Heute würde man kein Geheimnis daraus machen, im Gegenteil. Marta Richter, seit Anfang ihrer Laufbahn Marta (oder: Martha) Welsen genannt, war eine uneheliche Tochter eines der prominentesten Schauspieler der Jahrhundertwende: Josef Kainz.
Da auch ihre Mutter am Theater beschäftigt war, fiel die Berufswahl gewiss nicht schwer; die Ausbildung absolvierte sie in der Ballettschule Guggenmos in Brünn und bei Grete Wiesenthal in Wien (ergänzt durch Sommerkurse in Hellerau-Laxenburg und später an der Münchener Günther-Schule).
In Brünn war sie bereits 1923 als Solotänzerin engagiert, ab der Spielzeit 1925/26 als Ballettmeisterin, in welcher Funktion sie 1926 für drei Jahre an die Vereinigten Städtischen Bühnen von Beuthen, Gleiwitz und Hindenburg wechselte. Hier ist zu dieser Zeit gerade Walter Felsenstein als Dramaturg tätig, der später als Regisseur und namentlich Intendant der Komischen Oper Berlin Musiktheater-Geschichte machte.
Die Theater leisteten sich interessanterweise parallel zum Ballettensemble eine kleine Tanzgruppe (Lisa Ney, Lou Eggers, Jo Mihaly). In diese Zeit fielen zahlreiche solistische Tanzauftritte Marta Welsens, in denen auch parodistisch-humoristische Aspekte nicht zu kurz kamen. Es folgten sechs Jahre als Ballett- bzw. Tanzmeisterin in Saarbrücken, drei Jahre Tanzleitung an der Berliner Volksoper, zwei Jahre am Breslauer Theater, von 1942 bis 1944 erneut an der Volksoper und in der Nachkriegszeit schließlich am Hebbeltheater.
Marta Welsens Begabung lag im Choreographischen. Dies kam immer dann besonders zur Geltung, wenn es um die Ausgestaltung weiten Raumes, z.B. bei Freilichtaufführungen wie den Festspielen in Heidelberg, Göttingen oder im Olympia-Stadion ging. Hanns Niedecken-Gebhard berief sie oft und gern zu solchen Aufgaben, und sei es, wie beim Festspiel zur Olympiade 1936, um die choreographischen Ideen Mary Wigmans in der Weite des Stadions umsetzen zu helfen. Marta Welsen arbeitete hierbei gerne mit Laien. Anlässlich der Tänze zum Festspiel Berlin in sieben Jahrhunderten deutscher Geschichte 1937 schrieb Fritz Böhme in der DAZ: "Ausschlaggebend für die Wirkung ist [ ... ] die Gruppentanzfigur als Ausdruck, nicht etwa nur als willkürlich gebaute Geometrie" und lobte Marta Welsens "einzigartige, völlig von dem Herkömmlichen der Bühnenpraxis abweichende, überwältigende Gestaltung". Dass diese chorischen Arbeiten von den Nationalsozialisten missbraucht werden könnten, war ihr nicht bewusst.
Ihrem Nachruhm stand Marta Welsens Bescheidenheit im Wege. Zur Erstaufführung der modernen Tanzpantomime Der Maschinenmensch von Eugen Zador, zusammen mit Joseph Bayers bekannter Puppenfee, schrieb das Saarbrücker Abendblatt am 12.2.1935 zusammenfassend: "Wie oft schon hat sie ihr Bestes gegeben, um Opern und Operetten durch Tänzer oder Tanzszenen auszuschmücken und ihnen erst den richtigen Glanz zu geben! Wenn aber der Beifall aufrauschte, dann stand Marta Welsen immer bescheiden im Hintergrund. Sie sollte auch einmal im Vordergrund der Ereignisse stehen. Und es ist schon eine übertriebene Bescheidenheit oder eine bescheidene Übertreibung, dass Marta Welsen nach dem großen Erfolg, den ihr Tanzabend auslöste, ihre Schülerinnen und die anderen Mitwirkenden an die Rampe vorschieben wollte."
Frank-Manuel Peter
Erstveröffentlicht als Nachruf in Tanzdrama H. 18, 1992, S. 35.