Sie hat sich über Jahrzehnte ihren zündenden pädagogischen Enthusiasmus bewahrt.(Klaus Geitel)
Sie hat sich über Jahrzehnte ihren zündenden pädagogischen Enthusiasmus bewahrt.
(Klaus Geitel)
Sie galt bereits zu Lebzeiten als „Legende“ im Bereich des Kindertanzes und genoss wie keine zweite deutsche Pädagogin in diesem Metier auch international höchstes Ansehen. Gisela Peters-Rohse unterrichtete nicht nur ab 1963 an der Lola Rogge Schule in Hamburg und von ihrem 29. bis 80. Lebensjahr in Köln, sondern als Gastdozentin zudem in vielen anderen deutschen Städten und im Ausland, beispielsweise in Antwerpen, Bern, Brüssel, Budapest, Den Haag, Fortaleza in Brasilien, Guayaquil in Ecuador, Jakarta, London, Luzern, Moskau, Paris, Peking, Santiago, Singapur, St. Petersburg oder Zürich.
Gisela Peters-Rohse unterrichtete nicht nur Kinder, sondern bildete vor allem Studierende in der Pädagogik des Kindertanzes aus: an der Rheinischen Musikschule, der Hochschule für Musik [heute: und Tanz] Köln und wie erwähnt als Gastdozentin. Auch Staatliche Ballettschulen riefen sie zu Hilfe, um durch Fortbildungen ihrer Pädagoginnen frischen Wind insbesondere in die Kindertanz-Abteilungen zu tragen.
© Julia Nohr Fotografie
Das Interesse für Tanz hatte bei ihr in der eigenen Kindheit eine Frau aus einer Gruppe von Flüchtlingsfamilien geweckt, die ihr Vater, Landwirtschaftsrat Dr. Hermann Rohse in Jork und Stade, im Gebäude der Landwirtschaftsschule aufgenommen hatte. Diese Frau tanzte mit den Kindern, und das war etwas Neues und Besonderes für das Mädchen Gisela. Ihre Eltern ermöglichten ihr fortan als Kind und junges Mädchen jahrelang bis zum Abitur Ballettunterricht in der Stader Ballettschule von Annelise Matzen.
Christian Golusda erinnert sich (2024): „Ich habe Gisela Rohse (damals noch nicht verheiratet) als kleines Kind in unserer Ballettschule Annelise Matzen in Stade kennengelernt und sie als ‚Große‘ sehr bewundert. Und mir fiel wieder ein, dass ich mit ihr schon auf der Bühne gestanden habe und ich bin in meinem privaten Fotoarchiv fündig geworden.
Die Aufnahme ist von 1955 (!). Die Blume am rechten Bildrand ist Gisela Rohse, das rechte Häschen bin ich, das zweite Häschen ist Silke Matzen, die Tochter unserer Tanzlehrerin. Das war im Stader Rathaussaal anlässlich der Verleihung des Preises für den schönsten Vorgarten in Stade, das Stück hieß ‚in einem Blumengarten‘, Musik von Haydn. Die lokale Presse (Stader Tageblatt) war voll des Lobes für die jungen Tanzkünstler und -künstlerinnen (‚...das war in Kostümierung sowie in der tänzerischen Durchgestaltung wohl das Schönste, das wir je von der Ballettschule Annelise Matzen sahen...‘). Später haben wir das Stück auch im Fernsehen getanzt (damals war Fernsehen noch live).“
Auch das Eislaufen und der Eistanz faszinierten Gisela Rohse seit der Kindheit. Als Jugendliche wurde sie von dem 16 Jahre älteren Stader Modekaufmann Werner Höhmann als Partnerin für gemeinsamen Paartanz auf dem Eis entdeckt. (Höhmann machte sich später um den Erhalt des historischen Stadtbildes von Stade verdient). Ihre Ballett- und Eiskunstlaufkenntnisse führten dann sogar zu einer Jurorentätigkeit im Rollkunstlauf.
Christian Golusda (2024): „Etwa 10 Jahre später, als ich die Schläppchen gegen Rollschuhe getauscht hatte und als Paarläufer antrat, kam Gisela Rohse, da schon professionelle Tänzerin, noch einmal nach Stade und fungierte bei den ersten Stader Meisterschaften im Rollkunstlauf als Preisrichterin. Sie selbst hatte man die Jahre zuvor im Winter auf der Stader ‚Lehmkuhle‘ schon elegante Kringel auf dem Eis drehen sehen können.“
Zu dieser Zeit wirkte sie – mit abgeschlossener tänzerischer Berufsausbildung als Pädagogin für tänzerische Körperbildung und Laientanz (mit Auszeichnung) und im Theatertanz bis zur Bühnenreife bei Lola Rogge in Hamburg, nach Engagements an den Bühnen in Koblenz, Flensburg und Osnabrück sowie zusätzlicher Tanzpädagogen-Prüfung für Theatertanz (Klassisch – Modern – National; unter den Prüfern: Yvonne Georgi, Karl Bergeest, Kurt Peters) als Tanzpädagogin an der Lola Rogge-Schule in Hamburg.
