecil Beaton, Charlotte Rudolph, George Platt Lynes, Herbert Tobias, Serge Lido, Herbert List, Dieter Blum, Fritz Henle, Gert Weigelt oder Yva. Fotografennachlässe von Siegfried Enkelmann, Hans Rama, Annelise Löffler und Dietmar Dünhöft sowie die tanz- und ballett-bezogenen Arbeiten von Walter Boje, dem Pionier der modernen Farbfotografie, ergänzen die Sammlung.


Harmonie in Weiß

Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn in „Marguerite und Armand“. Ausdrucksstudie von Cecil Beaton, um 1963
Team

Kuratoren der Ausstellung: Thomas Thorausch, Klaus-Jürgen Sembach 
Filmprogramme: Christiane Hartter
Museumspädagogische Angebote: Bettina Grossberg
Technik: Ruth Sandhagen, Ralf Baader
Die Ausstellung und die Veranstaltungen des Rahmenprogramms werden unterstützt von den Freunden der Tanzkunst am Deutschen Tanzarchiv Köln e.V.