John Schikowski zählte zu den prominentesten Tanzkritikern der 1920er Jahre. Er war Feuilleton-Redakteur bei der sozialdemokratischen Zeitung Vorwärts, verfasste aber auch ganze Monographien wie Die Entwicklung der deutschen Bühnenkunst (1905), Der neue Tanz (1924), Kunstschaffen und Kunsterleben (1926) und die Geschichte des Tanzes (1926). Letztere ist, obwohl  bei der Büchergilde Gutenberg in sehr hoher Auflage erschienen und antiquarisch in vielen Exemplaren angeboten, wie auch seine durchaus seltene Dissertation von 1894 (über Arbeitslosenstatistik) in neuerer Zeit als book on demand erneut auf den Markt gebracht worden, – doch ansonsten ist Schikowski wohl allenfalls den Tanzforschenden heute noch bekannt.


Seit 1897 im Vorstand der „Dramatischen Gesellschaft“ tätig und seit 1905 im Künstlerischen Ausschuss der Volksbühne und im Volksbühnenbund engagiert, setzte sich John Schikowski konsequent für die Vermittlung und Förderung von Kunst und Kultur ein. Seiner Vorliebe für den künstlerischen Tanz ist die Einrichtung der ständigen Tanzmatineen an der Volksbühne zu verdanken, die gerade auch jungen Tanzschaffenden eine Aufführungschance boten. Zu den vielen Tänzerinnen und Tänzern, die hier – oft mit einleitenden Vorträgen von Schikowski – im Laufe der 1920er und frühen 1930er Jahre auftraten, gehörten die Bauhausbühne unter Oskar Schlemmer (unter anderem mit Manda von Kreibig), Rosalia Chladek, Afrika Doering, die Neue Tanzbühne Essen (unter anderem Frida Holst, Karl Bergeest, Lisa Czobel, Elisabeth Gregor, Isa Tribell), Ursula Falke, Tanzgruppe Hertha Feist, Yvonne Georgi, Raden Mas Jodjana, Jutta Klamt und ihre Kammertanzgruppe, Harald Kreutzberg, Masami Kuni, Tanzgruppe Rudolf von Laban, Maja Lex, Ruth Marcus, Lisa Ney, Helga Norman(n), Palucca und ihre Gruppe (unter anderem Lotte Goslar), Oda Schottmüller, Ted Shawn, Alexander von Swaine, Edith Türckheim, Berthe Trümpy, Alice Uhlen, Marianne Vogelsang, die Tänzergruppe Margarete Wallmann (unter anderem mit Liselore Bergmann, Alexander Kamaroff), Hans Weidt, Gertrud Wienecke sowie Mary Wigman und ihre Tanzgruppe.

An John Schikowskis Nachlass ist beispielhaft zu sehen, welchen Schaden die durch schlechte Beratung erfolgte Auflösung eines jahrzehntelang erhalten gebliebenen historischen Nachlasses verursachen kann. Die Staatsbibliothek Berlin, die bereits einen auf John Schikowski zurückzuführenden Bestand als "Sturm Archiv II" führt, hat einen Splitternachlass an Manuskripten und Korrespondenz (2 Archivschachteln). Darüber hinaus befinden sich aus Schikowskis Nachlass insbesondere an ihn gerichtete Briefe in folgenden Sammlungen: Archiv der Akademie der Künste, Berlin (Schauspieler, Theaterleiter); Bauhaus Archiv Berlin (Rudolf Belling, Walter Gropius, Oskar Schlemmer); Deutsches Literaturarchiv Marbach (Rudolf Blümner, Siegfried Jacobsohn, Franz Mehring, Armin T. Wegner, Paul Zech); Landesarchiv Berlin (Max Liebermann; Sozialdemokraten); Stadtbibliothek Hannover/ Niedersächsisches Handschriftenarchiv (Karl Henckell); Stadtbibliothek Wuppertal (Else Lasker-Schüler, Wilhelm Liebknecht); Ullstein Archiv, Berlin (B. Traven); Zentral- und Landesbibliothek Berlin (Wilhelm Buck, Arno Holz). Wo sich die in einer Auktion (1992) nachweisbaren Briefe von Andreas Latzkow, Walter Mehring und Franz Pfemfert an Schikowski heute befinden (möglicherweise in Privatbesitz), ist für die Forschung nicht recherchierbar.


Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

Foto © Deutsches Tanzarchiv Köln

Die Briefwechsel mit den Tänzerinnen und Tänzern sind bisher verschollen. Wenn Briefe von den Archiven gekauft werden, die den Nachlass des Absenders oder eine Sammlung zu ihm betreuen, nützt das dem dortigen Bestandsaufbau und dem Verkäufer; dem Empfänger der Briefe und der Erforschung und Würdigung seiner Bedeutung wird mit dieser Zersplitterung jedoch großer Schaden zugefügt.

Am Sonnabend, dem 3. März 1934, verstarb Dr. John Schikowski im 67. Lebensjahr. Schon seit zwei Jahren durch mehrere Schlaganfälle sehr leidend, führte ein neuer Anfall zum Tode.

Mit John Schikowski verliert die Volksbühne, deren Künstlerischem Ausschuss er seit fast 30 Jahren angehörte, einen treuen Mitarbeiter. Aber nicht nur für sie, sondern für alle, die ihn persönlich oder durch seine Arbeit kannten, ist sein Tod ein großer Verlust. Vor allem die Tänzerwelt, die in ihm ihren unermüdlichen Helfer fand, der ihr durch Schaffung der ständigen Tanzmatineen in der Volksbühne die schönste Tanzstätte schuf, ist tief betroffen.