Sie war damals von Lola Rogge zur späteren Nachfolgerin in der Schulleitung vorgesehen, heiratete jedoch 1967 Kurt Peters und folgte ihm von Hamburg nach Köln, als der Senat von Hamburg dessen Tanzarchiv nicht institutionell fördern wollte, der Kölner Kulturdezernent Dr. Kurt Hackenberg nach Verhandlungen mit dem Landesministerium in Düsseldorf Peters und sein Tanzarchiv jedoch nach Köln holte (wie auch die Internationale Sommerakademie des Tanzes aus Krefeld) und Köln dem Ruf gerecht wurde, eine „Stadt des Tanzes“ zu sein. Gisela Peters eröffnete zunächst eine eigene Ballettschule in Köln, bevor sie ihre langjährige Tätigkeit als Dozentin der Rheinischen Musikschule und Hochschule für Musik Köln antrat.
„Kurt Peters hat nur eine Schwäche: sie heißt Gisela und ist seine Stärke“, wie es Klaus Geitel bei der Verleihung des Deutschen Tanzpreises an Kurt Peters 1984 in seiner Rede formulierte. Gisela Peters schrieb auch Tanzkritiken und arbeitete nicht nur am Aufbau des Tanzarchivs, sondern auch viele Jahre lang redaktionell an der von Kurt Peters seit 1953 herausgegebenen gleichnamigen Fachzeitschrift Das Tanzarchiv mit. Von 1978 bis 1980 war sie deren Herausgeberin.
Ihre einzigartige Methodik der Kindertanzpädagogik hat sie in drei Monographien veröffentlicht: Kinder tanzen (1969), Vorschulkinder-Tanzerziehung (1977) und vor allem: Das Kind und sein Tanz (2012). Nur, um nicht von Kurt Peters langfristig getrennt zu sein, hat Gisela Peters-Rohse Anfang der 1990er-Jahre die ihr von Valery Preston-Dunlop angebotene Laban-Professur in London ausgeschlagen.
Gisela Peters-Rohse hatte ein außergewöhnliches pädagogisches Gespür und eine unerschöpfliche Phantasie. Die Kinder lernten ihren Körper kennen, indem sie vielleicht zu Seehunden wurden, die mit einem Fisch gefüttert werden, oder zu Maulwürfen, die die runde Zimmerdecke des Maulwurfsbaus zu streichen hatten, zu Efeuranken, die sich ineinander verlieben, zu neugierigen Holzwürmern, die sich durch den Caféhaustisch bohren, um die Gäste zu beobachten, oder zu Gespenstern, die in einer kleinen Käseschachtel übernachten und sich um Mitternacht für nur eine Stunde in einem riesengroßen Haus ausbreiten dürfen. „Und jetzt ist Eure Schulter ein Landeplatz für Schmetterlinge geworden und Ihr tanzt dieselben Bewegungen noch einmal, aber so vorsichtig, dass Ihr die Schmetterlinge nicht erschreckt!“ Die Kinder waren immer begeistert, und wenn man Gisela Peters auf ihren Wegen in Köln begleitete oder mit ihr in einem größeren deutschen Opernhaus aus dem Zuschauersaal ins Foyer trat, konnte man gewiss sein, dass sie von ehemaligen Schülerinnen oder deren Eltern erkannt und auf die schöne, so anregende Zeit in ihrem Unterricht angesprochen wurde.
Gisela Peters-Rohse beachtete auch die Kinder in der letzten Reihe genau, zeigte ihnen ihre Stärken auf und förderte nicht nur die besonders Begabten. So waren alle glücklich und profitierten. Und das über Generationen, manchmal sagte sie schmunzelnd: „Ich habe schon ihre Großmutter unterrichtet!“ Noch in ihrem letzten Lebensmonat trafen wie immer Briefe von ehemaligen Schülerinnen bei ihr ein. Ein Zitat für viele: „Du hast uns allen gezeigt, welche Macht in uns steckt, welche Möglichkeiten wir haben uns zu bewegen […] Wir haben durch Dich gelernt, unseren Körper zu verstehen, auf ihn besser zu hören und das alles als Ausdrucksmittel zu nutzen. Doch was wir lernten, war nicht nur für den Tanz, es ist für das Leben.“ Dass so viele ehemalige Schülerinnen den Kontakt zu ihr hielten oder neu aufnahmen und ihr halfen, als die Situation sich verändert hatte und sie es war, die im Alter Hilfestellungen benötigte, hat sie tief berührt.
Mit Günther Grollitsch in "Der Eintänzer", Bremen 2018 (in ihrem 80. Lebensjahr).
© Daniela Buchholz
Eine Bademoden-Werbung. "ZuHause in Ruhe genießen" lautet der Werbe-Slogan für Eiscreme von Langnese auf der Rückseite des "Film und Frau"-Heftes...
© Deutsches Tanzarchiv Köln
"Bei mir ist alles noch im grünen Bereich...", scherzte sie beim Betrachten dieses Fotos.
© Robert Eikelpoth
Im 80. Lebensjahr tanzte sie noch in Bremen in einem Zwei-Personen-Stück auf der Bühne. Doch die Gesundheit ließ nach, das Herz war geschwächt. Ihren ersten Herzinfarkt erlitt sie schon 2016 in Spanien, als sie ihren Namen googelte und in den Ergebnissen (hier aus einem Blog auf „Tumblr“) die absurde Aussage lesen musste, dass der SS-Untersturmführer Kurt Peters mit ihr verheiratet gewesen sei. Es ging um ein Foto des bekannten amerikanischen Fotografen Robert Capa von einer Verhaftung in Frankreich im Zweiten Weltkrieg 1944, und der abgebildete junge Mann mit Kopfverletzung war als dieser SS-Untersturmführer Kurt Peters identifiziert.
