Sie ist oft als „Malerin des Tanzes“ bezeichnet worden. Schon 1961 zeigte das Jahrgangscover der Zeitschrift „Das Tanzarchiv“ eine Zeichnung von ihr, und es war vor allem ihr graphisches Werk, insbesondere die Mappen mit Radierungen von Rudolf Nurejev und Margot Fonteyn, die sie in der Welt des Tanzes bekannt gemacht hat. Dies war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aber schon die erste kleine Skulptur, welche die 1905 in Eberswalde geborene Künstlerin im Alter von 12 Jahren formte, war eine Tänzerin. Ihr Vater, ein kunstliebender Postdirektor in Berlin-Charlottenburg, hatte sie seit dem vierten Lebensjahr in gemeinsamen Spaziergängen durch den Tiergarten regelmäßig in die Museen mitgenommen. Die Welt der Kunst regte das Einzelkind an: Sie liebte es, stundenlang zu zeichnen.


Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

Nach dem Lyzeum besuchte sie eine Handwerker- und Kunstgewerbeschule in Charlottenburg, fand dann Anstellung in der Theaterkunst-Ausstattungsfirma Hugo Baruch und bildete sich hier durch Kostümstudien und die tägliche Praxis sehr schnell fort. Sie entwarf nach eigener Aussage Hunderte von Kostümen für die Revuen von Herman Haller oder Eric Charell (wie beispielsweise Schön und schick, An und Aus oder Europa spricht davon). Diese Tätigkeit finanzierte ihr in den Jahren 1924 bis 1927 das Studium an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst. In der Graphikklasse bei Emil Orlik avancierte sie zur Meisterschülerin und gewann erste Preise. Gleichzeitig besuchte sie Laienkurse im modernen künstlerischen Tanz in einer Berliner Laban-Schule (vermutlich bei Hertha Feist). Schon 1927, im Alter von 22 Jahren, nahm sie mit zwei Gemälden (Modellstudie und Der Museumsdiener S.) an der Großen Berliner Kunstausstellung teil. Eines von nur wenigen Gemälden der Frühzeit, die nicht im Krieg in Berlin verbrannt sind, zeigt ein Selbstporträt mit Palette aus dem Jahr 1928, stilistisch am ehesten der „Neuen Sachlichkeit“ vergleichbar – es ist seit drei Jahrzehnten als Schenkung der Künstlerin im Deutschen Tanzarchiv Köln ausgestellt.

Jugendbild
Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln
2. Juni 1932: Mit dem auch von Nolde gemalten Modell Margarethe Turgel im Kladower Garten. Das Gemälde ist im Weltkrieg in Berlin verbrannt.
Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

Ilse Voigt hatte in Einzel- und Gruppenausstellungen viel Erfolg. „Sie ist erst 24 Jahre alt und stellt jetzt in Den Haag Porträts von so vollendeter Zeichnung und mit solch vortrefflichen farblichen und auch psychischen Eigenschaften aus, wie man sie kaum bei Künstlern antrifft, die zur Mittagshöhe ihres Lebens gekommen sind“, schrieb Jan Slagter im Elsevier’s 1929. Und über eine Ausstellung in Amsterdam 1932 schreibt er u.a.: „Ilse Ruth Voigt scheint in erster Linie eine Malerin von Frauen zu sein; [...] Aber ihre Sichtweise ist manchmal positiv männlich, wie in dem schönen, koloristisch reichen und vortrefflich komponierten Bild ‚Revue-Girl‘ mit dem pikanten Kontrast zwischen dem Nackten und dem herabgeglittenen Kleid.“ Auch dieses, 1931 in der Zeitschrift Die Dame veröffentlichte Werk ist erhalten geblieben und hängt heute – als Schenkung von Dr. René Bussien aus der Schweiz – im Deutschen Tanzarchiv Köln.

Werke der Berliner Malerin Ilse Ruth Voigt: "Ein Revuemädchen", "Die Gattin des Malers Paul Simmel", "Prof. Chris Lebeau (Den Haag)." Illustrationen der Zeitschrift "Die Dame", Heft 22 vom Juli 1931.