Durch seine wundervolle Menschlichkeit, verbunden mit einem klugen, stillen Humor und einem tiefen Wissen, war er nicht nur eine so liebenswerte Persönlichkeit, sondern seine selbstlose Art, sich für Menschen und ihre Ideen einzusetzen, machten ihn vor allem den jungen Künstlern zu einem unersetzlichen Berater.

Am 17. Juli 1867 wurde John Schikowski zu Gumbinnen geboren [genaugenommen in dem Ort Luisenhof bei Gumbinnen; DTK]. Aus seiner Leipziger Studienzeit datiert seine Bekanntschaft mit Detlev v. Liliencron. Seit 1894 lebte er ständig in Berlin. 1893 begann seine Tätigkeit als Theater- und Kunstreferent. Im selben Jahre lernte er Otto Erich Hartleben kennen, mit ihm verband Schikowski bis zu Hartlebens Tod (1903) die innigste Freundschaft. Durch ihn kam er 1897 in den Vorstand der „Dramatischen Gesellschaft“. Aus dem großen Freundes- und Bekanntenkreis dieser Jahre, den Tod und Zeit auseinanderriss, blieben als einzige Ed. v. Winterstein und Hans v. Müller. Bei der 1905 erfolgten Gründung der „Freien Volksbühne Charlottenburg“ hielt Schikowski einen Vortrag über Otto Erich Hartleben, er trat sogleich dem „Künstlerischen Ausschuss“ bei, in dem er auch nach der Verschmelzung mit der „Berliner Volksbühne“ blieb.

Sein ganzes Interesse konzentrierte sich immer auf das Neue und Junge in der Kunst, und diesem ließ er seine ganze Förderung angedeihen. Ende der neunziger Jahre war es der Naturalismus in der Literatur, auf der Bühne und in der Malerei. Seine Liebe und sein Verständnis für das Werk von Arno Holz, der damals noch ein „Abseitiger“ war, nahm ihren Anfang: dass er ihn persönlich erst zwanzig Jahre später kennenlernte, wurde von beiden stets bedauert, fand aber einen Ausgleich in einer ganz starken Verbundenheit, die bis in die Todesstunde von Arno Holz reichte.

1905 erschien John Schikowskis Buch über „Die Entwicklung der deutschen Bühnenkunst“. Im Expressionismus fand er dann ein neues, ihn ganz erfüllendes Gebiet: dies war auch der Ausgangspunkt zu seinem Buch „Kunstschaffen und Kunsterleben“. Zu gleicher Zeit gab er in einem Referat auf der 1. Tagung des Deutschen Volksbühnenverbandes die Anregung (der dann später stattgegeben wurde), für die Mitglieder der Volksbühne Museumsführungen und Kunstvorträge zu veranstalten. Er sah hierin eine Möglichkeit zur Anbahnung einer volkstümlichen, ästhetischen Kultur. In dieser volkserzieherischen Frage war auch sein Einsatz für die moderne Tanzkunst zu suchen. Seine absolute Ehrlichkeit, fern allem Snobismus, ließ ihn den Glauben an seine Aufgabe nicht verlieren. Sein Ziel war es, dem Künstler das besterzogenste, tanzverständigste Publikum zu bieten, und der Volksbühnengemeinde nicht nur das einwandfrei Beste und Anerkannte, sondern auch das Junge, Kommende und Werdende vorzustellen. Grade um diese Werdenden war er so besorgt; ihnen Mut zu machen, den Weg zu erleichtern und zu bereiten, war ihm bis in seine letzte Lebenszeit heilige Pflicht. Und der Dank dieser Jungen an John Schikowski wird es sein, ihn, der selbst so ewig jung war, nicht der Vergessenheit preiszugeben.

L. N.

Eine Feierstunde, die das Andenken Schikowskis mit einem künstlerischen Programm seiner Freunde ehrt, findet [fand] am Sonntag, 13, Mai, vorm. 11½ Uhr, in der Volksbühne statt (siehe Anzeige).

Am 3. März verstarb in Berlin im 67. Lebensjahr infolge eines Schlaganfalls der bekannte Tanzkritiker und Tanzschriftsteller Dr. John Schikowski. Mit ihm verliert der Tanz einen seiner Getreusten, der moderne Tanz insbesondere einen unermüdlichen Förderer und Wegbereiter. Er verfolgte wohlwollend die Entwicklung des neuen Tanzes seit seinen ersten öffentlichen Manifestierungen und schuf ihm durch die Organisation und Leitung der bekannten Volksbühnentanzmatineen eine ständige Pflegestätte von eminenter Bedeutung. Denn es war stets sein Prinzip, neben bereits arrivierten Künstlern, die für Füllung der Kasse sorgten, systematisch auch den tänzerischen Nachwuchs herauszustellen, damit angehende Talente die Möglichkeit erhalten, sich die ersten Sporen zu verdienen. Ein von ihm verfasstes Buch über die Tanzkunst warb für sie in weiteren Publikumskreisen und trug dazu bei, dass das allgemeine Interesse an Tanzdarbietungen im steten Wachstum erhalten blieb.

Darüber hinaus wird sein Andenken bei allen Tänzern und Berufskollegen in Ehren bestehen, die Gelegenheit hatten, mit ihm persönlich zu verkehren, oder durch gemeinsame Arbeit im Verband Deutscher Tanzkritiker in Verbindung zu stehen und sein liebenswürdiges, von weisem Humor erfülltes, stets wohlwollendes und tolerantes menschliches Wesen kennen zu lernen. Möge ihm die Erde leicht sein.

M. Waker, in: Der Tanz, H. 4 - 1934, S. 2