Ein offensichtlich naiver, laut eigener Aussage vom Faschismus faszinierter amerikanischer Student namens Mick Wiegenstein hatte Freude an dem Foto mit dem smarten SS-Offizier und in der Internetsuche den Tänzer Kurt Peters gefunden (der nie in der Partei und nur Obergefreiter war und völlig anders aussah). Obwohl es bestimmt 80–100 Deutsche mit Namen Kurt Peters um 1940 gab (allein das online zugängliche Berliner Adressbuch weist 16mal Kurt Peters aus), veröffentlichte Wiegenstein in seinem Blog fahrlässig die im Internet gefundene Biografie des Tänzers zu dem anderen, auf dem Foto von Capa abgebildeten Kurt Peters als angeblich durch die Lebensdaten gesichert. Er verursachte mit dieser rufschädigenden Veröffentlichung seiner naiven Verwechslung bei Gisela Peters-Rohse einen Herzinfarkt mit Krankenhausaufenthalt wegen der Verunglimpfung ihres verstorbenen Mannes. Der zweite Herzinfarkt führte 2022 zu einer Operation, doch ein Herzflimmern und zeitweise sogar Herzflattern blieb. Osteoporose führte bei diversen Stürzen immer wieder zu Frakturen, und schließlich machte eine zunehmende Demenz der zierlichen, in den letzten Jahren nur 37 kg wiegenden Tänzerin sehr zu schaffen. Sie verstarb am 28. Dezember 2023 in einem Kölner Seniorenheim, in welchem sie die letzten zwei Monate gelebt hatte. Laut Auskunft einer Pflegerin gegenüber einer ehemaligen Schülerin hatte die 85jährge Gisela Peters-Rohse wenige Tage zuvor bei einer Weihnachtsfeier noch solistisch getanzt.
Frank-Manuel Peter
© Berthold Wegner
1938 geboren am 10. November in Stade als Tochter des Landwirtschaftsrats Dr. Hermann Rohse (von 1934 bis 1946 Direktor der Obstbauschule und Wirtschaftsberatungsstelle in Jork, von 1946 bis 1964 Direktor der Landwirtschaftsschule und Wirtschaftsberatungsstelle in Stade) und der Grete von Borstel aus Jork.
In Stade Ballettschule bis zum Abitur.
1958 Tänzerische Berufsausbildung bei Lola Rogge, Hamburg, bis zur Bühnenreife.
1960 Staatlich geprüfte Lehrerin für tänzerische Körperbildung und Laientanz, mit Auszeichnung.
1961 Abschlussprüfung für Theatertanz vor dem paritätischen Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz von Karl Bergeest, ebenfalls Prüferin: Gundel Eplinius.
1961 Engagement an das Theater Koblenz.
1961/62 Engagement an das Theater Flensburg.
1962 Engagement an das Theater Osnabrück.
1962/63 Tanzpädagogische Ausbildung in Hamburg.
1963 Tanzpädagogen-Prüfung für Theatertanz (Klassisch – Modern – National). Unter den Prüfern: Yvonne Georgi, Karl Bergeest, Kurt Peters.
1963–1967 Tanzpädagogin an der Lola Rogge-Schule in Hamburg.
1967 Eheschließung mit Kurt Peters und Umzug nach Köln, da sein Tanzarchiv in Hamburg keine nachhaltige Förderung erhielt, diese aber in Köln seitens des Kulturdezernenten versprochen wurde.
1968–1970 eigenes Tanzstudio in Köln
1970–1989 Dozentin an der Rheinischen Musikschule Köln: Leitung der Abteilung Kinderballett und des Pädagogenseminars für Kindertanz
1986ff. Dozentin am Institut für Bühnentanz, jetzt Hochschule für Musik und Tanz Köln, in den Abteilungen Gymnasiale Berufsausbildung/Jungstudierende und Pädagogenseminar. Unterrichtsfächer: Labans Raum- und Bewegungslehre, Improvisation und Folkloretanz.
Beteiligung mit Kindertanzspielen und Kindertanzchoreographien an Sonderveranstaltungen in verschiedenen Städten Deutschlands und des europäischen Auslands.
Eigene Schulveranstaltungen – über 100 Choreographien für Kinder.
Entwicklung einer eigenen Unterrichtskonzeption.
Choreographien für Schauspiel: Schauspielhaus Hamburg (Gründgens) Schauspiel Bonn-Bad Godesberg (Noelte) Theater am Dom, Köln (Forester)
Mitarbeiterin der Zeitschrift "Das Tanzarchiv" seit 1965; Herausgeberin der Zeitschrift von 1978 bis 1980.
Mitarbeiterin in der Bibliothek und Sammlung "Das Tanzarchiv" 1967 – 1985, heute Deutsches Tanzarchiv Köln.
Eigene Schriften in der Tanzarchiv-Reihe: * Kinder tanzen (1969) * Vorschulkinder-Tanzerziehung (1977)
Monographie: * Das Kind und sein Tanz. Wilhelmshaven 2012
Zahlreiche Beiträge für pädagogische Fachzeitschriften und Jahrbücher.
Gastdozentin u.a. (!) in:
"Sie hat sich über Jahrzehnte ihren zündenden pädagogischen Enthusiasmus bewahrt: dieses einzig fruchtbar ansteckende Virus, mit dem sie Schülerinnen wie Schüler dauerhaft zu infizieren versteht. Frau Peters ist eine interessante, stets überzeugende Lehrerin.