Ilse Voigt lebte in diesen Jahren glücklich mit ihrem Partner, dem Textilkaufmann Ludwig Schöneberg zusammen, der das 7stöckige Spitzenhaus M. Schöneberg in der Leipziger Straße 94 in Berlin-Mitte besaß. Sie malte, zeichnete, modellierte und radierte viel, machte weite Reisen und wurde beispielsweise von Alfred Eisenstaedt und Erwin Blumenfeld fotografiert. Der Nationalsozialismus zerstörte diese Idylle. Ilse Voigt verzichtete auf die angebotene Professur und dachte über die Emigration nach. Als Jude konnte ihr Lebensgefährte Ludwig Schöneberg sein Vermögen nicht ins

Mit Ludwig Schöneberg bei einem Reklameball 1930.
Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

Ausland transferieren. Beide schmiedeten einen Plan: Sie heirateten, und nach kurzer Zeit beschlossen sie die „notwendige“ Scheidung der Arierin von ihrem jüdischen Ehemann. Sie nahm einen als überzeugten Nazi bekannten Anwalt, er einen eingeweihten jüdischen Anwalt. Das Vermögen wurde von ihnen als doppelt so hoch angegeben, wie es tatsächlich war; die Scheidung verlief zügig und ihr wurde die Hälfte des benannten Vermögens zugesprochen, also sein gesamtes Vermögen an sie übertragen. Mit Hilfe von Dritten sollte es, in einen Blechbehälter unter einem Zug eingeschweißt, ins Ausland transferiert werden. Zunächst kam es nicht an! Aber der Zug stand irgendwo unplanmäßig auf einem Abstellgleis und erreichte dann einen Tag später doch sein Ziel. Die geschiedene Malerin reiste ins Ausland und heiratete, um die deutschen Behörden vollends zu täuschen, in London im November 1935 den Vater ihrer besten Freundin Oty, den niederländischen Maler Chris Lebeau. Von diesem im Januar 1937 schon wieder geschieden, konnte sie in der Schweiz ihren geliebten Freund Ludwig Schöneberg erneut heiraten. Sie ließen sich in Lausanne nieder und organisierten mit einem Fahrer der Botschaft Fluchthilfefahrten von Deutschland in die Schweiz. Ilse Voigt-Schöneberg hat diese Erlebnisse in einem noch unpublizierten Schlüsselroman „Angst vor Berlin“ festgehalten.

Nach dem Krieg trainierte sie bei Boris Kniaseff in Lausanne und Genf Ballett. Er ermunterte sie, sich auch malerisch der Welt des Tanzes zu widmen, und sie porträtierte seit 1955 die Primaballerinen der L’Opéra Paris wie Liane Daydé oder Ludmilla Tcherina oder in London Anton Dolin als 'Prinz Albrecht' in dem Ballett Giselle (auch dieses Gemälde befindet sich im Deutschen Tanzarchiv Köln). Auch zahlreiche Pastellzeichnungen entstanden in dieser Zeit, u.a. von Diane Mansart, die nach ihrer Ausbildung bei Kniaseff zunächst als Solotänzerin im Ensemble von Yvonne Georgi an der Oper in Hannover und dann an der Opéra Paris avancierte, 1963 den Schauspieler Heinz Bennent heiratete und die Mutter von Anne und David Bennent wurde.


Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

Durch die Begegnung mit Rudolf Nurejev in Wien fand Ilse Voigt-Schöneberg zurück zur einst bei Orlik meisterlich gelernten Kunst der Kaltnadelradierung, die sie zuletzt in den 1930er Jahren auf einer Japanreise ausgeübt hatte. Mikhail Baryshnikov, Marcia Haydée, Natalia Makarova, Claire Motte und Jean Guizerix, Claire Sombert und Michel Denard, Ciryl Atanasoff, Noëlla Pontois, Jorge Donn und viele andere regten mit ihren Auftritten Ilse Voigt zu Radierungen an. Aber auch viele Privatporträts zählen zu ihrem Oeuvre. Ihre auf zahlreichen Ausstellungen gezeigten und mit Auszeichnungen bedachten Werke befinden sich heute in etlichen internationalen öffentlichen Sammlungen: Radierungen von ihr fanden nicht nur Aufnahme in die Bestände des Deutschen Tanzarchivs Köln , sondern auch in der Albertina in Wien, im Kupferstichkabinett SMPK Berlin, in der Bibliothèque Nationale Suisse in Bern, im Musée cantonal Lausanne, in der Zentralbibliothek der Universität Zürich, im Theatre Museum des Victoria and Albert Museums in London, in der Jerome Robbins Dance Division der New York Public Library und in den Derra de Moroda Dance Archives in Salzburg.