Sie weiß, was sie lehrt. Ihr Erfahrungsschatz ist riesengroß, und sie versteht, ihn für die Schüler fruchtbar zu machen. Sie ist eine Tänzerin und Pädagogin von der Pike auf. Ihr Unterricht ist vorbildlich, ihr Wissen fabelhaft. Sie ist nicht nur mit dem "Tanzarchiv aufgewachsen, sondern in ihm.
Ihre Connaissancen sind kolossal. Sie wird weltweit hochgeschätzt. Sie hat keine Feinde, Zustimmung und Dankbarkeit umgeben sie. Das ist rar vor und hinter den Kulissen des Tanzes."
(Klaus Geitel, 16. Oktober 1998)
"Over the last ten years Mrs. Gisela Peters-Rohse is, and always has been, a valued and highly regarded guest professor at our institute. She has exceptional abilities in teaching dance pedagogics especially in the approach of teaching methods for young children. She is diligent in her pursuit of academic excellence within working on theoretical aspects related to practical experience. Over the years she has developed her own working methods which are of great value for future dance pedagogues.
Mrs. Gisela Peters-Rohse earns our strong recommendation. She possesses the range of skills; the enthusiasm; the commitment to task, to motivate young students."
(Aimé de Lignière, Artistic Director of the Higher Institute for Dance of the Hogeschool Antwerpen, 5. Oktober 1998)
"Schon während ihrer Tätigkeit an der Hamburger Lola Rogge Schule ansatzweise erprobt und später im eigenen Studio zu Köln verfeinert, hat sie im Lauf der Zeit eine Ganzheits-Methodik erarbeitet, die an das Vorstellungsvermögen der Kleinsten appelliert und dabei ein Körperbewusstsein in Gang setzt, das manchmal voller Überraschungen ist. Vorausgesetzt, man geht dabei so einfühlsam und gewissenhaft vor wie Gisela Peters-Rohse."
(Hartmut Regitz, Zeitschrift Tanz, Juli 2023)
"Wirklich anregend für jeden Tanzpädagogen ist es, wie sie diese theoretischen Überlegungen des Lehrenden zu einem aufregenden Tanzerlebnis für die Kinder werden lässt: Jede Aufgabe, sei es technischer oder improvisatorischer Art, wird eingeleitet durch eine Geschichte, ein bildliches Motiv, das – im besten Fall - in den Kindern eine Bewegungsidee entstehen lässt, die sie mit „Körper, Seele und Geist“ erfasst und zum „Jubel des Körpers“ bringt. Dann sind diese einleitenden Geschichten zu „Zauberworten“ geworden. Die Worte müssen gut gewählt, der Inhalt der Geschichte auf die tänzerische Aufgabe hin untersucht worden sein, um als „Zauberworte“ wirksam werden zu können. Hierfür gibt Peters-Rohse mit einer schier unerschöpflichen Fantasie, Treffsicherheit und bildreichen Wortwahl zahlreiche Beispiele, die auch den Leser direkt mitreißen und inspirieren: Hier erfährt man von der verliebten Strumpfhose, die ihre Freundin in der Waschmaschine trifft, von dem mondsüchtigen Drachen auf dem Drachenfels nicht weit von Köln oder aber auch von den Holzwürmern im Caféhaus-Tisch, die das tagsüber gehörte im nächtlichen Tratsch verarbeiten. Man möchte selber gleich lostanzen, denn ihre Ideen sind erfüllt von Humor, Poesie und gerne auch von einem Schuss Anarchie. Diese Intensität und Qualität der Bewegung, die diese Worte auslösen können, bilden die wunderbaren Schwarz-Weiß-Fotos von Anneliese Löffler ab, auch wenn sie augenscheinlich schon einige Jahrzehnte alt sind."
(Alexanda Pott, Tanznetz.de vom 9. Januar 2013)
"Das Buch ist ein 'Must Read' für alle TanzpädagogInnen! Und eigentlich auch für alle Eltern, denn „Das Kind und sein Tanz“ ist eine kluge Auseinandersetzung mit der kindlichen Gesamtentwicklung und daher ein großes Lesevergnügen. Gisela Peters-Rohse geht es um weit mehr als um Körper- und Bewegungsbildung. Ihre pädagogische Methode verbindet sie mit außerordentlicher Empathie und Verständnis für Kinder. [...]
Gisela Peters-Rohse genießt in Deutschland einen legendären Ruf und ist heute weltweit eine Autorität für Tanzpädagogik für Kinder."
(Edith Wolf Perez, tanz.at vom 24. Juni 2013)
"Es gibt kaum einen Tanzpädagogen in Deutschland, der nicht mit Gisela Peters-Rohse gearbeitet hat! Sie unterrichtet jetzt auf der ganzen Welt: Indonesien, Philippinen, Russland, China usw."
(Patricia Kapp, Tanznetz.de vom 23. Februar 2011)
"Auch ohne den Deutschen Tanzpreis erhalten zu haben, ist Gisela Peters-Rohse eine der prägendsten Persönlichkeiten der Tanzpädagogik für Generationen gewesen. In Gedenken und mit großer Dankbarkeit für die wertvolle tanzpädagogische Arbeit von Gisela Peters-Rohse, der 'Deutsche Berufsverband für Tanzpägagogik e.V.' "
Von Garnet Schuldt
Unterrichten wollte sie von Anfang an. Nur das heftige Drängen einer ihrer Lehrerinnen von der Lola-Rogge-Schule, die in Labans Tradition geführt wurde und wird, brachte Gisela Peters-Rohse zur Bühne. Nach erfolgreichen Theaterjahren kehrte sie an die Rogge-Schule zurück, um die Pädagogenausbildung für professionelle Tänzer zu machen. Während ihrer Lehrtätigkeit entwickelte Gisela Peters-Rohse systematisch eine Methodik für Kindertanzpädagogik, die in ganz Europa anerkannt ist. Mittlerweile bemühen sich Institutionen von Asien bis Südamerika, sie als Gastdozentin zur Förderung des Nachwuchses zu gewinnen. Ihr Unterricht für Kinder, egal ob mit oder ohne professionelle Ambitionen, stützt sich auf diese jahrelangen Erfahrungen ebenso wie auf ihre fortwährende Begeisterungsfähigkeit für jeden einzelnen Schüler und sein Tanzen.
In lhren Veröffentlichungen zum Thema Tanzpädagogik erwähnen Sie, dass der Ausbildung im Ballett die "Kindheit des Tanzes" vorausgehen solle. Was bedeutet das?
Dass man erst einmal den Körper kennenlernt in seinen Möglichkeiten, und zwar immer auch in den qualitativen Möglichkeiten, dass die Kinder Rhythmen erfahren, dass sie den Raum erfahren, dass sie das schnelle Tempo und die Langsamkeit erfahren. Alles das lässt sich im klassischen Tanz ja gar nicht so schnell machen. Da braucht man Jahre, eh man wirklich schnell tanzen kann.
Was ist das Besondere an der Stimmung, die Sie für Kinder schaffen?
Dass sie sich selbst vertrauen. Dass sie mit allem, was sie umgibt, körperlich umgehen lernen. Außerdem hat der spielerische Umgang mit sich selbst eine sehr große Bedeutung. Dazu muss man aber sagen, dass "Spiel" für das Kind ja Arbeit ist. Nach dem Prinzip der Maria Montessori – "Hilf mir, es selbst zu tun" – gebe ich dem Kind die Anleitungen, seinen Körper in allen Möglichkeiten selbständig zu erobern und mit ihm umzugehen, ihn im Raum, in der Zeit, in der Gruppe bewusst und gezielt einzusetzen, ihn selbstschöpferisch zu nutzen und diese eigenschöpferischen Erlebnisse auf andere Gebiete zu übertragen.
Worauf bauen Sie in lhrer Arbeit auf?
Auf das ganz Elementare des kindlichen Wollens und Strebens: Das Kind will größer werden, und es will schneller und stärker werden. Es will nicht kleiner werden, es will nicht langsamer werden, es will nicht schwächer werden. Das sieht man beispielsweise, wenn sie mit dem Vater um die Wette laufen. Sie wollen gewinnen.
Was sind die Ziele Ihres Unterrichts?
Da gibt es eine Menge. Einmal, dass sie den Tanz als vollwertiges Medium verstehen und nach ihrem Vermögen nutzen, denn da ist ja nicht nur das hohe Bein ausschlaggebend, um interessant zu tanzen, sondern auch alles Mögliche andere. Ich möchte sie durch diesen ersten Unterricht öffnen für alles, was danach kommen könnte. Das heißt, dass sie nicht in Stereotypen eingepresst werden, sondern wissen: "Ich kann mich so hinstellen, aber auch so, so oder so." Dann spielen viele soziale Komponenten mit. Die Kinder übertragen die Phantasie, die sie im Tanz entwickeln, die Vorstellungskraft und das ganzheitliche Denken und Sehen auf andere Gebiete. Ich sehe das immer wieder, ob sie Ärzte werden oder Juristen oder was immer. Sie haben mehr Phantasie, mehr Vorstellungskraft, wenn sie in ihren anderen Berufen tätig sind. Tanz ist ja auch das einzige, wo diese Verbindung von Körper/Seele/Geist aktiv gelebt wird.
Die Umwelt unserer Kinder wandelt sich immer stärker, überall hört man das Piepen der elektronischen Spielzeuge. Haben Sie in den letzten Jahren Veränderungen bei lhren Schülern bemerkt?
Was sich geändert hat, ist nur das, was die Kinder umgibt, das aber massiv. Gut, ich habe vor 20 Jahren noch nicht annähernd so viele Hohlkreuze gesehen oder schlechte Füße, aber das hat doch nichts mit dem Kind an sich zu tun. Das hat doch nur damit zu tun, dass es vor der Glotze sitzt, dass es im Auto sitzt, dass es die Bäume nicht mehr hochklettert, dass es nicht über Gräben springt. Das Bedürfnis hat es nach wie vor; man sieht im Tanzunterricht, dass sie diese ganz intensive Bewegung sehr wohl wollen. Geändert hat sich die Umwelt, und außerdem sind die Kinder von heute auch schon anders vernetzt als wir. Ich kann mit manchen Improvisationen, die ich vor vielen Jahren gemacht habe, gar nicht mehr landen, weil ihnen die Themen völlig fremd sind. Sie wissen nicht, was ein Schachtelhalm ist, sie wissen nicht, was Binsen sind. Aber wir können dann ja auch Computerviren tanzen, das ändert nichts an dem, was im Unterricht vor sich geht.
Welche Veränderungen bemerken Sie an Kindern, die eine Zeitlang Ihren Unterricht besucht haben?
Das ist ganz eigenartig. Die Kinder können das natürlich nicht so formulieren, aber ich merke, dass sie anfangen zu genießen, und zwar sich selbst, dass sie ablesen können, wie sie ihren Körper nach und nach erobern, wie sie damit mehr und mehr anfangen können, das heißt, wie sie ihre Fähigkeiten erweitern. Das ist genau der gleiche Genuss, den sie haben, wenn sie die ersten Buchstaben können und dann das erste Wort. So ist das auch körperlich. Aber man kann natürlich noch viel mehr Dramen und fabelhafte Geschichten in seinem Körper erfahren, von denen man vorher nichts geahnt hat. Das alles ist aber von den Kindern nur unterbewusst erlebt. Sie gehen sowohl mit dem Lehrer als auch miteinander viel sozialer um – sie haben mehr Ehrfurcht – vor anderen Körpern, vor anderen Menschen, auch vor Pflanzen und Tieren. Ich habe mit ihnen Efeuranken getanzt, die sich verlieben und miteinander einen Baum hinaufwachsen und heiraten. Wenn dann ein Kind sagt: "Jetzt weiß ich, wie weh das tut, wenn man ein Blatt abgerissen bekommt", dann ist das doch toll. Die Kinder erleben unendlich viel, was wir als Lehrer gar nicht alles wissen, es sei denn, sie sagen es irgendwann.
Was kann Tanz – beispielsweise verglichen mit dem Sportunterricht – Besonderes für Kinder von heute bieten?
Das alte Goethe-Wort: Gemüt. Aber auch, dass sie sich nicht hinter einer harten Schale als Nahkämpfer verstecken müssen, sondern dass sie ruhig aufmachen können. Ich hatte jetzt mit besonders wilden Kindern das Wort "Schutzengel" als Thema. Das löst in diesen Kindern sofort etwas aus. Plötzlich kommen ganz, ganz viele Ideen, und sie denken dann nicht nur an ihren Körper, sondern daran, was sie mit ihrem Körper für andere tun.
Stoßen Sie an Grenzen, wenn Kinder oder Jugendliche, die nicht bei lhnen vorgeschult sind, schon blockiert sind und sich gegen die von Ihnen gesuchte "Ehrlichkeit" wehren?
ln der Pubertät kommt so eine Zeit: Sie wehren sich gegen die Veränderungen des Körpers und können das noch nicht richtig einordnen. Dann möchten sie sich mit diesem Körper nicht äußern, den sie so noch nicht richtig kennen und den sie darum auch noch nicht akzeptieren wollen. Darauf habe ich immer Rücksicht genommen. Sie möchten sich dann austoben, richtig rackern, aber nichts Feines von sich selbst erzählen.
Welchen Stellenwert hat ein Bühnenauftritt für Kinder, sowohl für solche mit professionellen Ambitionen als auch für solche, die beim Laientanz bleiben woIIen?
Es ist schon eine wichtige Sache, dass man als Kind den Test machen kann, ob die Zuschauer einen verstehen, und kennenzulernen, was man körperlich erzählen kann. Es ist schön, auf etwas hinzuarbeiten und das Glück zu erleben, das es einem bringt. Aber ich habe da auch meine Vorbehalte: Ich finde immer, es muss etwas aus dem Unterricht herauswachsen. Es darf nicht so etwas Vorgefertigtes auf die Kinder draufgestülpt werden und dann mit tollen Kostümen und Aperçus zugedeckt werden. Mit denen stehen sie dann dumm rum, und vom Körper sieht man nichts.
Was wünschen Sie den Tanzpädagogen, die sie ausgebildet haben?
Ich wünsche ihnen, dass sie mit dem Material und meiner Methodik eine Basis haben, auf der sie ganz persönlich Eigenes entwickeln. Das geht meiner Ansicht nach nicht mit Nachbeten. Es ist ein Gerüst, ein Gerippe, und das muss man mit dem ganz eigenen Fleisch füllen. Wenn man als Lehrer in unserem Fach am Puls der Zeit bleibt, mit der Wahl der Themen und mit der Art, wie man langsam methodisch die Technik reinbringt, dann ist das auch heute noch der beste Draht, um an Jugendliche heranzukommen. Ich muss mich nicht unbedingt mit Hip Hop auf ihre Stufe stellen. Man muss sich sehr wohl darauf einstellen, was sie denken, was sie tun, was sie bewegt, aber man muss sich nicht anbiedern, denn das ist genau das, was die Schüler eigentlich gar nicht wollen.
(Erstveröffentlicht in Tanzdrama 46, H. 2/199, S. 8f.).
Ein Beispiel für ihr Wirken als Kritikerin:
„FRITZ“ UND DIE ALTVORDEREN – IN WUPPERTAL
Mief einer Hauptmannschen Weberstube, hemdsärmeliger Vater in ständig brutal-erotischem Anspruch, ohne dabei den Fuß aus der Emailleschüssel zu nehmen, laszive Mutter, bereit im zu öffnenden Kleid, stumme Großmutter von ungeheuerlichen Ausmaßen, innerhalb dieser Familie ein Fels, der genügend Platz zum Anschmiegen bietet . . . . . und Fritz, das Kind mit dieser unendlichen Phantasie. Fritz bewegt sich in seiner Umgebung, die aus Eltern, Großmutter, Bett, Lehnstuhl und Tisch besteht, fast wie mit einer Schutzglocke umhüllt, er registriert, erlebt und reagiert, um dann in seine Phantasiewelt zu flüchten, ihr wieder zu entfliehen und unbeschadet (?) in seiner eigenen Entwicklung fortzufahren. Ein einsames Kind? So scheint es zu Beginn, wenn Fritz in dieser Familie nur zu seinem langärmeligen Hemdchen lebhaften Kontakt entwickelt, sich und seinen Körper in allen Möglichkeiten zu diesem Kleidungsstück durchtestet, „wortlos“, jedoch hellwach, zu seiner Umgebung offen, so dass ihn ein aufbrandender Ehekrach nicht unvorbereitet trifft und gegen die Großmutter schleudert. Fritz steht mitten in dieser Realität und bewältigt sie, indem er sie zu phantastischer Fabel umfunktioniert. Wie Traum und Psychoanalyse Erlebnis klären und verkraften, baut sich Fritz einen Fries traumhafter Erscheinungen, bezieht die Familie und sich in diese Phantasie-Vorgänge mit ein – und, wenn diese in Perversität und Morbidität zu eskalieren scheinen, stellt er sich außerhalb und zählt die Sterne . . . . .
Aus dieser Choreographie Pina Bauschs, die sie ganz schlicht mit Fritz betitelt, geht nicht hervor, ob sie aus diesen frühkindlichen Erlebnissen spätere Verhaltensweisen oder auch Neurosen ableiten will, denn wir erleben Fritz nur als Kind; wenn sie sich also darauf beschränkt, choreographisch eine mehrschichtige und mehrdimensionale Momentaufnahme zu machen, gleichzeitig physisch-seelische, reale und irreale Situation darzustellen, so möchte man fast annehmen, dass die ,,Choreographin Fritz" auf der Bühne autobiographische Vergangenheitsbewältigung vollzieht. Und das gelingt ihr optisch und akustisch (in Zusammenarbeit mit Dirk Reith vom Elektronischen Studio der Folkwang Hochschule) gut. Eigene Kindheitsphantastereien stehen wieder auf: Dimensionen, die sich vergrößern, vergröbern, den Rahmen des Realen sprengen, wie ,,unmenschlich" verlängerte Arme, umgedrehte Köpfe, Mann in Frauengestalt, Mädchen mit Greisenkopf und und und . . . in diese Dali-artigen Geschöpfe hineingestellt zwei Kinder, Fritz und sein Mädchen in ersten geschlechtlichen Annäherungen, von einer sich lausenden und schmatzenden Gesellschaft unbeschadet kommentiert. (Auf der Bühne übrigens steht das dazugehörige Bett noch aus ,,Aktionen" an derselben Stelle.) Das alles ist in Form- und Farbfindung (Bühne und Kostüme: Herrmann Markard) jedoch mehr wie Blättern in einem Buch mit lebenden Bildern. Und da, meine ich, liegt die Unvollkommenheit dieser Arbeit. Bewegung gibt es, ja, jedoch Tanz? Und gerade da hatte Pina Bausch doch schon vor langem bewiesen, dass ihr absolut eigenständige tänzerische und charakterisierende Bewegungsabläufe einfallen können (etwa: im Wind der Zeit). Musste sie hier so weitgehend darauf verzichten?
Die Rolle des Fritz war konzipiert für die Tänzerin Marlies Alt, dann wegen einer Verletzung sehr kurzfristig von Hiltrud Blanck keineswegs als Lückenbüßer übernommen worden.
Sollte man nun, nach diesem inszenatorisch und dramaturgisch keineswegs uninteressanten, jedoch choreographisch-tänzerisch unbefriedigenden Werk annehmen, dass die neue künstlerische Leiterin des Wuppertaler Tanzensembles, Pina Bausch, womöglich einen Neuerer-Weg fort vom Tanztheater einschlagen will, so widerlegt sie das mit ihren Einladungen an Agnes de Mille mit Rodeo und Kurt Jooss mit Der grüne Tisch. Beide Werke in ihrer ungemein künstlerischen und tänzerischen Wertbeständigkeit strahlen konstant ihre Impulse aus und sollten für das heutige Tanztheater eine Mahnung bleiben, dass es allzu oft keinen Schritt voran bedeutet, wenn über allem (absolut notwendigen) Experimentieren der Tanz als eigenständiges Darstellungsmittel vernachlässigt wird.
Im Juli 1942 reiste Agnes de Mille mit den Ballets Russes de Monte Carlo durch die Vereinigten Staaten und arbeitete bis zum 16. Oktober an ihrem Ballett Rodeo, das ihren wirklich großen choreographischen Erfolg begründete. In ihrem Buch (Tanz und Theater) schreibt sie über die Probenarbeit und die Schwierigkeiten, ihre tanztechnischen Ideen zu verwirklichen. „Die Reitversuche waren weder realistisch, noch suchten sie den Charakter der Bewegungen wiederzugeben. Ich hatte in London ein Jahr lang gearbeitet, um die eigenartige Schönheit dieser Bewegungen herauszuarbeiten. Richtig ausgeführt, drückten sie den starken, lebendigen Genuss des Reitens aus. Es war nur sehr schwer, denn die Tänzer mussten den Eindruck erwecken, als würden sie von einem unsichtbaren Tier gestoßen. Sie hingen in der Luft, durften nicht springen, sondern mussten auf- und abgeschleudert werden. Ihre Füße berührten niemals den Boden, sondern es waren die Füße des Pferdes, die auf Steine schlugen. Das Wesen der ganzen Bewegung war Stoß, Krampf und Anspannung aller Muskeln. O weh! Diese großen, kräftigen Burschen waren jahrelang darauf gedrillt worden, sich wie Blumenblätter im säuselnden Wind zu bewegen . . . .“ Ähnlich mag es ihr in ihrer Arbeit immer und auch in Wuppertal gegangen sein, als sie diese Widerspenstigen Zähmung im Western Style nach Vorarbeit von Vernon Lusby für die Premiere abgenommen hat. Diese ganz spezifische Bewegungstechnik, die gleichzeitig davon lebt, dass sie von einem schauspielerisch-darstellerischen Gefühl durchdrungen ist, besser noch von einem Western-feeling, sie zu erreichen und über die Rampe zu tragen, verlangt beste Tänzer. Nicht, dass technische Bravourstücke im landläufigen Sinne verlangt würden, aber dieses Männlich-„Gestandene“, Folkloristisch-Heitere, Mädchenhaft-Muntere, von dem das gesamte Werk durchglüht ist, darzustellen, gut darzustellen, kann zum Gütezeichen für einen Tänzer werden. Vivienne Newport (ebenfalls für die erkrankte Marlies Alt eingesprungen) konnte in ihrer Rolle als Cowgirl, das sich vom robusten Reithosentyp zur begehrten Balltänzerin wandelt (besser: wandeln läßt), noch nicht ganz die Zielmarke erreichen. Und doch hat sie die Rolle erfasst, belebte und steigerte sie auch nach anfänglicher Befangenheit und Zurückhaltung zum Schluss zu einer wirklich erfreulichen Leistung. Hinreißend waren ihre beiden Partner Ed Kortland und John Giffin als Head Wrangler und Champion Roper; da kam schon Tempo, Stall- und Pferdeluft, strahlendes Kräftemessen alternierend mit gezähmten Balancen …. so mag es sein auf einer Ranch. Leider nur deklassierten diese beiden Tänzer dadurch so offensichtlich die anderen Cowboys, die halt einen recht europäischen Eindruck hinterließen. In der Gruppe der Mädchen, ihnen voran Malou Airaudo als Tochter des Ranchers, hatte sich schon eine bessere Balance und Einheitlichkeit ergeben. Alles in allem aber ist dieses Ballett ein so großes Vergnügen, selbst Hermann Markard mit seinem Bühnenbild, das erheblich von dem der Uraufführung abwich, hatte sich anstecken lassen, denn auch er begann Stimmung zu zaubern, ganz besonders im ersten Bild. Das Orchester unter Frank Meiswinkel wäre fast einer Bonanza-Laune im Publikum erlegen.
Blättern wir in den Memoiren Agnes de Milles noch einmal um zehn Jahre zurück bis zu ihrem Debüt in Paris im Oktober 1932, so erfahren wir von einer Begegnung, die gerade in Bezug auf diesen Wuppertaler Abend eine sonderbare Bedeutung hat. „Am Anfang fanden die Franzosen, dass ich weder humorvoll noch verständlich sei. Es war Kurt Jooss gewesen, der, indem er nach der Gigue von Bach aufsprang, noch in der ersten Hälfte des Abends den schauderhaften toten Punkt überwand und der wiederholt ,Bravo' gerufen hatte. Er leistete auch während der Pause im Foyer Pionierarbeit. Da sein Green Table gerade jetzt alle Preise am Kontinent errungen hatte und in Paris allabendlich vor ausverkauftem Haus gespielt wurde, hörte man auf seine Meinung.“
Hier trafen sie also nun wieder zusammen – und so drückt die Konstellation Jooss, de Mille, Bausch in dieser ersten Spielzeit für sich schon eine besondere Haltung aus.
Jooss‘ Grüner Tisch, eines der eindrucksvollsten Antikriegswerke, die je für die Theaterszene geschaffen wurden, ist immer bezwingend – auch hier in Wuppertal. Und doch hatte diese Vorstellung eine nicht immer gleiche intensive Dichte, wie sie sich sonst in dieser Choreographie unwiderstehlich Tänzern und Zuschauern mitteilt. Der Tod (Jean Mindo), in anderen Interpretationen wie ein Holzschnitt kräftig, gespenstisch in seinen rhythmisch hämmernden Akzenten, war besonders zu Beginn nicht so eindeutig, schien etwas unpräzise und abgelenkt. Dieser Eindruck verlor sich dann jedoch mit und neben einigen ganz besonders guten Einzelleistungen. Allen voran Malou Airaudo als Partisanin, sie hatte diesen verzweifelten Mut, diesen unbeugsamen Impuls zum Widerstand, der sie dem Tod vor die Gewehre trieb, diese Rolle sah ich selten so intensiv getanzt. Dann der junge Soldat John Giffins: Vietnam, Israel-Ägypten, in Tagesberichten doch seltsam entfernt von uns, kommen durch seine Darstellung in eine bedrückend unmittelbare menschliche Nähe. Anteilig das gesamte Ensemble. Es ist so wichtig, dass Der grüne Tisch auf vielen Bühnen steht, dass er auch in Wuppertal steht. Dafür ist hier wie anderorts Anna Markard mit penibler Authentizität besorgt.
Gisela Rohse
(erstveröffentlicht in Das Tanzarchiv, H. 9, 22. Jg., Februar 1974, S. 287–289; © Deutsches Tanzarchiv Köln.)